Michael Miersch / 09.03.2007 / 10:29 / 0 / Seite ausdrucken

Wie Grzimek uns alle grün machte

Vor zwanzig Jahren starb Bernhard Grzimek. Der Zoologe lockte eine ganze Nation vor dem Bildschirm und veränderte sie stärker als die meisten Bundeskanzler. Durch ihn wurden wir alle grün.

Erschienen in DIE WELT am 08.03.2007

Heute wollen alle den Planeten retten, die Bildzeitung, die Kirchen und der Bundestag. Vor einem halben Jahrhundert galt es noch als völlig abwegig, sich Sorgen um Singvögel und Wale zu machen. Die Menschen hatten andere Sorgen. Das Wort „Umweltschutz“ war noch nicht erfunden und „Ökologie“ kannten höchstens ein paar Akademiker. Rauchende Schlote galten als Sinnbild des Wirtschaftswunders. Da taucht plötzlich ein hoch gewachsener Herr mittleren Alters im Fernsehen auf, hängt sich Affen um den Hals und erzählt von der Wildnis. Völlig gegen den Zeitgeist erklärt er, dass auch Nashörner wichtig sind und nicht nur Autos. Und das Verrückte: Er hat Erfolg damit. Seine Sendung „Ein Platz für Tiere“ läuft in 170 Folgen fast drei Jahrzehnte lang und erreicht Einschaltquoten von 70 Prozent.
Vor zwanzig Jahren, am 13. März 1987, starb Bernhard Grzimek 78jährig beim Besuch einer Zirkusvorstellung. Er wurde, wie er es sich gewünscht hatte, am Rande des Ngorongoro-Kraters begra¬ben, in einem der schönsten Tierparadiese Tansanias. Dort liegt er neben seinem ältesten Sohn Michael, der 1959 ganz in der Nähe bei den Dreharbeiten zu „Serengeti darf nicht sterben“ mit dem Flugzeug verunglückt war.
1960 erhält Bernhard Grzimek für „Serengeti darf nicht sterben“ als erster Deutscher einen Oskar. Der Film fordert besseren Schutz für die Wildtiere Afrikas und wird ein Welterfolg. Plötzlich beschleicht viele Bewohner der Industrieländer das Gefühl, dass etwas Wichtiges verloren geht. Mitten im Sputnik-Futurismus der sechziger Jahre spricht Grzimek vielen aus der Seele. „Serengeti darf nicht sterben“ entwirft die romantische Utopie einer Generation. Die Botschaft provoziert. Die deutsche Filmbewertungsstelle will das Prädikat „wertvoll“ nicht erteilen, weil es im Film heißt, der Schutz von Wildtieren sei für die Menschheit ebenso wichtig wie der Erhalt des Petersdoms oder der Akropolis.
Ein halbes Jahrhundert später ist der Erfolg offensichtlich. Nicht nur die Anzahl der Wildtiere in der Serengeti stieg seit Grzimeks Zeiten rapide an, auch die Zahl der Nationalparks und anderer großer Schutzgebiete kletterte von eine Paar Dutzend auf viele Tausend. Rund um den Erdball kümmern sich Naturschützer um den Erhalt von Pandas und Pinguinen. In den wohlhabenden Ländern dehnt sich die Waldfläche aus, sind die Flüsse und Seen sauberer denn je. In fast allen Ländern gibt es Umweltminister. Der Erhalt der Natur gilt als Menschheitsziel ersten Ranges.
Das alles wäre sicherlich auch ohne Grzimek so gekommen, doch in Deutschland nicht so schnell und so erfolgreich. Er gibt der Natur eine Stimme und erobert mit seinen Filmen die Seelen der Kinder. Manchen, der in den fünfziger und sechziger Jahren geborenen, wird seine Warnung zum Auftrag: Ihr müsst die Wildnis beschützen, wenn das Abenteuer nicht verloren gehen soll. Die Generation Grzimeks wird grün und bleibt es bis heute.
Wenn er im Fernsehen Leopardenmäntel ver¬dammt, kann sich am nächsten Tag keine Frau mehr damit blicken lassen. Als Er¬ster zeigt er dem geschockten Fernsehpublikum Bilder von Käfighennen. Dafür schleicht er sich ohne Erlaubnis auf den Hof des Bauern, der ihm allwöchentlich die Eier ins Haus liefert.
Weil er ahnt, dass die Naturgebiete Afrikas auf Dauer verloren gehen würden, wenn sie sich für die jungen Staaten nicht wirtschaftlich auszahlen, unterstützt er den aufkommenden Ferntourismus. In seiner Sendung verkündet er, es gäbe jetzt Pauschalreisen nach Ostafrika. Die Meldung ist frei erfunden. Doch Frechheit siegt: Wenigen Monate später gibt es solche Fernrei¬sen wirk¬lich, denn mehrer große Reiseunternehmen wollen Afrikareisen anbieten, bevor es andere tun. So stirbt die Serengeti nicht sondern wird zum Touristenmagneten.
Wer viel bewegt, den möchten viele vereinnahmen. Anfang der siebziger Jahre - Umwelt war gerade ein Thema geworden - ernennt Bundeskanzler Willy Brandt den Zoologen zum Bundesbeauftragten für Naturschutz. Er tritt zurück, als er merkt, dass die Regierung nur ein popu¬läres Fernsehgesicht ohne Befugnisse haben will. Auch sein zweiter Versuch in die Politik zu gehen bleibt im Ansatz stecken. Nur für kurze Zeit enga¬giert er sich für die „Grüne Aktion Zukunft“, eine Vorläuferpartei der Grünen.
Wer heute Grzimeks Bücher und Zeitungsartikel liest, staunt, wie stark sich das Thema Tiere in der Öffentlichkeit seit damals verändert hat. „Für einen Tierschutz aus – wie er es nannte – verzärtelten Gründen, war Grzimek nicht zu haben,“ sagt sein alter Weggefährte Markus Borner, der in der Serengeti das Büro von Grzimeks Zoologischer Gesellschaft leitet. Grzimek geht es um Artenschutz und Tierschutz nach wissenschaftlichen Erkenntnissen. Er betrachtet Wale nicht als mythische Wunderwesen, sondern als Wildtiere, gegen deren sinnvolle Nutzung im Prinzip nichts einzuwenden ist – wenn es nicht in Raubbau ausartet. Tierversuche lehnt er als Tierarzt und Zoologe nicht ab, son¬dern betont, dass „unsere gesamte Medizin - die erfolg¬reiche Bekämpfung so vieler Krankheiten bei Menschen und Tieren - durch Tierversuche erst ermöglicht worden ist.“ Würde er noch Leben, wäre er in den Augen der Tierrechtler von PETA und Co. wohl ein Bösewicht. Doch das hätte ihn kaum gestört.
Eine gesunde Portion Sturheit gehört zu seiner emotionalen Ausstattung. Es schert ihn wenig, ob ihn gerade die Kirchen oder die Kommunisten angreifen, im Gegenteil es spornt ihn an. Seine große Karriere beginnt nach dem Krieg, als ihn der von der US-Army eingesetzte provisorische Bürgermeister Frankfurts zum Polizeipräsidenten ernennt. Das ging, weil Grzimek halbwegs sauber geblieben war. Er hatte sich unter den Nazis angepasst und als Veterinär-Offizier seinen Dienst versehen, aber immerhin ein paar Verfolgten geholfen. Sein Verhältnis zur Obrigkeit bleibt ein Leben lang rein taktisch und frei von ideologischem Eifer. Er setzt sich mit jedem an den Tisch, egal ob Demokrat oder Diktator, immer das Ziel vor Augen, etwas für den Naturschutz herauszuholen. Als Botschafter der Tiere trifft er sich mit den schlimmsten Despoten und Schlächtern Afrikas. Mitten im Kalten Krieg ehren ihn die DDR und die Sowjetunion mit Ehrendoktorwürden. Grzimek hätte sich auch mit dem Teufel getroffen, wenn ein Nationalpark in der Hölle dabei herausgekommen wäre. Wenn es um die Rettung der Tiere geht, nimmt Grzimek nicht immer Rücksicht auf Menschen. Seine Kritiker werfen ihm vor, die rücksichtlose Umsiedlung afrikanischer Dorfbewohner unterstützt zu haben, um menschenleeres Land für Nationalparks zu gewinnen.
Die politischen Schlachten seiner Zeit interessieren ihn nicht sonderlich. Doch wenn er sich was in den Kopf setzt, zieht er alle Register der Überredungskunst. Im zerbombten Frankfurt läuft er dabei zu Hochform auf. Er will nicht die Polizeichef werden, sondern Zoodirektor. „Sind Sie irre,“ fragt ihn ein Offizier, „sich in einer Stadt die zu sechzig Prozent zerstört ist, um Affen zu kümmern?“ Er bleibt irre, verwirklicht seine Träume und erreicht fast alles, was er sich vornimmt. Als erstes Eröffnet er ohne Genehmigung der Militärverwaltung den Zoo, beziehungsweise das, was davon übrig geblieben war. In den ersten Nachkriegsjahren rührt Grzimek unentwegt die Werbetrommel. Er holt Operntenöre in den Zoo, lässt Elefanten weiß anstreichen und eine Achterbahn aufbauen. Intuitiv und treffsicher bedient er sich aller Verführungskünste der Produktwerbung. Schon ein Jahrzehnt später ist sein Zoo der modernste und meistbesuchte, die Nummer Eins in Deutschland. Der „Frankfurter Zoo“ wird in der Ära Grzimek zur Marke, jedem so geläufig wie „Frankfurter Würstchen,“ und sein Direktor wird zum bekanntesten Frankfurter nach Goethe. Ab 1956 sendet der Hessische Rundfunk „Ein Platz für Tiere.“ Grzimeks immer gleiche Begrüßungsformel „Guten Abend meine lieben Freunde“ wird mit jedem verkauften Fernsehgerät bekannter. Seine Spendenappelle am Ende der Sendung bringen Millionen für den Naturschutz ein. Ein Zoodirektor wird zum Popstar.
Doch während in Afrika mit Grzimeks Unterstützung ein Nationalpark nach dem anderen gegründet wird, bleibt Deutschland Entwicklungsland in Sachen Naturschutz. Nachdem er es viele Jahre lang hartnäckig gefordert hatte, wird 1970 endlich der erste deutsche Nationalpark im Bayrischen Wald gegründet. Fast ein Jahrhundert nach dem Yellowstone Park, dem ersten Schutzgebiet dieser Art auf der Welt. Bis in die siebziger Jahre bleiben Natur- und Umweltschutz die Hobbys eines Häufleins Idealisten. Doch dann explodiert das grüne Denken, eine Massenbewegung entsteht. 1975 gründet Grzimek mit Gleichgesinnten eine der stärksten Organisationen, die diesen Prozess vorantreiben, den Bund für Umwelt- und Naturschutz.
Seither hat sich viel verändert: Deutschland hat nun viele Nationalparks, der Himmel über der Ruhr ist wieder blau und die bayerischen Seen haben Trinkwasserqualität. Vor den Häusern stehen Autos mit Kat und bunte Getrenntmülltonnen, jeder will grün sein und die Öko-Apokalypse gehört zur Folklore. Grzimeks Mahnungen sind Mainstream. Er hat sein Land und sogar ein bisschen die Welt verändert. Wir Kinder der fünfziger und sechziger Jahre werden seine knarzende Stimme nicht vergessen.

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