Wer klaut auf Kuba Strassen?

Von Klaus Leciejewski.

Fährt man von Matanzas über Colón nach Santa Clara, und hält dabei die Augen offen, begegnet man einem eigentümlichen Phänomen: Ausgangs Matanzas ist auf einem Straßenschild geschrieben: Santa Clara 200 km, Colón 80 km. In Colón ein ähnliches Schild, aber auf einmal sind es nur 91 km bis Santa Clara. Wo sind die 29 km geblieben? In Colón dann ein Schild: Colón - Los Arabos 20 km. In Los Arabos steht für Santa Clara: 81 km. Wie sind die 10 km abhanden gekommen? Sogar auf der Autobahn von Havanna nach Pinar del Rio fehlen entsprechend den Entfernungsangaben der verschiedenen Schilder urplötzlich 25 Kilometer Straße. Überall in Kuba ist bei zahlreichen Ortsangaben ein ähnliches Phänomen festzustellen. Ganz augenscheinlich verschwinden in Kuba auf geheimnisvolle Weise etliche Kilometer ihrer Straßen.

Auf derselben Straße ist in der Nähe des Ortes Coliseo auf der linken Seite eine Brücke zu erkennen, zu der weder eine Straße hin- noch wegführt. Hinter Santa Clara in Richtung Sancti Spiritus dasselbe Phänomen, gleichfalls von Havanna nach Pinar del Rio usw. an etlichen anderen Straßen quer über Kuba. Eine Brücke ohne Straßenanbindung ist bei der vorbildlichen gesamtstaatlichen Planung Kubas schier undenkbar. Wer baut auf Kuba von Brücken die Straßen ab und lässt diese Brücken einsam in der Landschaft stehen?

Das leitet zu einer gesellschaftspolitisch immanenten Frage über: Wer klaut auf Kuba Straßen?

Die erste Antwort, die dazu einfällt, betrifft den ständigen Hauptverdächtigen, die CIA! Aber weshalb könnte die CIA das beabsichtigt und wie könnte sie es unternommen haben? Also, Sie scheinen die Geschichte der letzten 60 Jahre vergessen zu haben. Nach dem Statistischen Amt der DDR gibt es wohl weltweit keine andere Institution die so viel gelogen und betrogen hat wie die CIA. Vielleicht haben die direkt hinter einer Brücke die Straße abmontiert, um den Castro, wenn der darüber fährt, ins Nichts abstürzen zu lassen. Denkbar wäre es, denn schließlich wollten sie ihn sogar mit einem Taucheranzug und einer Zigarre vergiften. Und mit den vielen wechselnden Entfernungsangaben könnten sie zwischen Fahrer und Castro einen derartig heftigen Disput verursachen wollen, dass der Wagen an einem Baum endet. Nein? Na dann scheinen Sie wohl eine sehr friedfertige Frau neben ihnen im Auto zu haben. Ich kenne dies ganz anders!

Anders als in Erftstadt

Waren es vielleicht Kubaner selber? Eine absurde Vorstellung! Wie könnte ein Kubaner wohl eine ganze Straße klauen und wozu? Wahrscheinlich kennen Sie Kuba nicht, sonst würden Sie nicht eine solch einfältige Frage stellen! Erstens gibt es nichts, was ein Kubaner nicht gebrauchen kann. Und zweitens findet er für alles eine Lösung! Beispielsweise will er an einer Straße eine Cafeteria aufmachen, erhält dafür aber keine Genehmigung, sondern nur für eine an seiner Dorfstraße. Die Lösung dafür ist ganz einfach. Die Straße muss umgeleitet werden, ob dies eine Verkürzung oder eine Verlängerung mit sich bringt, ist für sein Problem völlig belanglos. Erforderlich dafür sind ein paar Freunde und ein kräftiges Ochsengespann, eventuell sogar mit sechs Ochsen, und außerdem eine sehr dunkle Nacht. Ja, sicherlich, das neue Straßenstück ist nicht so haltbar wie das alte, aber die Straße durch sein Dorf war es sogar noch niemals! Also muss in Bälde das neue Straßenstück ausgebessert werden, die Dorfstraße gleich dazu, zum ersten Mal seit fünfzig Jahren! Der Typ könnte glatt Bürgermeister werden.

Der kubanische Staat macht dies absichtlich? Aber nein! Wer würde sich denn wohl selber schaden!  Indessen könnte ja vielleicht ein Fehler in der Planung und in der Messung vorliegen? Nun mal ganz allgemein: Kennen Sie in Deutschland einen Politiker – oder eine Behörde, der - bzw. die einmal einen Fehler öffentlichen eingestanden hat? Nein? Ich auch nicht! Beispielsweise hat der Bürgermeister meiner Heimatstadt Erftstadt in meiner Straße ein Verkehrsschild aufgestellt, dass erstens unsinnig und zweitens nicht erforderlich gewesen wäre. Darauf schrieb ich ihm einen freundlichen Brief und erhielt – oh Wunder – sogar eine freundliche Antwort, in einem bürokratischem Deutsch, wahrscheinlich von seiner zuständigen Amtsleiterin, denn ein Bürgermeister der kleinen Stadt Erftstadt kann schließlich nicht alles wissen und noch viel weniger kennen. Daraufhin schrieb ich ihm einen aufklärenden Brief, wahrscheinlich ein ganz klein bisschen zu ironisch, denn er antwortete mir nicht mehr, aber alle meine Nachbarn haben sich darüber fast kaputt gelacht. Der Kubaner, der seinem Staat einen Brief wegen der geklauten Straßen schreiben würde, bekäme zwei Reaktionen. Erstens würden sich seine Nachbarn nicht so amüsieren wie die meinigen in Erftstadt, und zweitens würde ihm der Bürgermeister ein paar distinguierte Herren in grauen Anzügen – aber auf Kuba ohne Krawatte, der Hitze wegen – vorbeischicken, was seine Nachbarn befürchtet hatten, und sich deshalb vorsichtshalber erst gar nicht amüsierten, allerdings unter der Bettdecke mit ihren Frauen vielleicht doch … Nun mal ganz im Ernst: Der kubanische Staat verhält sich völlig anders. Der würde die Brücken als Denkmäler stehen lassen, und auf ihren Seiten schreiben: „Mit Fidel für immer weiter vorwärts!“

Schilder zur Verwirrung der Invasoren?

Allerdings geht das mit den geklauten Straßenkilometern nicht so einfach. Da ist mehr Phantasie erforderlich. Am einfachsten wäre es, wenn auf dem Straßenschild in der umgekehrten Richtung die zutreffende Kilometerangabe stünde. Dann wäre der Autofahrer einfach in die falsche Richtung gefahren. Denkbar wäre auch die Argumentation, dass infolge der Embargopolitik, die Amerikaner sich permanent weigern, geeignete Messinstrumente zu liefern, um so Kuba absichtlich Schaden zuzufügen. Sie halten dies für völlig unsinnig? Na da sollten Sie mal die Parteizeitung „Granma“ lesen, in der nachgerechnet wurde, dass diese Embargopolitik Kuba allein beim Zigarrenexport jährlich 106 Millionen US-Dollar Schaden zufügt, und dies bei einem Exportumfang von ca. 450 Millionen sowie ca. 80 Millionen Gewinn daraus (50 Prozent Anteil hält die englische Imperial Tobacco und als AG muss sie ihren Gewinn ausweisen.)! Gern würde ich den kubanischen Anteil für einen Dollar erwerben, dann die Verluste in meine Bücher aufnehmen und den Gewinn meinem Bankkonto zuführen.

Allerdings am einfachsten wäre der Hinweis, dass der normale Kubaner diese Schilder eh nicht beachtet, aber bei einer amerikanischen Invasion, die Amis arg in die Irre geführt werden könnten. Blödsinn? Na da kannten Sie die alten sowjetischen Karten wohl nicht!

Eine letzte, aber auf den ersten Blick recht abwegige Antwort, könnte lauten, dass auf Kuba Außerirdische am Werk sind. Nonsens? Da scheinen Sie wohl nicht die deutschen Einschaltzahlen für die vielen Serien auf unterschiedlichen Kanälen mit Außerirdischen zu kennen! Im kubanischen Staatsfernsehen laufen derartige amerikanischen Serien ebenfalls mit großem Erfolg. Wenn sich so viele Menschen so viele Abende lang mit Außerirdischen beschäftigen, könnten dann diese Straßen nicht einfach im All verschwunden sein? In diesem Fall wäre der Stoßseufzer der Kubaner verständlich:

„Scotti höre auf mit dem Embargo und beame endlich unsere Straßen wieder herunter!“

Klaus D. Leciejewski hat an verschiedenen deutschen Hochschulen Wirtschaft gelehrt, ist Autor mehrerer Sachbücher und Publizist. Er ist mit einer Kubanerin verheiratet und lebt einen großen Teil des Jahres auf Kuba

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

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Wolfgang Richter / 17.09.2017

Vielleicht ist es nur ein rein statistisches “Problem”, je mehr Kilometer, desto mehr 5-Jahres-Plan erfüllt und um so sicherer beim Straßen- bau in der Karibik an 1. Stelle, vielleicht sogar auf der Baustraße zügig unterwegs, das Straßennetz der USA nach Länge zu übertrumpfen, als Zeichen für die Leistungsfähigkeit des Sozialismus.

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