Gastautor / 29.06.2013 / 18:36 / 0 / Seite ausdrucken

Wie John D. Rockefeller die Wale rettete

Peter Heller

So ein Wal ist eine tolle Sache. In den Barten des Blauwals findet sich Fischbein für körperformende Kleidung (Korsetts, Reifröcke) und diverse Accessoires (Sonnenschirme). Ein Pottwal liefert Ambra für allerlei Duftwässerchen und Walrat für feine Kerzen. Aus allen großen Meeressäugern kann man Tran gewinnen, nützlich als Energieträger (Beleuchtung), als wichtiger Grundstoff für die chemische Industrie (Farben, Pflegemittel, Sprengstoffe), für Medizin und Kosmetik (Salben, Seifen) und für Lebensmittel (Margarine, Suppen, Gelatine). Nicht zu vergessen: Der Wal ist ein nachwachsender Rohstoff.

Da wundert die Anziehungskraft nicht, die der Walfang über Jahrhunderte auf abenteuerlustige Tierliebhaber ausübte. Monate oder gar Jahre auf den Weltmeeren fernab der zivilisierten Metropolen unterwegs, trotzten diese Naturburschen allen Gefahren der See. Beseelt von dem Anspruch, der Menschheit Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen zu sichern, setzten sie tagtäglich ihr Leben ein. Wahre Helden, denen Herman Melville in der Figur des fiktiven Kapitäns Ahab ein literarisches Denkmal für die Ewigkeit erbaute.

Leider aber agierten die Regierungen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert nicht so vorausschauend, wie unsere heutige Administration. Statt ihn also massiv zu subventionieren, ließen sie den Walfang erst sterben, um ihn dann auch noch – fast überall – zu verbieten. Heute ziehen die Wale daher wieder nahezu unbehelligt in den Ozeanen umher.

Diese Darstellung erscheint nicht nur verdreht, sie ist es auch. Tatsächlich gilt den meisten Zeitgenossen der Walfang als Paradebeispiel der zerstörerischen Wirkung des Menschen auf die Natur, als Metapher für rücksichtslose, allein von Gier getriebene Ausbeutung. Seine Überwindung wird als wichtiger kultureller Fortschritt empfunden. Tief gesunken ist das Ansehen der wenigen verbliebenen Walfangnationen. Kapitän Ahab ist der Antiheld, man fühlt und hofft mit Moby Dick.

Der Kampf gegen den Walfang etablierte einen der Gründungsmythen der ökologistischen Bewegung. Das international vereinbarte Moratorium aber wird ihr zu Unrecht als Erfolg zugeschrieben. In Wahrheit haben – ohne es zu wollen – John D. Rockefeller und Rudolf Diesel weit mehr zur Rettung der Wale beigetragen, als alle Öko-Aktivisten der Vergangenheit und Gegenwart zusammengenommen.

Der Blick auf die Walöl- und Walratproduktion amerikanischer Walfänger (Abbildung 1) zeigt einen steilen Anstieg in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Produkte, die aus den großen Meeressäugern gewonnen werden konnten, waren nützlich und erfüllten einen Bedarf. Die wachsende Nachfrage ermöglichte es, gute Preise zu erzielen und das Angebot durch Vergrößerung der Fangflotten, durch Ausweitung der Fanggebiete und durch Investitionen in effektivere Jagdmethoden zu erhöhen. In der Zeit des Bürgerkrieges aber stieß man erstmals an natürliche Grenzen. Man begann, die Wale schneller zu fangen, als sie sich vermehren konnten. Die Jagd wurde zunehmend zeit- und kostenintensiver. In diesem Umfeld lösten das Patent auf die Herstellung von Kerosin aus Erdöl (1853) und die erfolgreiche Bohrung in Titusville (1859) die Geburt der Erdölindustrie in den USA aus. Zu deren Aufschwung John D. Rockefeller entscheidend beitrug. Dem nicht mehr auszuweitenden Angebot an Walprodukten standen bald Erdölprodukte in großer Menge und Vielfalt zu weit geringeren Kosten gegenüber. Der amerikanische Walfang war am Ende.

Eine Atempause für Moby Dick, mehr nicht. Einige Bestände konnten sich erholen bevor das wahre Abschlachten begann (Abbildung 2). Segel- wurden durch Dampfschiffe ersetzt, geschleuderte Harpunen durch Kanonen. In den Kriegswirren der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Wale eine strategisch bedeutsame Ressource, wichtig für die nationale Autarkie. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam vor allen in Asien, besonders in Japan, die Versorgung einer notleidenden Bevölkerung mit Walfleisch hinzu. Die erneute Bedrohung der Bestände wurde frühzeitig erkannt und führte im Jahr 1946 zur Gründung der Internationalen Walfangkommission IWC. Deren Aufgabe aber war nicht etwa der totale Schutz, sondern vielmehr „die angemessene und wirksame Erhaltung und Erschließung der Walbestände“. Der Überfischung wurde keinesfalls Einhalt geboten. Bis 1980 brach die industrielle Waljagd fast vollständig zusammen. Denn parallel zur Abnahme der Bestände versorgte die Globalisierung die Welt mit Erdöl und seinen Derivaten, angetrieben vor allem durch den genialen Motor des Rudolf Diesel in Schiffen, Lokomotiven und Lastkraftwagen. Das Moratorium verabschiedete man erst 1986, als es kaum noch Großwale gab – und diese auch nicht mehr benötigt wurden.

Die Substitution von Rohstoffen ist in der Menschheitsgeschichte nicht ungewöhnlich. Oft sorgt der technische Fortschritt für eine Änderung des Bedarfs.Oft machen Innovationen auch neue Rohstoffquellen zugänglich, die nicht nur preiswerter, sondern auch effektiver sein können. Betrachtet man aber die Liste einstmals wertvoller und begehrter Ressourcen, die ihre Relevanz verloren haben, fällt eines besonders auf. Ob Holzkohle für die Eisenverhüttung, ob Bienenwachs für Kerzen, Felle für die Kleidung, ob Purpurschnecken, Guano, Elfenbein, Naturkautschuk oder eben Wale: Fast immer sind es nachwachsende Rohstoffe, die durch mineralische ersetzt wurden.

Wo einerseits die Nutzung letzterer neue Möglichkeiten schafft, ihre „quasi-unendlichen“ Vorräte in immer größerem Umfang zu erschließen [4], droht bei ersteren immer eine Grenzüberschreitung. Nachwachsende Rohstoffe sind eben gerade nicht dauerhaft in beliebiger Menge verfügbar, wie die ökologistische Propaganda suggeriert. Die Sonnenergie, von der die Biosphäre lebt, ist ebenso limitiert wie der Wirkungsgrad der Photosynthese, die Flächen, auf denen Pflanzen und Tiere gedeihen können und die Geschwindigkeit ihrer Vermehrung. Das Angebot an Biomasse kann nicht beliebig ausgeweitet werden.

Sicher, in gewissem Umfang sind Flora und Fauna in die Technosphäre überführbar. Treibhäuser und Tierhaltung, Zucht und Gentechnik stellen zentrale Elemente einer modernen, hochproduktiven Landwirtschaft dar, ohne die die Menschheit nicht hätte prosperieren können. Es sind gerade nicht „natürliche“ Lebensgrundlagen, von denen wir abhängen. Es ist die Emanzipation von diesen, die unser Überleben nicht nur sichert, sondern es auch angenehm gestaltet. Fortschritt beinhaltet die Fähigkeit, sich seine Lebensgrundlagen selbst zu schaffen.
Das hilft auch der Natur. Es waren eben nicht die ökologistische Propaganda, nicht Aktivisten in Schlauchbooten oder politische Nachhaltigkeitsideologen, die die Wale gerettet haben.  Es war letztendlich die durch Erdöl und den Dieselmotor geschaffene Möglichkeit, sie einfach in Ruhe zu lassen. Die Tendenz zur übermäßigen Nutzung nachwachsender Rohstoffe resultiert nicht aus Zerstörungswut, sondern aus dem nur allzu menschlichen Wunsch nach Verbesserung der individuellen Lebensumstände. Nachhaltigkeit, also die Gewinnung biogener Ressourcen nicht über ihre Regenerationsrate hinaus, erfordert immer eine Regulierung dieser Wünsche, erfordert eine Begrenzung von Angebot und Nachfrage und geht daher automatisch mit Freiheitsverlust, Stillstand und Rückschritt einher. Klüger ist es, nachwachsende Rohstoffe entweder gar nicht erst zu nutzen, oder sie schnellstmöglich durch mineralische zu ersetzen, denn dies schafft für beide, für Mensch und Natur, den notwendigen Raum zur Entfaltung. So kann man heute in Flugzeuge und Schiffe steigen, um an die Orte zu gelangen, an denen sich noch immer oder wieder die großen Wale in freier Wildbahn tummeln.

Noch, sollte man vielleicht ergänzen. Denn wenn es durch die deutsche Energiewende den Wäldern hier und anderswo an den Kragen geht, damit Biomasse wie in vorindustrieller Zeit der wichtigste Primärenergieträger werden kann, kommt man vielleicht noch auf ganz andere Ideen. Schließlich ist so ein Wal eine tolle Sache. Mit Tran könnte man beispielsweise Kanzleramt und Parlament beleuchten – und das vollkommen CO2-neutral.


Peter Heller ist Astronom und Physiker, übt diese Profession aber mittlerweile nur noch mit dem eigenen Teleskop im eigenen Garten aus. Nach Zwischenstationen in der Software- und Raumfahrtindustrie arbeitet er heute als Strategieberater, Zukunftsforscher und Trendscout

Zuerst erschienen in Science Sceptical Blog  und NOVOArgumente

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