Paul Nellen / 28.08.2015 / 09:17 / 4 / Seite ausdrucken

Wie Frau Katrin den Fachkräftemangel der deutschen Wirtschaft beheben will

Eine Meldung von vorgestern, die ich auf einer wenig bekannten Website gefunden habe:

Die Regierung in Tirana kritisiert Deutschland für den zu laxen Umgang mit albanischen „Asylbewerbern“. Die Regierung in Tirana bezeichnet alle „Ausreisenden“ als Wirtschaftsflüchtlinge und beklagt sich über das Ausbluten von Fachkräften… Der Grund ist für viele Albaner reizvoll. Wer in Deutschland mit seiner Familie um Asyl ansucht, bekommt in Deutschland mehr Geld als ein qualifizierter Facharbeiter in Albanien. „Das ist einfach absurd!“ jammert Albaniens Innenminister Saimir Tahiri. Er weist darauf hin, dass nach Ende des kommunistischen Regimes in den ersten zehn Jahren 800’000 Albaner das Land verlassen hatten. Das ist jeder vierte Albaner! Der Aderlass lähmt offensichtlich die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin. Darum die Proteste Tiranas in Richtung Berlin.
http://www.mmnews.de/index.php/politik/52119-albanien-fordert-von-d-hartes-vorgehen-gegen-schein-asylanten

Für diese Meldung habe ich bis heute früh keine seriöse, unabhängige Bestätigung in den deutschen Newsmedien gefunden.

Immerhin: mindestens eine Meldung der albanischen News-Website http://www.fax.al zum gleichen Thema gibt es. Im Wesentlichen stimmt die albanische Quelle mit der Meldung auf MMNEWS überein; die bekanntlich immer etwas schräge Übersetzung des Originals mit dem Google Translator beweist es ([] = meine Korrekturen/Ergänzungen):

[Albaniens Innenminister ] Saimir Tahiri spricht für [über] Asylsuchende, gibt es [macht] einen Vorschlag für Deutschland. Innenminister Saimir Tahiri hat heute vorgeschlagen, dass der deutsche Staat keine Sozialhilfe [an] albanische Asylbewerber, die gegangen [sind] und noch immer dort stehen, zu bezahlen. Nach Monaten de[s] massiven Abfluss Phänomen[s] aus verschiedenen Städten des Landes wirtschaftliche Asyl zu suchen, kam Minister Tahiri heute in einer Erklärung [an die Öffentlichkeit]. “Wir sind voll und ganz bereit, um zu verhindern und einzudämmen das Phänomen des Asyl. ... http://fax.al/read/news/1046255/10128960/saimir-tahiri-flet-per-azilantet-ka-nje-propozim-per-gjermanine

Dem unzweideutigen Wunsch der albanischen Regierung, den “Brain Drain” von dringend im Lande benötigten Arbeitskräften zu stoppen, stehen jedoch Bemerkungen von Katrin Göring-Eckardt MdB GRÜNE (parteinternes Kürzel: KGE) entgegen, die sie gerade in der ZEIT verbreitet hat. Sie müssen auf das kleine Balkanland wie eine Provokation wirken, liest man sie vor dem Hintergrund des Appells von Innenminister Tahiri. Die Co-Fraktionschefin schreibt:

Der Migrationswille der Menschen aus den Westbalkanstaaten könnte genutzt werden, um ihn in eine reguläre Einwanderung und Integration in den deutschen Arbeitsmarkt zu kanalisieren. Die [deutsche] Wirtschaft verlangt nach mehr Fachkräften, und zur Sicherung unseres Wohlstands sind wir auf – je nach Berechnung – zwischen 300.000 bis 500.000 Einwanderer pro Jahr angewiesen. http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-08/asylbewerber-regierungskoalition-goering-eckardt

Den Fachkräftemangel der deutschen Wirtschaft zu beheben und “unseren Wohlstand” nicht leiden zu lassen, ist anscheinend KGEs oberste Verpflichtung. Selbst der BDI würde nicht so schamlos egoistisch formulieren wie die abgebrochene Theologin, die sich jahrelang an einem besonders warmen Heuhaufen im Stall der EKD delektieren konnte. Angesichts unserer Wohlstandssorgen kann die Solidarität mit den Überlebensnöten eines kleinen Landes an der europäischen Peripherie nur stören, das sich nach Jahrzehnten finsterster kommunistischer Herrschaft um einen Platz an der Sonne bemüht. KGE und die Abgeordneten ihrer Partei entscheiden durch souveräne “Nutzung des Migrationswillens der Menschen aus den Westbalkanstaaten” mit über das Wohl oder Wehe Albaniens, ohne dafür vom albanischen Volk ein Mandat zu haben.

Einen rücksichtslosen neokolonialen Maternalismus könnte man das nennen. Vermutlich ist KGE sich der Folgen gar nicht richtig bewußt. Sie meint es nur gut, wenn sie die gewinnbringenden Seiten der Balkanmigration im Auge hat – für uns natürlich! Nur macht das die Sache nicht besser. Wie sagte Paul Collier, der britische Ökonom, Migrationsforscher und ehemalige Forschungsleiter der Weltbank doch neulich in einem Interview:

Es stimmt: Auswanderung kann positive Effekte haben. Aber wenn der Strom zu breit wird, nehmen diese [Auswanderer-]Länder Schaden. In vielen der ärmsten Länder der Erde ist dieser Punkt schon weit überschritten. Diese Länder erleben einen Exodus. Es ist ein Paradox: Einerseits unterhalten wir Entwicklungshilfeprogramme, andererseits akzeptieren wir eine Politik, die diesen Ländern schadet.

Das Interview mit Collier stand ebenfalls in der ZEIT. Vielleicht hat der albanische Innenminister es gelesen oder er folgt schon länger den Erkenntnissen des Wissenschaftlers. Der würde KGE vermutlich vorschlagen, sich lieber Gedanken um die Stärkung der albanischen Wirtschaft zu machen, und wie Deutschland dazu beitragen kann, dass die heimischen Arbeitskräfte dazu im Land der Skipetaren bleiben, anstatt ihr Heil nördlich der Alpen zu suchen.

Wenn das bei ihr nicht fruchtet, kann die Fraktionschefin auch noch beim Amtsvorvorgänger, dem soeben neugebackenen albanischen Honorarkonsul in Stuttgart anrufen, Rezzo Schlauch, der kürzlich seine doch eher divergenten und gar nicht grünen Vorstellungen über die Fluchtmotive der Albaner in einem Interview in der STUTTGARTER ZEITUNG dargelegt hat:

Flüchtlinge aus Albanien sind Wirtschaftsflüchtlinge. Es sind sicher Leute dabei, die von unseren Sozialleistungen gehört haben und deshalb nach Deutschland reisen. Rezzo Schlauch:  „Albanien ist ein sicheres Herkunftsland“, Stuttgarter Zeitung, 14. August 2015 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.rezzo-schlauch-zu-fluechtlingen-albanien-ist-ein-sicheres-herkunftsland.7f1dda2b-e0b3-489d-8d19-77ed89be8d37.html )

Bonjour, Katrin! Du solltest nun recht bald mal mit Parteifreund Schlauch nach Albanien reisen. Vielleicht fallen dir dabei ja Ideen ein, wie man dem sich immer mehr verschärfenden Arbeitskräftemangel in der albanischen Wirtschaft begegnen könnte?

Natürlich und hoffentlich nur solche, die die “Sicherung unseres Wohlstandes” nicht gefährden!

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Heiner Bargel / 29.08.2015

Vor 25 Jahren flüchteten/übersiedelten viele DDR-Bürger nach dem Sturz Honeckers weiter in die alte Bundesrepublik. Sie waren meist sehr gut ausgebildet. Linke und Grüne sahen in ihnen damals eine Gefahr für Wohnungsmarkt, Arbeitsmarkt etc. und pöbelten mit teils markigen Worten gegen diesen Zuzug. (http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/13498768) Die Zahlen waren im Vergleich mit den heute vom Balkan heranströmenden Flüchtlingen eher gering. Auf Erklärungsversuche von KGE zum Sinneswandel ihrer Partei innerhalb von 25 Jahren bin ich gespannt. Ich begreife aber auf der anderen Seite Frau KGE. Für jemanden, der sein Studium nie abgeschlossen hat, muss jeder, der über einen noch so geringen, aber rechtmäßigen Berufsausbildungsabschluß verfügt, eine anbetungswürdige Gestalt darstellen, da er die eigene Unvollkommenheit verdeutlicht.

Heinz-Jürgen Loth / 28.08.2015

Wer die Agenda 2010, Hartz IV und auch den Kosovokrieg 1999 bejaht hat, muss folgerichtig auch die Nutzung des “Migrationswillens der Menschen aus den Westbalkanstaaten” zur “Sicherung unseres Wohlstands” für angebracht halten. Wer wie Katrin Göring-Eckardt jeden Tag einen Bibelvers liest (http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/katrin-goering-eckardt-im-gespraech-ich-bete-nicht-fuer-urwahlergebnisse-11986853.html), weiß sich auf dem richtigen Weg. Kurzum, KGE bleibt ihrer Linie treu und ist auf gutem Weg zur Vizekanzlerschaft 2017.

Christine Maack / 28.08.2015

Frau Göring-Eckardt geht es doch gar nicht um die “Erhaltung unseres Wohlstandes”, zu dem sie ohnehin nie etwas beigetragen hat,  noch schert sie sich um den Arbeitsmarkt, in dem sie sich nie behaupten musste, zumal sie sich, wie es im Artikel so schön heißt,  “an einem besonders warmen Heuhaufen im Stall der EKD delektieren konnte”. Wohlstand und Arbeitsmarkt-Probleme sind für Göring-Eckardt und das Moralgeschwader in ihrem Kielwasser doch nur Auswüchse einer ausbeuterischen Gesellschaft. Ihr aufgesetztes Wirtschaftsgelaber ist vorgeschoben, um irgendeine Begründung dafür zu liefern, dass ihr Bestreben dahin geht, eine völlig ungehinderte Einwanderung aller Menschen dieser Welt, verfolgt oder nicht, zu ermöglichen. Da sie sich diesen Herzenswunsch nach einer “bunten Gesellschaft”, in der der eklige weiße Mann und die spießige deutsche Frau endlich aufgemischt werden, nicht so deutlich zu sagen traut, kramt sie wirtschaftliche “Argumente” hervor. Dumm nur, dass sie bei ihrer Scheinargumentation in der Tat etwas tief in die wirtschaftsliberale Giftkiste gegrabscht hat. Aber diesen Faux pas wird sie in der nächsten Talkshow mit larmoyanten Gefühlsduselei-Beiträgen (die stets mit Beifall quittiert werden) wieder wettmachen, da mach’ ich mir keine Sorgen.

Heiner Bargel / 28.08.2015

Kann mir mal jemand den Widerspruch in der linken und grünen “Willkommenskultur” von 1989 und 2015 erklären? Damals waren Übersiedler (meist wirklich gut ausgebildete Fachkräfte) aus der sich auflösenden DDR nicht willkommen. Vergleiche: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13498768.html

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