Roger Letsch / 29.04.2017 / 12:00 / Foto: uritours / 10 / Seite ausdrucken

Wie in Deutschland Solidarität requiriert wird

Es gibt tatsächlich Menschen, die Deutschland wieder verlassen müssen. Zum Beispiel dann, wenn ihr Arbeitsvertrag oder ihr Touristenvisum ausläuft. Und es soll sogar Fälle geben, in denen ein Asylantrag abgelehnt wurde, womöglich sogar aus Gründen. So ging es auch einem Migranten aus Eritrea, der über Italien nach Europa kam, dann aber lieber nach Deutschland weiterreiste. Seiner Ausweisung entging er, weil er in der evangelischen Gemeinde Flintbek in Schleswig-Holstein Kirchenasyl erhielt. Doch irgendwie war den Eltern der Kindergartenkinder nicht wohl dabei, dass der Pfarrer diesen Kirchenasylanten kurzerhand im Keller der Kita unterbrachte.

„Niemand – auch kein Pastor – kann uns garantieren, dass es bei einem womöglich traumatisierten Flüchtling, der sich wochenlang in einem Kellerraum ohne Tageslicht aufhält, nicht zu einer Kurzschlussreaktion kommen kann“, wird eine Mutter zitiert.

Den Pastor jedoch ficht solch kleinliches Sicherheitsdenken nicht an. Kurzschlussreaktionen? Wer hätte je von sowas gehört, wird er wohl gedacht haben. Deshalb machte er der verstörten Gemeinde klar, dass es sich hier um einen Fall übergeordnetes Interesse handelt:

„Wer die Haltung der Ev. Kirchengemeinde Flintbek in dieser Frage [des Kirchenasyls] für falsch hält, dem mag eine Abmeldung des Kindes aus unserer Kita ein notwendiger Schritt erscheinen, den wir bedauern“, [..] Die Gemeinde werde es allerdings nicht akzeptieren, „dass die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft als potenzielle Gefährder oder Terroristen öffentlich verunglimpft werden“.

Ich denke, in dieser rotzigen Antwort des Pfarrers sind einige entlarvende Gedanken enthalten. „Wem’s hier nicht passt, der soll halt gehen“, klingt zwar reichlich unverschämt für einen Pfarrer und offenbart einen erheblichen Mangel an Empathie gegenüber den Mitgliedern der eigenen Gemeinde, die ja nicht nur „seine Nächsten“, sondern auch seine Schäflein sind. Über die charakterlichen Eigenschaften ihres Hirten mag sich jedoch dessen Gemeinde streiten.

Arroganz gepaart mit feinstem Narzissmus

Aber ich ging bisher immer davon aus, dass „die schwächsten Glieder unserer Gesellschaft“ unmöglich asylsuchende Flüchtlinge sein können, sondern ausgerechnet die Kinder, deren Schutzbedürftigkeit der feine Herr Pfarrer ohne Zögern seiner egoistischen Helferattitüde opfert. Ein Opfer, das ihn zudem nichts kostet. Die Schutzbedürftigkeit eines gewiss nur potenziellen Gefährders wird von ihm höherwertig eingeschätzt als die der Kinder seiner Gemeinde.

Dabei frage ich mich schon, ob die Daseinsberechtigung einer Kita eher in der Betreuung von Kindern oder der Unterbringung von Flüchtlingen liegt. Aber was weiß ich schon. Offensichtlich gilt es heute nicht nur für den Staat als obsolet, Verständnis und Solidarität bei seinen Bürgern einzufordern. Zu gefährlich, die Leute könnten „nein“ sagen. Also wird diese Solidarität kurzerhand requiriert, und wem das nicht schmeckt, der darf sich als Feind der Gesellschaft beschimpfen lassen. Ich nenne dies moralische Erpressung.

Und noch etwas finde ich befremdlich. Wieviel Arroganz steckt in der Idee, ein Mensch könne in einem Kellerloch ohne Tageslicht besser aufgehoben sein als in seiner Heimat oder dem Land, in dem er eigentlich hätte Asyl beantragen müssen, in diesem Fall Italien? Sich solches als gute Tat anzuheften, ist allerfeinster Narzissmus.

Der Keller ist nun leer, denn der Zweck der Scharade ist erfüllt. Da der Eritreer nun über sechs Monate in Deutschland weilt, kann er nicht wie ursprünglich vorgesehen nach Italien abgeschoben werden, wo er zunächst um Asyl nachgesucht hatte. Grund: die Überstellfrist ist nun abgelaufen! Und so hat ein evangelischer Pfarrer aus einer Aufgabe des Staates Eritrea, die dann ein Problem des Staates Italien war, erst eines der Kinder seiner Gemeinde gemacht, um es schlussendlich und erfolgreich zum Problem Deutschlands zu machen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt.

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Leserpost

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Jürgen Streeb / 29.04.2017

Die Arroganz der Kirchen schreit in der Tat zum Himmel! Ob da jemand wohnt, der dieses vernimmt?

Torsten Bengtsch / 29.04.2017

Wenn ich nicht bereits aus der Kirche ausgetreten wäre, würde ich es spätestens jetzt tun. Es ist schon toll, wenn der Pfarrer seine Nächstenliebe und christliche Mildtätigkeit abfeiert, die Kosten dafür aber nicht selbst trägt, sondern der Allgemeinheit aufbürdet. Mit anderer Leute Geld ist leicht, freigebig zu sein. Wie allerdings Kirchenasyl funktioniert oder warum die Reste der Staatsgewalt, die uns noch geblieben sind, dieses Kirchenasyl respektieren, ist mir nicht klar. Sowohl Kirchen als auch die profanen Gebäude sind doch keine rechtsfreien Räume. Warum verschafft sich die Exekutive nicht einfach Zugang zum Gebäude und holt den abzuschiebenden Eritreäer dort ab? Putzig ist nämlich, dass der sog. Flüchtling, wie welt-online berichtete, nicht mehr im Keller der KiTa weilt, weil der Landrat darauf bestand, dass die Baugenehmigung es nicht zulasse, den Flüchling im Kellerloch unterzubringen. Mir erschließt sich dabei nicht, wieso der Pfarrer das Baurecht beachtet, das Ausländerrecht aber nicht. Und mir erschließt sich auch nicht, wieso der Landrat zwar das Baurecht durchsetzte, nicht aber die Abschiebung des Migranten.

Matthias Hofmann / 29.04.2017

Kirchenasyl entbehrt in Deutschland jeder Rechtsgrundlage. Insofern hat sich der Pastor möglicherweise strafbar gemacht, in dem er staatliches Handeln verhindert hat. Aber welche Behörde würde das heutzutage schon verfolgen? Mein Vorschlag: Dem Pastor ist die Verantwortung für seine Gemeinde durch den zuständigen Bischof (der vom Staat bezahlt wird!) zu entziehen. Der Pastor hat für den Illegalen vollumfänglich bis zu dessen Ausweisung aufzukommen.

M. Haumann / 29.04.2017

Dieser Mensch sass erfolgreich im Kita-Keller, weil er amtlich bestätigt eben kein Teil unserer Gesellschaft ist und schwach scheint er schon gar nicht zu sein, denn er hat doch erreicht, was er wollte. Das unsägliche Verhalten dieses Pfarrers spiegelt dabei nur das derer in den obersten Entscheidungsetagen, für die ihr selbst aufgesetzter Heiligenschein auch Vorrang vor der Sicherheit von Leib und Leben ihrer eigenen Bürger hat. Ganz besonders und perfiderweise der Schwächsten unserer Gesellschaft.

Wolf-Dietrich Staebe / 29.04.2017

Ein hunderttausendfaches Problem für Deutschland. Leute wie dieser Pfarrer Leben ihre Solidarität (oder was auch immer) mit den Neuhiers auf Kosten der Allgemeinheit aus. Müssten solche Leute selbst die Rechnung für den Irrsinn begleichen, den sie hier im Namen der Humanität anrichten, wäre der Spuk ganz schnell wieder vorbei.

Belo Zibé / 29.04.2017

Meist beschränken sich die egoistische Helferattitüden auf das “Requirieren” gemeinschaftlichen Eigentums und kaum auf die Privatgemächer der meist ausserordentlich geräumigen ev./kath. Pfarrhäuser, bzw. Anwesen und grosszügigen Wohnverhältnisse jener, die zur Solidarität und Verzicht aufrufen.

A.Gerdes / 29.04.2017

EIn sehr beliebtes Motto unserer Zeit: Liebe deinen Übernächsten!

Ernst Siegel / 29.04.2017

Dieser Pfarrer sollte einmal darüber nachdenken, ob er im richtigen Land den richtigen Beruf gewählt hat. Hinzu kommt, das es ihm egal ist, ob Eltern den Kita Platz kündigen, oder nicht - für finanzielle Belange ist ja ohnehin der dumme (Kirchen)Steuerzahler zuständig. Die links-grüne Arroganz steckt in allen Ebenen. Hätte er keine Rückendeckung auf politischer Ebene, hätte er mit Sicherheit aus freien Stücken diese Entscheidung nicht getroffen. Schließlich hätte er den “Flüchtling” ja auch bei sich zuhause aufnehmen können, wenn es ihm nur die Nächstenliebe geht. Prima, wie man sich so einfach aus der Verantwortung stehlen kann, und andere dafür noch in die rechte Ecke stellen. Ich bin jeden Tag froh, das ich vor 15 Jahren aus diesem Verein ausgetreten bin. Dieser Fall ist wieder einen Bestätigung mehr!

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