Alexander Wendt / 12.09.2013 / 19:16 / 4 / Seite ausdrucken

Wie die ‚Süddeutsche’ den Kindern die Demokratie erklärt

Ein paar Mal im Jahr sorgt sich die „Süddeutsche“ besonders gründlich um einen nachwachsenden und zugleich prekären Rohstoff – die Hirne ihrer kleinen Leser. Kinder Schwabinger Eltern sollen irgendwann zu Bürgern heranwachsen, die ihr Weltbild aus dem unentbehrlichen Blatt beziehen. Nun sind es bekanntlich, wie man seit Bettina Wegner weiß, empfindliche kleine Kindsköpfe, in die das große Wissen über Gut und Böse, Gerechtigkeit und Verteilung hineinsoll.

Aber der Lohn liegt ja schon im Werk selbst selbst, weshalb Heribert Prantl und seine Kollegen sprachlich leicht in die Knie gehen, um sich auf die vermutete intellektuelle Augenhöhe ihrer Leserkinder zu begeben. Dieses Mal – die Landtags- und Bundestagswahl stehen bevor – geht es um Demokratie.  Und Demokratie, liebe Kinder, da müssen wir mal etwas vereinfachen und abkürzen, geht in der Weltenlehre der „SZ“ nun mal vom Staat aus. Genauer gesagt, vom Staat, der Geld verteilt:

„In Deutschland soll niemand Not leiden. Wer auf Dauer zu krank und zu schwach ist, um Geld zu verdienen, dem hilft der Staat – also die Gemeinschaft aller Bürger. Man bekommt Geld: das ist nicht viel, aber für das Lebensnotwendigste gedacht.“

Nun nennt man die Gemeinschaft aller Bürger eher Gesellschaft als Staat, aber auf Details muss nun mal verzichten, wer zielgruppenorientiert schreiben will. Der Staat gibt aber noch viel mehr:

„Damit sich Leute trauen, gute Filme zu machen, haben Deutschlands Politiker ...entschieden, den Filmemachern Geld zu leihen. Wenn der Film keinen Erfolg hat, müssen die Filmemacher das Geld nicht zurückzahlen.“

Ist das wirklich wahr? Die Politiker knapsen von ihren Diäten etwas ab, um es Filmemachern zu leihen? Genaugenommen nicht nur zu leihen, sondern besonders erfolglosen Filmemachern sogar zu schenken? Ja? Daher die vielen guten Filme in Deutschland!

Liebe Kinder, in Wirklichkeit verhält es sich doch etwas anders. Aber ehrlich: Euren Eltern erklärt die „Süddeutsche“ die Welt auch nicht viel anders, höchstens sprachlich etwas elaborierter. Aber das Ende der guten Taten ist noch längst nicht erreicht:

„Alle Einwohner in Deutschland wollen Strom…Doch Atomkraftwerke sind gefährlich und Kohlekraftwerke schlecht fürs Klima. Politiker im Bundestag haben beschlossen, dass Leute, die umweltfreundlichen Strom erzeugen, unterstützt werden.“

Sind die Leute, die Windräder aufstellen, auch krank, schwach und deshalb unterstützungsbedürftig? Oder gibt es möglicherweise ein paar Unterschiede zwischen einer alleinerziehenden Kassiererin und einem Landwirt mit Solarpanels auf dem Scheunendach?

Die grundsätzlichere Frage für alle helleren Kinder, die in der Demokratie-SZ bis zur Seite drei vordringen, lautet allerdings: Wenn der Staat ohnehin beschert, was fast alle Leute wollen –  Hilfe für die Armen, eine neue Staffel der „Wilden Kerle“, supersauberen Strom, und das alles noch von einem Geld, das die Politiker offenbar aus dem Kopierer im Bundestagsbüro ziehen – wozu gibt’s dann überhaupt Streit und mehrere Parteien? Das, liebe Kinder, könnte daran liegen, dass möglicherweise nicht alle Menschen klug und vernünftig sind, also ‚SZ’ lesen. Doch davon später.

Die Welt, macht die Kinder-SZ deutlich, war nicht immer so gut bestellt wie heute:

„Früher konnten sich nur die reichen Leute leisten, ihre Kinder unterrichten zu lassen. Kinder aus armen Familien mussten früh arbeiten. Das soll nicht so sein, findet die deutsche Politik. Deshalb kostet der Schulbesuch hierzulande nichts.“

Genaugenommen kostet der Unterricht natürlich ziemlich viel, die nötigen Mittel müssen nur nicht durch ein Schulgeld aufgebracht werden. Und die allgemeine Schulpflicht gilt auch schon eine Weile: Im Gebiet des ehemaligen Herzogtums Pfalz-Zweibrücken seit 1592, in Sachsen-Gotha seit 1642 und in Preußen seit 1717, woraus ganz nebenbei auch folgt, dass die Existenz eines allgemeinen Bildungswesens nicht unbedingt als Indiz für Demokratie taugt. Aber die SZ-Kinderfreunde greifen generell gern weit in die Geschichte, wie Heribert Prantl, der den deutschen Bauernkrieg von 1525 als Urdemokratiebewegung bemüht. In seinem Exkurs fasst Prantl zusammen, was er für die Essenz der Demokratie hält - vom wohltätigen Staat mit prallen Taschen mal abgesehen:

„Man muss daran glauben, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, dass nicht der eine mehr wert ist als der andere.“

So ungefähr steht es auch in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass dort nichts von dem Zwang zu lesen ist, an die eigenen Freiheitsrechte glauben zu müssen wie an ein Sakrament, und zwar deshalb, weil es sich um ein Geburtsrecht handelt und nicht um ein Geschenk der Obrigkeit. Aber darin liegt ja gerade die Qualität der „SZ“: Von der wirren Idee, dass im Zentrum der Demokratie ein freier Bürger stehen sollte, hält sie ihre Leser eben schon von Kindesbeinen an fern.

Aber wie steht es um die Demokratie in anderen Ländern? Laut Kinder-SZ mal besser, mal schlechter. Unter der Überschrift „Eingeschränkte Demokratie“ heißt es:

„In allen Ländern darf erst von einem bestimmten Alter an gewählt werden – in Deutschland nach dem 18. Geburtstag. In Österreich dürfen schon 16-jährige wählen, in Iran sogar 15-jährige.“

Das große Vertrauen der iranischen Demokratie in die Jugend geht übrigens noch viel weiter, als die „SZ“ für die Kleinen schreibt:  In dem grundsympathischen Staat können 15-jährige auch schon ins Evin-Gefängnis einquartiert werden oder wegen Homosexualität vom Baukran hängen. Mädchen – hier ist der Iran besonders fortschrittlich – genießen ab neun Jahren Strafmündigkeit.

In dem Land dagegen, für das wir, Sie wissen schon, besondere Verantwortung tragen, stehen die Dinge dagegen eher bedenklich. Denn in einer kleinen Abhandlung widmet sich die SZ aus Spannungsgründen internationalen Geheimdiensten.  Sie weiß beispielsweise über den Mossad:

„Der israelische Auslandsgeheimdienst gilt als einer der umstrittensten Geheimdienste der Welt. Es sind Fälle bekannt, in denen Agenten Menschen getötet oder entführt haben, weil sich der Staat durch sie bedroht fühlte.“

Noch eindrucksvoller wäre die Schilderung freilich, wenn die Autoren die Mord- und Entführungsopfer des Mossad näher gewürdigt hätten: Mal Besucher der Olympischen Spiele 1972 in München, mal verschrobene Raketenkonstrukteure aus dem Gazastreifen. Im Jahr 1960 entführten Agenten sogar einen früheren österreichischen Handlungsreisenden, der zurückgezogen in Buenos Aires lebte.

Die Finsternis des Mossad tritt umso mehr hervor, als die Autoren auch kurz über den russischen Geheimdienst berichten:

„Russland war früher bekannt für das Komitee für Staatssicherheit (KGB). Heute gibt es den Geheimdienst nicht mehr. Dafür spioniert im eigenen Land der FSB, im Ausland der SWR.“

Seht ihr, liebe Kinder: Mord und Entführung müssen nicht sein. Ein bisschen Spionage reicht doch auch. Die Andeutung, dass der KGB und seine Vorgänger ungefähr 50 Millionen Menschen auf dem Gewissen haben, fällt in der Kinder-SZ wahrscheinlich unter die Rubrik seelische Grausamkeit.

Man könnte den SZ-Autoren vorwerfen, dass sie über ihr Thema, die Demokratie, etwas leidenschaftslos schreiben. Aber nur bis Seite 24: Denn dort geht es um den mentalen Wallfahrsort jedes zweiten deutschen Journalisten, nämlich Kuba:

„Seit ihrem Sieg herrschen ...die Castros und ihre kommunistische Partei. Mieten, Wasser, Strom und Grundnahrungsmittel sind sehr billig, Ärzte und Schulen kostenlos.“

Ein kleiner Satz muss freilich noch nachgeschoben werden:

„Aber wer Kritik an der Regierung übt, kann im Gefängnis landen.“

Aber liebe Kinder, überlegt doch mal selbst: Wer Kritik an einer Regierung übt, die für billigen Strom sorgt, der nur ab und zu ausfällt,  der kostenlose Ärzte ohne Einwegspritzen garantiert und den alten Frauen persönlich die mit staatlichen Bezugsscheinen halbgefüllte Einkaufstasche hochträgt, ein solcher schlechter und undankbarer Mensch, der das alles also nicht gut findet, sitzt doch ein bisschen zu Recht hinter Gittern. Findet ihr nicht? 

Auf Seite 27 der Kinder-SZ steht eine Anzeige der Linkspartei. Text, Weiß auf Rot: „Ich liebe dich.“

Selten dürfte es eine tiefer empfundene Werbebotschaft gegeben haben.

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Leserpost

netiquette:

Hubert Appenrodt / 14.09.2013

Es ist ja gerade Wahlkampf in Bayern. Und im Fernsehen haben sie den Ude gezeigt. Die SPD sei ja sehr für das Soziale, gegen Schieflagen, für den Mindestlohn, und für Frauen seien sie auch irgendwie. So ließ sich Ude vernehmen. Auf einem nahezu leeren Marktplatz. Er erweckte den Eindruck, als Kind bereits die SZ (Alpenprawda?) gelesen und verinnerlicht zu haben. Was auch sehr schön war, er wußte, in welchem Ort er war und so vor sich hinredete. Er hat nichts verwechselt! Ehrlich, ein Leben ohne SPD kann ich mir nicht vorstellen. Deshalb wähle ich auch AfD.

Harry Tisch / 13.09.2013

Irgend wie klingen solche Sätze wie die Ostseezeitung vor 1989, wo auch alles gut war und die Feindbilder aus dieser Zeit wurden von der SZ womöglich mit Genehmigung der Urheber auch 1 zu 1 übernommen! Junge Pioniere seid bereit! Ob Schalk ein stiller Teilhaber der SZ ist?

Rainer Gebhardt / 13.09.2013

Gestern flatterte die neue Image-Kampagne der SZ auf meiner Tisch.  Mal abgesehen von ihrem bescheuerten Slogan - “Seien Sie anspruchsvoll!” - der einem suggerieren soll, man gehöre auch als Leser zum selbst ernannten Club der Auserwählten, haut uns die erste Anzeige des neuen SZ-Auftritts folgende Botschaft um die Ohren: “Eine Demokratie ist nur so gut wie ihre Journalisten.” Mal abgesehen davon, dass das eine völlig schwachsinnige Behauptung ist, weil auch Diktaturen nur so “gut” sind, wie ihr Journalisten, ist die Botschaft selten hinterfotzig: “Wir, die Journalisten der SZ, sind die Demokraten. Wir wissen nicht nur, was Demokratie ist, wir erklären sie Euch auch. Und Du lieber Leser bist auch ein Demokrat, wenn Du unser Wurstblatt abonnierst.” Die anderen Kampagnenmotive sind nicht besser. “Genießen Sie die Kunst der Kritik der Kunst.” heißt es da. Wenn ich das Wort Genießen lese, dann schreit alles in mir nach Vergebung. Ich habe euch nichts getan, bitte, bitte verschont mich eurer Verkäufersprache. Jeder Ladenschwengel, jeder Hundesalon und jede Würstchenbude brüllt einem heute diesen Imperativ ins Gesicht. GENIESSEN SIE! ist das Zauberwort, mit dem man glaubt Hirn und Arsch zusammenschalten zu können. Und nun auch die Demokraten von der SZ. Ich weiß nicht, wer diese unsägliche Kampagne abgenickt hat, vielleicht Heribert Prantl vielleicht der Hausmeister, egal, es ist unfassbar, was diese grausamen Idioten einem zumuten.

Thomas Schlosser / 12.09.2013

Die SZ, im Volksmund mittlerweile immer häufiger auch ‘Alpen-Prawda’ genannt, ist nur noch die Karikatur einer seriösen, objektiven Publikation… Den Preis für das Abo sollte jeder Kunde der SZ besser gleich an ‘Die Linke’ oder an die Grünen überweisen, im Endeffekt kommt das nämlich auf das Gleiche heraus…

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