Manche wissen es vielleicht noch aus der Jugend: Man engagiert sich im Turnverein oder im Schachclub und schaut am Tag nach einem Turnier ganz gespannt aufs Schwarze Brett oder in die Zeitung, wer wie viele Punkte erreicht hat und kommt darüber in regen Austausch mit den anderen Mitgliedern. Oder am Schauplatz Seniorenheim: Über die Hauszeitung erfahren die Bewohner, wer gerade 90 Jahre alt wird oder wer gestorben ist und nimmt dies zum Anlass zu gratulieren respektive zu kondolieren. Es fördert konstruktiv die gedankliche und emotionale Beteiligung am Gruppengeschehen; das Umfeld stimuliert so die zwischenmenschliche Kommunikation und wirkt einem Rückzugsverhalten entgegen.
Was die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) im Vereinsbereich bewirkt, lässt sich jetzt am Landeskinderturnfest in Gießen ablesen: Nur fünf von elf Wettkämpfen am vergangenen Sonntagabend waren überhaupt online zu finden – „viele Listen davon allerdings völlig unbrauchbar, da Vor- und Nachname häufig vollständig anonymisiert waren“. Die Maßgabe: Jene, die keine von den Erziehungsberechtigten unterschriebene Datenschutzerklärung eingereicht hatten, wurden anonymisiert. Der Hessische Turnverband habe sich in Absprache mit einer Anwaltskanzlei auf diese Vorgehensweise geeinigt, um „nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes den absolut sicheren Weg“ zu gehen. Kinder, Eltern und Veranstalter seien „unglücklich“.
Und die Gießener Allgemeine, in der das zu lesen ist, erklärt: „Der Grund, warum vom Landeskinderturnfest keine Ergebnisse in dieser Zeitung zu finden sind, hat einen Namen: Datenschutzgrundverordnung. Ja, Datenschutz ist in Zeiten der Digitalisierung wichtig. Nein, Datenschutz bei öffentlichen Sportveranstaltungen ist völliger Unfug, denn es führt die Berichterstattung darüber – für Medienvertreter, aber auch für Zeitungsleser, Sportler und deren Angehörige – ad absurdum.“ Es bleibe zu hoffen, dass für die Zukunft mehr Sicherheit durch eine sinnvolle Rechtsprechung seitens der Gerichte entsteht.
Nur: Wer will denn der erste Verein sein, der nicht in vorauseilendem Gehorsam übervorsichtig reagiert und damit das Risiko kostenpflichtiger Abmahnungen eingeht, damit die Gerichte überhaupt Anlass haben, tätig zu werden? Die absehbare Reaktion ist zum Beispiel in einem Forum ersichtlich: „Unser Schachverein betreibt eine kleine Webpräsenz mit Wordpress und es liegen keinerlei kommerzielle Belange (Werbung, Nutzerdatenerfassung) vor. Trotzdem ist mir die rechtssichere Herangehensweise unter der neuen DSGVO ziemlich unklar. Eine rechtliche Überprüfung ist aus Kostengründen nicht darstellbar. Allerdings erscheint mir ein Argumentieren mit ‚Ist ja mehr oder weniger privat, keine kommerziellen Interessen‘ allein nicht abmahnsicher genug. Da keiner der rechtlich Verantwortlichen in unserem Verein das Kostenrisiko tragen kann und will, steht hier unter Umständen durchaus die Abschaltung des Webauftritts im Raum.“
Der Rechtsstaat fährt die absurdesten Geschütze auf
In Bezug auf Veröffentlichung von Daten in Senioren-Heimzeitungen ergab eine Anfrage beim schleswig-holsteinischen Landesdatenschutzzentrum in Kiel folgende Antwort:
„Eine Veröffentlichung entsprechender Geburtstagsdaten bedarf grundsätzlich der Einwilligung der Geburtstagskinder (...). Einer Verarbeitung dieser Daten auf rein gesetzlicher Basis können schutzwürdige Belange der betroffenen Personen entgegen stehen (Einzig in Betracht kommende gesetzliche Grundlage wäre § 28 … BDSG. Allerdings scheidet auch diese Grundlage aus dem genannten Grund aus.). Die personenbezogenen Daten Verstorbener werden nicht von den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes erfasst. Die Regelungen gelten nur für lebende natürliche Personen. Allerdings kann aus dem postmortalen Persönlichkeitsrecht heraus von den Erben bzw. Angehörigen (theoretisch) noch ein Interesse bestehen, von einer Veröffentlichung dieser Daten abzusehen. Daher müssten Sie sich mit diesen Angehörigen entsprechend einigen.“
Der zu erwartende Aufwand hierfür bestimmt die Entscheidung, besser gar nichts mehr über die Bewohner zu veröffentlichen, was den Zweck einer Hauszeitung – Information und geselligen Austausch untereinander zu fördern – konterkariert.
Die Datenschutzbeauftragten der Bundesländer pflegen je eine eigene Sicht auf die datenschutzrechtliche Lage. Vom baden-württembergischen Landesbeauftragten für den Datenschutz ist in der Broschüre „Datenschutz im Verein“ nach der DSGVO zu lesen:
„In vielen Vereinen ist es üblich, personenbezogene Informationen an einem ‚Schwarzen Brett‘ oder in Vereinsblättern bekannt zu geben. Obwohl sich das ‚Schwarze Brett‘ meist auf dem Vereinsgelände befindet und das ‚Vereinsnachrichtenblatt‘ in erster Linie für Vereinsmitglieder bestimmt ist, handelt es sich hier um die Übermittlung dieser Angaben an einen nicht überschaubaren Kreis von Adressaten, die davon Kenntnis nehmen können, weil nie ausgeschlossen werden kann, dass auch Fremde die Anschlagtafeln auf dem Vereinsgelände oder das Mitteilungsblatt lesen. Personenbezogene Daten dürfen ... nur offenbart werden, wenn es für die Erreichung des Vereinszwecks unbedingt erforderlich ist – was etwa bei Mannschaftsaufstellungen oder Spielergebnissen angenommen werden kann - oder wenn der Verein oder die Personen, die davon Kenntnis nehmen können, ein berechtigtes Interesse an der Veröffentlichung haben und Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen. Letzteres ist stets bei Mitteilungen mit ehrenrührigem Inhalt der Fall, etwa bei Hausverboten, Vereinsstrafen und Spielersperren.“
Bei Veröffentlichungen in Verbandszeitschriften oder Pressemitteilungen sei „darauf zu achten, dass die schutzwürdigen Belange der betroffenen Vereinsmitglieder gewahrt werden“. Das schutzwürdige Interesse Betroffener überrage stets das Informationsinteresse der Allgemeinheit. Auffällig an der Sache ist: Dort, wo seit September 2015 das Schutzbedürfnis der Bevölkerung für Leib und Leben berechtigterweise gestiegen ist, quittiert das die Medienpolitik mit rabenschwarzer Verachtung in Form des Stigmas „besorgte Bürger“.
Während nun an jener Stelle, wo etwa Vereinsmitglieder – jedenfalls bisher – in der Regel gar kein Schutzinteresse haben, der Rechtsstaat die absurdesten Geschütze auffährt. Der psychologische Effekt wird das zwischenmenschliche Miteinander in gemeinschaftlichen Bezügen belasten – letztlich aufgrund der blockierenden wie Misstrauen verursachenden Rechtsunsicherheit auch auf Kosten von kreativem Ideenreichtum.
Wie sagte noch der „Wilde“ in Huxleys gemaßregelter, entindividualisierter Welt: „Ich brauche keine Bequemlichkeit. Ich will Gott, ich will Poesie … und Freiheit und Tugend.“
Siehe auch:
"Die Kommunen üben an der Verordnung Kritik – wie etwa die Stadtverwaltung von Schwalmstadt, die einen riesigen Dokumentationsaufwand beklagt. Verunsichert sind auch die Vereine. Ihre Vertreter 'tappen im Dunkeln' und fragten sich ständig, ob sie schon einen Fehler gemacht hätten." Der deutschstämmige Paypal-Mitgründer Peter Thiel: Die DSGVO ist die "Chinesische Mauer von Europa".
Dieser Beitrag erscheint auch auf Susanne Baumstarks Blog Luftwurzel.