Wo ist das Problem? Herr Lammert hat Recht, ein großer Teil des Volkes fühlt sich von seinen Repräsentanten nicht mehr repräsentiert. “Nicht mehr”, das ist der entscheidende Satzteil. Deshalb werden die Repräsentanten auch nur auf Zeit gewähkt, wenn sie das Volk nicht mehr repräsentieren, dann können sie bei der nächsten Wahl ausgetauscht werden. Das geschieht doch gerade in vielen Wahlen. Das dies den bisherigen Repräsentanten als ein Fehler erscheint ist klar, aber auch unerheblich.
Ihre Schlußfolgerung der ganz großen Koalition ist gar nicht so abwegig. Hinzu kommt noch eine Verlängerung der Legislatur auf fünf oder mehr Jahre. Die ungelösten Probleme: Staatsverschuldung, Euro-Krise, Einwanderungs-Krise usw. bleiben oder verschärfen sich, und alle Bundestagsparteien unterstützen die “alternativlosen” Handlungen der Regierung. Ärgerlich ist auch der Versuch, die Probleme als “komplex” , und damit für das gemeine Volk als nicht versteh- und lösbar zu benennen. Dabei ist schon die Analyse der Probleme bei den Bundestagsparteien und der Bundesregierung falsch und führt deswegen zu falschem, nicht “alternativlosem” Handeln. Da das gemeine Volk immer besser gebildet ist, gibt es dort auch mehr richtige Analysen und Lösungsansätze als in der Wagenburg der Etablierten und ihren Lautsprechern. Dies wird mittelfristig die politische Landschaft umpflügen, aber die nächste Legislatur wird bitter.
Wenn tatsächlich so viele Menschen mit den amtierenden Parteien unzufrieden sind, dann ist es ein Mysterium, weshalb diese Mehrheit nicht die AFD wählt, sondern nur zwischen 10 und 20%. Ist doch klar, dass sich CDU und SPD in ihrer Politik bestärkt sehen, wenn die Leute von ihrem einzigen Druckmittel, ihrer Stimme, keinen Gebrauch machen.
Köstlich, Herr Haferburg, wie Sie den beschämend hilflosen und denunziatorischen Aktionismus der längst kopflos gewordenen Volksparteien in der Krise wieder auf den Punkt bringen. Hinsichtlich der Geringschätzung des Souveräns stellt indes Bundestagspräsident Lammert bei weitem keine Ausnahme dar. In den letzten Wochen haben Vertreter des politischen “Establishments” in den Medien keine Gelegenheit ausgelassen festzustellen, dass jede Spielart von “Anti-Establishment” un- oder antidemokratisch sei. Folglich sei es ein großes Glück (für die Legislative), dass auf Bundesebene keine Volksentscheide vorgesehen sind; man schaue nur in die Schweiz oder die Niederlande. An dieses freche Misstrauensvotum gegen das tumbe Wahlvolk sollen wir uns gewöhnen, so geht Demokratie. Es muss allerdings eingestanden werden, dass sich die politischen Eliten in dieser Causa diesmal nicht irren: Ihr Misstrauen gegenüber dem Souverän ist durchaus berechtigt! (Ich muss oft an einen durchaus ernst gemeinten Ausspruch meines früheren Chefs denken. Der lautete: “Allzu viel Demokratie schwächt den Boss, machen wir’s mal ohne Abstimmung.”)
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