Cora Stephan / 26.11.2015 / 09:58 / 11 / Seite ausdrucken

Wenn Syrer unter den Linden Kaffee trinken…

Polens neuer Außenminister hat sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit gewaltig in die Nesseln gesetzt. Witold Waszczykowski von der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis) hat die syrischen Flüchtlinge in Europa zum Kampfeinsatz in ihrer Heimat aufgefordert und hat ihnen Hilfe dabei angeboten, eine Armee aufzubauen. So könnten sie gut ausgebildet zurückkehren, um ihr Land zu befreien, und müssten das nicht anderen überlassen. Es gehe schließlich nicht an, „dass wir unsere Soldaten in den Kampf nach Syrien schicken, während Hunderttausende Syrer Unter den Linden ihren Kaffee trinken”, sagte Waszczykowski.

Nun hat noch niemand hunderttausende junger Syrer beim Kaffeetrinken im „Einstein“ beobachtet oder von der polnischen Armee einen Auslandseinsatz in Syrien gefordert. Doch abgesehen davon hat das Argument einiges für sich.

In Deutschland sind die Äußerungen von Waszczykowski als wirres Gequassel wahrgenommen worden – sofern sie überhaupt jemand zur Kenntnis genommen hat. Warum eigentlich? Weil wir so friedfertig sind, gern auch stellvertretend? Weil wir den Kampf um Syrien lieber selbst aufnehmen wollen? Weil wir darauf warten, dass die Amerikaner die Dinge regeln? Oder weil wir in jedem Ankömmling, auch wenn es ein kraftstrotzender Jüngling ist, ein armes Opfer sehen, zu dem man sich helfend herabbeugt?

Das allerdings wäre eine Unterschätzung, die geradezu beleidigend ist.

Oder weil wir, was Asyl und Schutz betrifft, einem Missverständnis aufsitzen? Die Debatte in Deutschland über das, was angesichts der massenhaften Einwanderung zu tun ist, nimmt manchmal seltsame Züge an. Obzwar wir noch immer nicht wissen, wer kommt und wieviele und wer sich bereits zu Hunderttausenden unerkannt im Land aufhält, wird vor allem darüber geredet, wie die in großer Zahl Ankommenden zu „integrieren“ seien. Allen, nicht nur den Migranten, scheint unbekannt zu sein, dass jene, die einen Anspruch auf Asyl oder subsidiären Schutz erhalten, damit keineswegs schon „Neubürger“ sind. Asyl und Schutz werden vorübergehend gewährt – solange, bis die Situation im Herkunftsland als sicher eingestuft werden kann. Etwas, worauf man, wenn man es schon kaum glauben mag, doch wenigstens hoffen kann. (Und wozu eine syrische Exilarmee ihren Beitrag leisten könnte.)

Wir unterliegen hierzulande der normativen Kraft des Faktischen: aus der Tatsache, dass die Bundesländer in der Vergangenheit ihrer Verpflichtung zur Ausweisung nur in seltenen Fällen nachgekommen sind (weil es hässliche Bilder produziert), wird auf dauerhaftes Bleiberecht geschlossen, werden Asylsuchende und Schutzbedürftige also wie Einwanderer behandelt. Doch der Unterschied zu klassischen Einwanderungsländern ist signifikant: Deutschland hat sich nicht ausgesucht, wer ins Land einwandert.

Wohl deshalb wird der Nebelwerfer angeworfen und jeder zweite Syrer zum wunderbaren Geschenk des Himmels und hochqualifizierten Arzt erklärt. Selbst wenn das stimmte: würde der nicht weit dringender gebraucht, wenn es darum geht, das zerrüttete Land wieder in eine Heimat zu verwandeln, in der man ohne Gefahr leben kann?

So beschönigt man also entweder die Lage: viele der Ankommenden (Genaues weiß man ja nicht) haben keine Ausbildung, die ihnen hierzulande Arbeit verschafft, die hohe Zahl von Analphabeten unter ihnen verschafft höchstens Sprachlehrern im Staatsdienst Arbeit. Oder man verhält sich blind egoistisch: doch wie verträgt sich das mit unserer Empathie, einer leidenden Bevölkerung ausgerechnet die Hochqualifizierten abzuwerben?

Waszczykowskis Vorschlag hingegen lautet: Hilfe zur Selbsthilfe. Muss man, um ihn zu verstehen, die polnische Geschichte kennen? Vielleicht. Nachdem Stalin und Hitler sich Polen 1939 einverleibt hatten, wurde bereits im November in der Bretagne eine polnische Exilarmee aufgestellt. 1940 gingen die polnischen Truppen nach England, wo bereits viele Polen in der Navy und in der Royal Air Force dienten. Polnische Piloten kämpften unter hohen Verlusten im Luftkrieg gegen das Deutsche Reich. Auch der polnische Beitrag beim Knacken der mit der „Enigma“ verschlüsselten deutschen Funksprüche war erheblich.

Können die Syrer das nicht? Es wäre dringend nötig, denn eine Befriedung Syriens wird nie mit ausländischen Truppen gelingen, dort können nur Syrer siegen.

Doch auch für Deutschland selbst wäre der Aufbau einer syrischen Exilarmee ein Ausweg aus einem Dilemma. Nach allem, was wir wissen, ist noch immer die Mehrzahl der Einreisenden jung und männlich. Sie bringen nicht nur sexuellen Frust und heimische Konflikte mit, die sich schon mal in Schlägereien im Lager entladen, sie sind auch in der Masse das, was noch jede Gesellschaft in der Vergangenheit gefürchtet hat (und wovon nur wir in unserer friedlich alternden Gesellschaft keine Vorstellung mehr haben). Im mittelalterlichen Europa bedeutete die Vielzahl junger Männer, die weder ein Erbe antreten noch heiraten oder zum Klerus gehen konnten, die also bindungs- und hoffnungslos waren, einen ständigen Unruheherd. Ihre Selbstdisziplinierung in Turnierkämpfen und Ritterheeren war eine Kulturleistung, die der europäischen Gesellschaft Luft verschaffte.

Doch man muss gar nicht so weit zurückgehen: auch in den USA war die Armee viele Jahre lang eine Chance für Männer und Frauen, die im Zivilleben keine Aufstiegsmöglichkeiten hatten. Die Armee bot Lohn und Ausbildung und, nicht zuletzt, Kanalisierung überschüssiger Energie und Aggression.

Es gibt besseres zu tun für junge Syrer als das Leben im Lager zu fristen, mit unklaren Aussichten auf eine Existenz in einer fremden Kultur.

Eine Frage bleibt bei alledem allerdings offen: wogegen soll eine syrische Exilarmee kämpfen? Gegen Assad? Gegen den IS? Gegen all die anderen Terroristen?

Und was ist mit all den anderen jungen Männer: den Afghanen, etwa?

Fragen wir Witold Waszczykowski. Er wird uns noch mindestens eine Legislaturperiode erhalten bleiben.

 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Karl Mallinger / 29.11.2015

Der Punkt ist aber auch, WOFÜR denn die Syrer kämpfen sollen/wollen. Für die Freiheit? Für ein Syrien, in welchem Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit herrschen? Könnte man dafür Muslime begeistern? In der islamischen Welt ist es doch so, dass dort entweder säkulare Diktaturen herrschen, welche massiv die Menschenrechte verletzen und dementsprechend Flüchtlinge produzieren, oder aber religiöse Diktaturen, die ebenso massiv die Menschenrechte verletzen und ebenso viele Flüchtlinge produzieren.  Und dort, wo die einen herrschen, stehen die anderen in Opposition und umgekehrt. Exemplarisch dafür ist die “islamische Revolution” 1978/79 im Iran, wo der brutal-despotisch herrschende Schah vom ebenso brutal-despotisch herrschenden Ayatollah Khomeini abgelöst wurde: also ein Wechsel vom Regen in die Traufe. Und diejenigen Muslime, die aus Europa in den nahen Osten ziehen, um dort gegen den unbestritten brutalen Diktator Assad zu kämpfen, kämpfen in der Regel ihrerseits für den bekanntlich nicht weniger brutalen IS - und, als ausdrücklich formuliertes Fernziel, auch gegen jenes - noch - freie Europa, in welches sie oder ihre Eltern zuvor geflohen waren und das sie auch großzügig aufgenommen hatte und welches sie gerne auch immer noch als “Rückzugsbasis” benutzen. Aber mit der Idee, FÜR Freiheit, Menschenrechte und Demokratie zu kämpfen, kann man in der islamischen Welt offenbar nicht viel anfangen.

Alexander Rostert / 27.11.2015

Offenbar ist Ihnen nicht klar, dass eine von Deutschen ausgebildete syrische Truppe im Nahen Osten etwas völlig anderes wäre als eine von Syrern ausgebildete syrische Truppe im Nahen Osten. Vielleicht wird Ihnen die Bedeutung des Unterschieds klarer, wenn Sie zur Kenntnis nehmen, dass auch die israelische Armee zwar nicht von Deutschen ausgebildet wird, aber nach den vom deutschen Heer entwickelten Grundsätzen moderner Ausbildung, Auftrags- und Gefechtstaktik.

Hans-Lothar Fischer / 27.11.2015

Vielleicht interessiert die Leser, dass das Deutsche Reich in den Jahren des 1. Weltkrieges Flüchtlinge aus dem damals russischen Finnland aufnahm und im Lager Lockstedt (bei Hamburg) militärisch ausbildete und ausrüstete. Die sog. >Finnischen Jäger< wurden dann nach der Landung in Vaasa und Hangö im Jahre 1918 dem Oberbefehl des Marschall Mannerheim unterstellt und waren maßgeblich am Unabhängigkeitskampf der Finnen beteiligt.

Günter Fuchs / 26.11.2015

Die Afghanen könnten ihr Land von den Taliban befreien. Die irakischen Flüchtlinge könnten in ihrem Land gegen den IS kämpfen!

Johann Janssen / 26.11.2015

Sie schreiben “Im mittelalterlichen Europa bedeutete die Vielzahl junger Männer ... einen ständigen Unruheherd.” Dies war einer, wenn nicht der enttscheidende Grund für die Kreuzzüge, da wurde man die jungen Männer los (somit schließt sich hier ein Kreis).  Ich mache der Vorschlag übrigens in Leserbriefen seit Wochen.  Nur ist das in einer Freischärlertruppe sicherlich auch nicht so einfach. Eine professionelle Ausbildung und Organisation wäre sicherlich hilfreich und sinnvoll. Auch für Flüchtlinge aus anderen Ländern wäre eine gezielte Ausbildung sinnvoll um sie zu befähigen in ihrern Herkunftsländern Aufbauarbeit zu leisten. Das Problem besteht allerdings, wie Sie schreiben, in der Frage: “wogegen soll eine syrische Exilarmee kämpfen? Gegen Assad? Gegen den IS? Gegen all die anderen Terroristen?”. Wenn man eine klare Konzeption in der Aussen- und Sicherheitspolitik scheut und keine klaren Ziele vorgibt, bleibt halt nur das reagieren und durchwursteln. Dem haben wir ja die aktuelle Krise zu verdanken.

Eugen Karl / 26.11.2015

Die vielen syrischen jungen Männer fliehen gerade davor, in die syrische Armee einberufen zu werden. Deswegen sind es vor allem Männer, denn wie immer in der Weltgeschichte dürfen die Damen gemütlich daheim sitzen, während Männer sich von Granaten zerfetzen lassen sollen. Das ist stets so gewesen und das ist nun auch der Grund, warum junge syrische Frauen nur in signifikant geringerem Maße sich mit Fluchtideen abgeben. Natürlich kann man deshalb wohl darauf hoffen, daß viele “Flüchtlinge” unser Land schnellst möglich wieder verlassen werden, wenn sie sehen, daß sie hier vom Regen in die Traufe geraten sind.

Jonas Wolf / 26.11.2015

...ein Ausweg aus einem Dilemma - aber nur sehr theoretisch. Dumm nur, dass selbst die Syrer (mit oder ohne syrischen Pass) nur zu einem Teil wirklich Syrer sind. Und wenn schon Kampf um Syrien - dann auf welcher Seite. Ich glaube nicht, dass irgendwelche Dschihadisten auf Fronturlaub in Berlin/Deutschland ausgerechnet Lust verspüren den IS zu vertreiben. Worum es uns ja gehen sollte. Also bleibt am Ende nicht viel Potential…

Jacek Berger / 26.11.2015

Diesen Artikel kann ich mit beiden Händen sofort unterschreiben. Stamme selbst in Polen und kenne die Geschichte des 2 Weltkriegs sehr gut. Die Polen haben sogar mit ihrem größten Feind den Sowjets kooperiert dort auch eine polnische Armee gegründet die mit der Roten Armee bis Mai 1945 zusammen gegen Wehrmacht gekämpft hat. Und das ganze nur mit einem Ziel: Polen von bestialischen, deutschen Besatzung zu befreien. Ach in Italien waren die Polen 1943 an schwersten Kämpfen an der Gustav Linie erfolgreich beteiligt, und haben die blutige Schlacht bei Monte Cassino zugunsten den Alliierten entschieden. Das nennt man Patriotismus. Die Araber dagegen sind anders. Sie denken, weil der Krieg in Syrien herrscht, den sie zum größten Teil selbst verschuldet haben, dann ist die ganze Welt verpflichtet sie zu retten und zwar nicht in Lager in der Türkei, Libanon oder Ägypten , sondern hauptsächlich in Deutschland und Schweden. Und hier angekommen reicht es denen nicht , dass die nicht mehr gebombt werden, gratis Verpflegung und medizinische Versorgung haben, sondern sind enttäuscht, dass sie in Turnhallen schlafen müssen, und das Essen nicht schmeckt. Viele von den Flüchtlingen fragen sogar wann sie ein Haus und ein Auto bekommen? Das nennt man kein Patriotismus, sondern Frechheit. Das ist der Unterschied zwischen der polnischen und der arabischen Mentalität. Der Herr Waszczykowski hat recht. Und machen wir es bitte step by step. Zuerst Soldaten ausbilden, dann werden sich mit Sicherheit für die genug Einsatzgebiete finden.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Cora Stephan / 06.02.2016 / 17:29 / 8

Der postheroische Mann und andere Verlustanzeigen

Die Masse macht’s. Selten ist der Einzelne das Problem, ob er nun Kriegsflüchtling ist oder sich ein besseres Leben wünscht. In der Silvesternacht aber hat…/ mehr

Cora Stephan / 12.12.2015 / 16:11 / 7

Operettenkrieg

Ich bin keine Pazifistin – und genau deshalb ist mir das moralische Argument für militärische Aktionen suspekt. Es gibt keinen guten Krieg, höchstens ist er…/ mehr

Cora Stephan / 07.12.2015 / 15:24 / 3

Nur noch schnell die Welt retten

Politiker sind Menschen mit ganz wahnsinnig viel Lust – Lust auf Politik, auf die Macht, aufs Regieren, aufs Gestalten. Darauf, etwas „für die Menschen“ zu…/ mehr

Cora Stephan / 20.11.2015 / 10:07 / 1

Staatsversagen, Teil 2

Ich bin in Frankreich, während ich dies schreibe, nicht in Paris, sondern in tiefster Provinz, wo die Hauptstadt fern ist. Vielleicht liegt es auch an…/ mehr

Cora Stephan / 16.11.2015 / 17:28 / 5

Staatsversagen

Es war ein strahlender Sommer und ein wunderbarer Herbst. Doch dann hatte er uns wieder, der November, der deutsche Schicksalsmonat. Weltkriegsende und Novemberrevolution, Reichskristallnacht und…/ mehr

Cora Stephan / 04.11.2015 / 16:28 / 3

Deutschland - vom Ende her gedacht

Was will Angela Merkel? Wo ist ihr Grand Design, wo der Entwurf einer Außenpolitik, die diesen Namen verdient? Was sind ihre Ziele – bei der…/ mehr

Cora Stephan / 26.10.2015 / 18:43 / 3

Keine Toleranz den Intoleranten

An den westdeutschen Universitäten wurde lange Jahre gelehrt, Deutschlands zwölf dreckige Jahre verdankten sich einem „deutschen Sonderweg“, der es vom „Westen“ ab- und in die…/ mehr

Cora Stephan / 15.10.2015 / 13:30 / 10

Unser Kampf. Antwort auf Thomas Schmid

Es ist die Zeit aufsteigenden Nebels, und das hat nichts mit dem Herbst zu tun, sondern mit den vielen verschleiernden Sprachregelungen, die den öffentlichen Diskurs…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com