Boris T. Kaiser, Gastautor / 18.01.2016 / 18:02 / 0 / Seite ausdrucken

Wie ich einmal fast Mitleid mit Sahra Wagenknecht gehabt hätte…

Boris T. Kaiser

Sahra Wagenknecht hat einen schweren Fehler gemacht. Sie hat etwas vernünftiges gesagt. Dies ist für sie nicht nur extrem ungewöhnlich, es ist in ihrer Position auch sehr ungeschickt. Denn Wagenknecht ist schließlich Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. In der Partei „Die Linke“ sind Vernunft und Pragmatismus ein absoluter Karrierekiller. Dies kann Sahra Wagenknecht derzeit am eigenen Leib erfahren.

Nach ihrer Äußerung zu den Sexübergriffen von Köln in der Silvesternacht laufen die Genossen gegen sie Sturm. Die Frau, die bis dato Ikone des linken Flügels in der Partei war, hatte es gewagt, etwas zu sagen, das für jeden halbwegs intelligenten Menschen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte: „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.“ Da es in der Linken aber nur einen sehr überschaubaren Anteil intelligenter Mitglieder gibt, muss sich Wagenknecht jetzt für diesen Ausbruch an Rationalität rechtfertigen und wird auf das schärfste dafür angegangen.

Nahezu die komplette Fraktion stellte sich gegen ihre Vorsitzende. Könnte man im ersten Moment vielleicht positiv anmerken, dass die SED-Nachfolgepartei immerhin mittlerweile verstanden hat, was Demokratie bedeutet und sich von jeglichem Obrigkeitsdenken losgelöst hat, muss man auf den zweiten Blick jedoch leider feststellen, dass es in der Linken eine Abscheu gegen jede von der Parteilinie abweichende Meinung gibt, ganz wie in alten Zeiten.

Die Äußerungen Frau Wagenknechts seien nicht hinnehmbar, hieß es aus dem Kreis der Abgeordneten. Zwar kann man mit „nicht hinnehmbaren“ Meinungsäußerungen nicht mehr so einfach und erbarmungslos verfahren wie in der „guten alten Zeit“, dulden will man Abweichler in der Linkspartei deswegen aber noch lange nicht. In Ihrem massiven Unmut über die Aussagen von Sahra Wagenknecht zeigt sich die Linke erstmals seit Ewigkeiten wieder als lupenreine Einheitspartei. Die Versuche, sie in der Asyl- und Flüchtlingsfrage wieder auf Linie zu bringen, kommen vom linken Flügel gleichermaßen wie vom vermeintlichen Reforflügel.

Die Linksjugend Sachsen belehrt die Fraktionsvorsitzende:

Asylsuchende sind keine Gäste. Sie sind keine Tourist*innen, sie kommen nicht hierher, weil sie die Menschen so nett finden oder weil sie das Land gerne mal besuchen wollten, sondern aus blanker Not. Sie kommen, weil ihre grundlegendsten Menschenrechte bedroht sind: Das Recht auf Leben, auf Schutz vor Folter, Verfolgung oder Erniedrigung. Es geht dabei um nicht weniger als ihre Menschenwürde.

Woher man bei der Linksjugend weiß, dass alle Asylsuchenden aus „blanker Not“ zu uns kommen, erklärt man nicht. Die Fakten sprechen jedenfalls eine andere Sprache und viele, die da kommen, wirken äußerlich, zumindest auf den ersten Blick, tatsächlich eher wie Touristen und nicht wie von Krieg, Verfolgung und Armut geschundene Flüchtlinge.

Ähnlich didaktisch und altklug, kommt die Linksjugend Baden-Württemberg mit ihrer Erklärung zu den Wagenknecht-Aussagen via Facebook daher:

Aus einem humanitären Grundrecht wird ein “Gastrecht” und plötzlich haben wir “Kapazitätsgrenzen”. Was manche “Prominenz” der Partei so von sich gibt, hat jeden Anschein linker Politik verloren.

1. Das Asylrecht ist und darf niemals als “verschärftes Strafrecht” missbraucht werden. Wenn ein Mensch in der BRD eine Straftat begeht, wird er nach dem geltenden Recht verurteilt und bestraft. Aufgrund der Herkunft zusätzliche Strafen zu verhängen, oder gar jemand zurück in Krieg, Folter und gewalt abzuschieben widerspricht nicht nur dem Prinzip eines Rechtsstaates sondern ist zutiefst Menschenverachtend.

2. Phantasierte “Kapazitätsgrenzen” orientieren sich nicht an tatsächlichem Aufwand zur Unterbringung und Versorgung sondern an völkischen Vorstellungen. Das die BRD durchaus wirtschaftlich in der Lage ist auch 1 Millionen Geflüchtete zu versorgen steht ausser Frage. Nur ein Beispiel: Es gibt 1,7 Mio. leerstehende Wohnungen. Vor allem bleibt aber eine Frage offen: Warum soll der Flüchtende der zuerst ankommt uns mehr Wert sein, als derjenige, der ankommt nachdem die “Obergrenze” erreicht ist? #‎refugeeswelcome‬


Mal ganz davon abgesehen, dass die FDJ Baden-Württemberg durch die mehrfache Verwendung des DDR-Terminus „BRD“ klar ihre Geisteshaltung offenbart, lässt sie, anders als behauptet, nicht nur eine sondern viele Fragen offen.

Zum Beispiel die Frage, ob es jungen Linken heute vornehmlich darum geht, den „Anschein linker Politik“ zu wahren oder sie vielleicht doch irgendwann einmal gewillt sein könnten, das Richtige für das Land zu tun.

Auch könnte man die jungen wilden Linken fragen, ob sie ernsthaft daran glauben, dass jeder, der in der „BRD“ eine Straftat begeht „nach dem geltenden Recht verurteilt und bestraft wird“, oder ob sie schon einmal etwas von „No-Go-Areas“ und „islamischer Paralleljustiz“ gehört haben.

Vor allem aber würde mich interessieren, wen genau man bei der Linksjugend Baden-Württemberg mit den „1 Million Geflüchteten“ meint, die von der reichen „BRD“ und ihren stets melkbereiten Steuerzahlern so locker vollversorgt werden können. Sind jene gemeint, die schon gekommen sind? Diese dürften dann schon jetzt wesentlich mehr als 1 Million sein. Meint man jene, die noch kommen? 1 Million pro Jahr? Halbjahr? Quartal?

Zu guter Letzt würde mich ernsthaft interessieren, wann denn für die linke Jugend die Kapazitätsgrenzen tatsächlich erreicht und nicht mehr nur durch „völkischer Vorstellungen dahinfantasiert“ wären.

Auf keine dieser Fragen werde ich wohl eine Antwort bekommen. Genauso wenig wie Sahra Wagenknecht.

Wenn man nicht wüsste, dass „die Musterschülerin von Oskar Lafontaine“ sich nur aus blankem Populismus gemäß dem gesunden Menschenverstand geäußert hat, könnte sie einem schon fast leidtun.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Boris T. Kaiser, Gastautor / 21.02.2019 / 06:25 / 95

Schichtwechsel bei Böhmermann - und raus bist du!

Von Boris T. Kaiser In dieser Woche startet die neue Staffel des „Neo Magazin Royale“ von und mit Jan Böhmermann. Bis vor wenigen Tagen bin…/ mehr

Boris T. Kaiser, Gastautor / 23.09.2016 / 17:06 / 5

Berlin - leben und sterben lassen

Von Boris T. Kaiser. Berlin ist so bunt und tolerant, dass nicht einmal auffällt, wenn ein 2-Meter-großer Latzhosenträger eine nackte, mit Kabelbindern gefesselte Leiche in einer Sackkarre…/ mehr

Boris T. Kaiser, Gastautor / 18.11.2015 / 14:10 / 7

Very German. Die deutschen Reaktionen auf die Attentate von Paris

Boris T. Kaiser Es wirkt bizarr. Viele scheinen sich dieser Tage wieder einmal nur dann guten Gewissens eine Verurteilung des islamistischen Terrors abringen zu können,…/ mehr

Boris T. Kaiser, Gastautor / 20.10.2015 / 20:32 / 9

An allem ist Pegida schuld

Boris T. Kaiser Akif Pirinçci hat auf der letzten Pegida-Demonstration für einen Eklat gesorgt. Der für seine derbe, bewusst eingesetzte Vulgärsprache berühmt-berüchtigte Autor hat gesagt,…/ mehr

Boris T. Kaiser, Gastautor / 30.08.2015 / 11:13 / 6

Es tut so gut, sich zu schämen

Boris T. Kaiser Es scheint ein gutes Gefühl zu sein, sich zu schämen. Vor allem für Dinge, für die man selbst eigentlich gar nichts kann.…/ mehr

Boris T. Kaiser, Gastautor / 20.08.2015 / 10:40 / 9

Wenn die Falschen zum Messer greifen

Boris T. Kaiser Jennifer Weist, Frontfrau der Pop-Rockband „Jennifer Rostock“, schockte Fans und Presse dieser Tage mit einem Foto auf Facebook. Das Bild, das sie…/ mehr

Boris T. Kaiser, Gastautor / 05.02.2015 / 11:17 / 6

In der Wohlfühlzone der Guten

Boris T. Kaiser Nach dem Quasi-Ende von Pegida dürften bei der deutschen Linken viele Kapazitäten frei werden. Jede Woche hatte man gegen Pegida demonstriert, vor…/ mehr

Boris T. Kaiser, Gastautor / 14.12.2014 / 21:58 / 7

Ängste, diffuse

Boris T. Kaiser Die Pegida-Bewegung hat mit ihren Großdemonstrationen immerhin Eines erreicht: Die Angst vieler Bürger vor einer Islamisierung Europas kann von den Massenmedien nicht…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com