Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 12.01.2007:
Erinnert sich noch jemand an BSE, an brennenden Rinderscheithaufen und bange Fragen in der Metzgerei? Es ist ruhig um die Tierseuche geworden, die befürchtete Massenübertragung auf den Menschen blieb zum Glück aus. Doch das Problem hat sich nicht erledigt. Aber dies könnte bald der Fall sein: Eine internationale Forschergruppe zerstörte unlängst in Rinderzellenkulturen das Gen für Prionen und klonten daraus zwölf Rinder. Das Prionen-Protein im Gehirn gilt als Einfallstor für die Krankheit. Deshalb sind die neuen Tiere wahrscheinlich resistent gegen BSE. Bedauerlicherweise dürfte diese Lösung den üblichen Anwälten der Volksgesundheit überhaupt nicht schmecken. Gentechnik? Geklonte Rinder? Gotte bewahre! Dann lieber der gute alte Rinderwahnsinn!
Dieses Reaktionsmuster verrät auch einen gewissen Wahnsinn und er hat Methode: Kaum empfiehlt jemand eine neue technische Lösung für ein Problem, erhebt sich die Stimme derjenigen, die vor der Lösung noch mehr Angst haben als vor der Bedrohung, die beseitigt werden soll. Es mangelt ja nicht an Beispielen: Wir haben Angst vor der Atomkraft, folglich werden die Atomkraftwerke abgeschaltet. Gleichzeitig haben wir Angst vor der globalen Erwärmung, warum auch Kohlekraftwerke Angst machen. Deshalb wurden fast 20.000 Windkraftanlagen gebaut. Die liefern Strom, wenn der Wind weht, aber nicht unbedingt wenn er gebraucht wird. Und sie stehen logischerweise dort, wo es stürmt und bläst, und meist nicht dort, wo Industrie und Verbraucher siedeln. Aus beiden Gründen müssen dringend neue Hochspannungs-Leitungen gebaut werden, um den Strom zu transportieren und die unregelmäßige Belastung ausgleichen zu können.
Doch haben wir auch Angst vor Elektrosmog. Deshalb ziehen oft die gleichen Bürger, die den Ausbau der Windenergie forderten, jetzt gegen die erforderlichen Leitungen zu Felde. Nun heißt die Parole: Aus den Augen, aus dem Sinn. Die Leitungen sollen unterirdisch verlegt werden, was sie bis zu zehnmal verteuert und die Windkraft noch unwirtschaftlicher macht. Die Windräder könnten ja durchaus eine sinnvolle Ergänzung zum Energiemix beitragen. Besonders an der windreichen Nordseeküste. Doch auch die Besitzer der dortigen Ferienhäuser haben Angst. Und zwar um ihre Aussicht: Deshalb müssen Offshore-Windparks 40 bis 80 Kilometer vor der Küste gebaut werden. Dort ist das Wasser bis zu 40 Meter tief. Der Aufwand für Fundamente und spätere Wartung explodiert. Zumal der Amtsschimmel auch auf hoher See wiehert. So muss - es könnte ja ein Schiffbrüchiger in der Nähe auftauchen - jedes Windrad mit einem Rettungsraum versehen werden. Was zu neuen Ängsten führt: Die Geretteten könnten sich über Bord erleichtern und den marinen Lebensraum verschmutzen. Deshalb muss ein solches Offshore-Windrad mit einer Toilette ausgestattet sein. Kostenpunkt pro Rettungs-WC: etwa 100.000 Euro.
Weil wir Angst um unsere Energieversorgung und das Klima haben, erblühen nicht nur Windräder sondern auch Raps- und Maisfelder bis zum Horizont. Die europäische Union fördert massiv den Anbau von nachwachsenden Rohstoffen. Sie fördert damit automatisch den Einsatz von Pestiziden, um die großen Monokulturen vor Schädlingen zu schützen. Dies lässt einen munteren Angst-Wettlauf erwarten. Preisfrage: Was erschreckt uns mehr? Die Angst vor einer Energiekrise, der globalen Erwärmung, dem Schwinden der Artenvielfalt oder der Vergiftung durch Pestizide? Nun gäbe es eine salomonische Lösung: Die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen, die gegen wichtige Schädlinge resistent sind. Doch davor haben wir noch mehr Angst.
Immer neue Vorschriften gegen immer neue Ängste verknoten sich zu einem unentwirrbaren Knäuel und führen nicht zu mehr Sicherheit für die Bürger, sondern zur Produktion von immer mehr Unsinn. Die daraus resultierende Selbstblockade wird allmählich zum Prinzip und schafft genau jene Verhältnisse, die man eigentlich verhindern wollte. Beim Wettlauf der Angst können alle nur verlieren.