Havanna, die geschändete Perle der Karibik
Beim Landeanflug auf Kuba das sich unter anderem seiner hohen Umweltstandards rühmt, fallen mir etliche schmutzig-graue Rauchwolken auf, die zum Himmel steigen. Abfall wir hier unter freiem Himmel verbrannt. Als wir endlich die vielen Kontrollen am Flughafen passiert haben, ist es bereits dunkel. Wir können nicht viel von den Vororten sehen, durch die wir fahren. Es brennt höchstens ein schwaches Licht pro Haus. Straßenbeleuchtung gibt es an der Hauptstraße zum Flughafen nicht. Die meisten Häuser sind im Kolonialstil errichtet, mit den typischen Säulen- Vorbauten. Dunkelheit verhüllt das Ausmaß der Verwahrlosung der Gebäude. Viele Menschen sitzen vor den Häusern im Dunkeln. Geschäfte sind keine auszumachen. Ab und zu erlaubt eine geöffnete Tür den Blick auf heruntergekommne, mit Gerümpel voll gestellte Flure mit brüchigen Treppen. Nach einer halben Stunde erreichen wir den Malecon, die berühmte Strandpromenade der Hauptstadt. Hier gibt es Straßenbeleuchtung, die eine bessere Sicht auf die ruinierten Häuser erlaubt. Ab und zu ist ein Restauriertes darunter. In den Ruinen scheinen Menschen zu wohnen. Jedenfalls weisen Wäscheleinen darauf hin, die in den oberen Stockwerken vor leeren Fensterhöhlen oder auf geländerlosen Balkonen baumeln. Unser Hotel, Amadores de Santander, ist sorgfältig rekonstruiert worden. Es vermittelt einen Eindruck von der einstigen kolonialen Pracht. Das Nebenhaus allerdings muss mit dicken Balken abgestützt werden. Trotz seiner offensichtlichen Baufälligkeit ist es bewohnt. Das Hotel befindet sich direkt am Hafenbecken. Auf der anderen Seite wird Öl abgefackelt. Der Schein der ewigen Flamme lässt das Wasser rot leuchten. Die Gebäude auf der anderen Straßenseite bekommen etwas von dem rötlichen Schimmer ab. Das mildert den schäbigen Eindruck der bröckelnden Gemäuer. Am Morgen in der Sonne kann man den Verfall nicht mehr übersehen. Da Wasser hat eine bleierne Farbe, die ich von den toten Flüssen der DDR kenne. Später erfahren wir, dass es vor wenigen Jahren umgekippt war und gestunken hat. Vögel wollten sich hier nicht mehr aufhalten. Nun ist es bereits viel sauberer. Einige Vögel sind zurück gekehrt. Meinen Morgenspaziergang beginne ich in der Calle Clara, direkt neben dem Hotel . Die Straße mit dem schönen Namen ist bereits 50m vom Hotel entfernt ein Ruinenfeld. Es sieht tatsächlich aus, wie auf Fotos von Berlin nach dem so genannten Endkampf. Fidels Sozialismus hat das Ruinen schaffen ohne Waffen perfektioniert. Ein Kubaner verrät mir, dass Castro, der einer reichen Grundbesitzerfamilie aus dem Osten des Landes entstammt, Havanna immer gehasst hat. Diese Abneigung hat er der zum Programm gemacht. In den Ruinen leben tatsächlich jede Menge Menschen. Sie werden im Volksmund Palästinenser genannt. Es sind illegal Zugezogene aus den Provinzen, die es attraktiver finden, hier zu hausen, als in ihren Dörfern zu bleiben, wo das Elend noch größer ist. Keine fünf Minuten von der Calle Clara entfernt finde ich den Plaza veja, den Alten Platz, der fast vollständig von der UNECO rekonstruiert worden ist. Dass die Kolonialstadt zum Weltkulturerbe erklärt worden ist, hat sie vor dem Verschwinden bewahrt. Allerdings konnten von etlichen Gebäuden nur die Fassaden gerettet werden. Die herrlichen Patios, die Innenhöfe, liegen vielfach noch in Schutt und Asche. Auf den Vorher-Nachher Fotos, die vor jedem Gebäude aufgestellt wurden , sieht man, dass von manchem der herrlichen Paläste kaum noch etwas übrig war. Zwischen dem Alten Platz, dem Waffenplatz und dem Kathedralenplatz befinden sich die meisten rekonstruierten Gebäude. Auf meinem offiziellen Stadtrundgang stelle ich fest, dass die Touristen tatsächlich so geführt werden können, dass sie vom allgemeinen Verfall wenig mitkriegen. Die Ruinen sind in der Minderzahl und können als Beleg gelten, dass eben noch mehr Anstrengungen unternommen werden müssen. Kein wort über die UNECO als Geldgeber. Allen Besuchern wird dagegen vom Stadthistoriker erzählt, der sich seit Mitte der 90er Jahre der Wiederherstellung der Kolonialstadt verschrieben hat. Als Problem hat er erkannt, dass die Kubaner ihr Erbe nicht schätzen, weil sie es nicht kennen. Nach der so genannten Revolution wurden die Häuser und Paläste in Wohnungen für das Volk umgewandelt und danach dem Verfall überlassen. Selbst einfachste Reparaturen wurden nicht ausgeführt. Heute wohnen oft mehrere Generationen in einem ehemals hochherrschaftlichen Zimmer. Um etwas Privatsphäre zu haben, wurden wild Zwischendecken und Wände eingezogen, ohne sich um die Statik zu kümmern. Seit durch die löchrigen Dächer jede Menge Wasser in die Mauern dringt, können die dem Druck immer schlechter Stand halten. Jeden Tag stürzt in Havanna ein Gebäude in sich zusammen. Der Stadthistoriker lässt nun Schulklassen in der Kolonialstadt unterrichten. Sie lernen die Geschichte und die Architektur kennen und hoffentlich auch lieben. Nur was liebt, will man bewahren.
Auf der Touristenstrecke gibt es jede Menge Geschäfte, die zum Teil so rekonstruiert wurden, wie sie ursprünglich aussahen. Hier werden Rum , Zigarren und andere Erzeugnisse verkauft, die Besucher gern mit nach hause nehmen. Daneben gibt es zahlreiche kleine Läden, oder auch nur Stände in Hauseingängen, in denen Kubaner ihr selbst gefertigtes Kunsthandwerk anbieten. Dass in Kuba wieder genäht, gehäkelt , gestickt und gestrickt wird, ist ebenfalls der UNESCO zu verdanken. Diese Fertigkeiten waren Mitte der 90er Jahre fast ausgestorben. Dann kamen Frauen aus Südamerika, die den Kubanerinnen in Kursen das beibrachten, was sie von ihren Müttern und Großmüttern nicht mehr gelernt hatten.
Mitten im Touristenviertel liegt das Hotel Ambos Mundos, in dem Hemingway viele Jahre gelebt hat. Wenige Minuten entfernt befinden sich seine Lieblingskneipen, die heute nur noch von Touristen frequentiert werden. Die Bar la Floridita, in der Hem seinen Mojito trank, wird von einer verfallenen Fassade überragt, die bereits größere Löcher aufweist. Von den Hunderten , die jeden Tag den Eingang der Bar belagern, scheint kaum jemand den Kopf zu heben, um das Elend wahr zu nehmen. Durch die ehemalige Prachtstraße Havannas, die gern mit den Ramblas von Barcelona verglichen wurde, wo heute nur noch der mit Marmor gepflasterte und mit Marmorbänken bestückte Mittelstreifen von der einstigen Herrlichkeit zeugt, werden die Touristen nur noch gefahren. Die Jugenstil-, und Art-deco-Häuser, die einst diese Straße säumten, sind, je näher man dem Malecon kommt, immer weniger vorhanden. Von manchen gibt es nur noch ein paar Mauerreste. Dieser Teil Havannas gehört nicht mehr zum Weltkulturerbe. Er wird verschwinden, wenn sich in absehbarer Zeit nichts ändert.
Ändern wird sich in Kuba nur etwas, wenn Fidel Castro stirbt. Im Augenblick geht es dem Maximo Leader wieder besser, dafür geht es seinem Land, dem vor zwei Jahren ein paar Monate Erholung gegönnt waren, täglich schlechter.