Manfred Haferburg / 24.05.2016 / 10:08 / Foto: Konstantinktrs / 9 / Seite ausdrucken

Wenn die Demokratie nicht mehr repräsentativ ist: Das Volk ist schuld

Der von mir bisher hochgeschätzte Bundestagspräsident Lammert fantasierte im Deutschlandfunk in einem durchaus lesenswerten Interview: „Aber wahr ist natürlich auch, dass sich durch solche breiten, bis in die Opposition hinein erkennbaren Mehrheiten für eine durchaus kontrovers diskutierte Politik, dann ein beachtlicher Teil der Öffentlichkeit in diesem Parlament im wörtlichen Sinne nicht repräsentiert fühlt …“

Erst mal: hä? Nach nochmaligem Lesen: das, verehrter Herr Lammert, ist entlarvend. Wenn das wirklich so ist, ist Ihre repräsentative Demokratie am Ende. Dann repräsentiert sie nämlich nicht mehr, sondern dann diktiert sie, gegen den Willen des Volkes.

Und das findet der Parlamentspräsident Lammert offensichtlich auch gut so: "Ich bin heilfroh, dass wir in Deutschland den Bundespräsidenten in einer eigens zu diesem Zweck zusammengerufenen Bundesversammlung wählen und nicht in einer Direktwahl". Er sagte das im Zusammenhang mit der Wahl in Österreich.

Wo kommen wir hin, wenn der Plebs mitredet?

Was meinte er wohl damit? Wo käme Deutschland hin, wenn der Plebs ein Mitspracherecht bekäme und womöglich einen anderen Bundespräsidenten wählen würde, als den sich die Etablierten vorher ausgekungelt hatten? Plebiszitäre Sodom-und Gomorrha-Verhältnisse in Berlin? Dann wären wir womöglich mit einem weniger famosen Bundespräsidenten gestraft, als mit dem amtsmüden Pfarrer Gauck?

Der Plebs versteht nach Ansicht unseres Parlamentspräsidenten sowieso nur die Hälfte von allem: „Ja, was haben wir falsch gemacht? Aufseiten der Politik bedienen wir sicher nicht ausreichend das Erklärungsbedürfnis bei den Themen, mit denen wir nun mal zu tun haben und die allesamt so komplex geworden sind, dass es natürlich gerade die Patentlösungen nicht gibt, die man sich am liebsten vorstellen möchte…“

Da haben wir’s: nach Meinung der Etablierten sind wir zu dümmlich für die komplexe Politik, selbst wenn sie uns erklärt wird. Weil wir „Patentlösungen“ wollen, die es nicht gibt. Und weil wir die Sätze von Herrn Lammert dreimal lesen müssen, bis wir sie einmal halbwegs verstehen.

Für unsere Politiker kommt es jetzt leider ganz dick: In einer  N24-Emnid-Umfrage halten fast drei Viertel der Befragten (74 Prozent) die etablierten Parteien für realitätsfremd. Auf die Frage, ob sich die etablierten Parteien von der Lebensrealität der deutschen Bevölkerung entfernt haben, antworten 42 Prozent mit "ja, stark" und weitere 32 Prozent sogar mit "ja, sehr stark". Auch die Medien schneiden in der Umfrage schlecht ab: Fast zwei Drittel finden nicht, dass die Presse Sorgen und Nöte der Bevölkerung ausreichend abbildet.

Drei Viertel der Bevölkerung fühlen sich durch die Volksvertreter im Bundestag nicht mehr repräsentiert? Die Parteien und die Medien werden als „realitätsfremd“ wahrgenommen? Politiker sind nach Volksmeinung orientierungslos, Phrasen dreschend und weltfremd? Bei den Medien kommt politische Korrektheit vor Wirklichkeit?

Robin Hood - nur umgekehrt: Politiker gegen den Widerstand des Volkes

Natürlich sehen die Politik und die Medien das ganz anders als das nörgelnde Volk. Fakten mögen Fakten sein, aber Wahrnehmung ist nun mal Realität. Jetzt ist es passiert: das Volk hat eine andere Realität als die Etablierten. Ist das jetzt so eine umgekehrte Robin Hood Situation? Die Politiker müssen gegen den Widerstand des Volkes ihre richtige Politik durchsetzen? Sind Volksparteien, die glauben, gegen das Volk regieren zu müssen, noch Volksparteien?

Spitzenpolitiker kann man heute mit Fug und Recht als Polit-Celebrities bezeichnen. Zumindest lassen sie sich gern so feiern und das bedauernswerte Volk muss jeden Tag ihre Konterfeis in den Medien ertragen. Bei den Spitzen-Politikern kommt nur noch ein hochgradig gefiltertes Bild der Wirklichkeit an. Sie leiden an selektiver Wahrnehmung. Die Merkels und Gabriels unserer Tage sind umgeben von einer Phalanx von servil-devoten Hofschranzen, lauter kleinen Mini-Merkels und Mini-Gabriels, die jede böse Realität von ihnen fernhalten und nur gute Nachrichten durchlassen - weil sie dadurch die besten Chancen haben, selbst mal in den erlauchtesten Kreis der Merkels und Gabriels aufzusteigen. Schlechte Nachrichten, Kritik oder eigene Meinungen schaden nur der Karriere.

Die Folge: Politiker reden meist untereinander, bestärken sich gegenseitig in ihren Ansichten und glauben schließlich selbst an jeden Unsinn, den sie zusammenreden. Das geht so weit, dass eine Physikerin an eine Energiewende ohne Speicher glaubt, ein Finanzminister an Schuldenrückzahlungen der Griechen und beide zusammen an einen Demokraten namens Erdogan. Systematisch werden unliebsame Tatsachen und Themen ausgeklammert. Und die Medien mit ihrer linken Sendungs-Mentalität tun alles erdenklich Mögliche, um sie ja darin zu bestärken.

Hinter jedem Busch lauert heute ein Rechter

Wenn da nur die verdammte Realität nicht wäre. Hinter jedem Busch lauert heute ein Rechter und es werden immer mehr. Sie brüllen und hetzen und sind ihrer Meinung. Sie treiben die Politik vor sich her. So weit sind sie schon gekommen: alle Parteien und die Medien müssen sich „notgedrungen“ gegen das Volk in einer „Superkoalition“ zusammenschließen unter dem Dreyer-Motto: „Demokraten müssen sich zusammentun, um AfD zu verhindern“. So als würde die AfD nicht vom Souverän gewählt, sondern hätte sich an die Macht geputscht.

Deutschland droht 2017 nach der Wahl eine Greenpeace-Koalition: Schwarz-Rot-Grün-Gelb-Dunkelrot.

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Leserpost

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Christian Schulz / 24.05.2016

Wo ist das Problem? Herr Lammert hat Recht, ein großer Teil des Volkes fühlt sich von seinen Repräsentanten nicht mehr repräsentiert. “Nicht mehr”, das ist der entscheidende Satzteil. Deshalb werden die Repräsentanten auch nur auf Zeit gewähkt, wenn sie das Volk nicht mehr repräsentieren, dann können sie bei der nächsten Wahl ausgetauscht werden. Das geschieht doch gerade in vielen Wahlen. Das dies den bisherigen Repräsentanten als ein Fehler erscheint ist klar, aber auch unerheblich.

Günter H. Probst / 24.05.2016

Ihre Schlußfolgerung der ganz großen Koalition ist gar nicht so abwegig. Hinzu kommt noch eine Verlängerung der Legislatur auf fünf oder mehr Jahre. Die ungelösten Probleme: Staatsverschuldung, Euro-Krise, Einwanderungs-Krise usw. bleiben oder verschärfen sich, und alle Bundestagsparteien unterstützen die “alternativlosen” Handlungen der Regierung. Ärgerlich ist auch der Versuch, die Probleme als “komplex” , und damit für das gemeine Volk als nicht versteh- und lösbar zu benennen. Dabei ist schon die Analyse der Probleme bei den Bundestagsparteien und der Bundesregierung falsch und führt deswegen zu falschem, nicht “alternativlosem” Handeln. Da das gemeine Volk immer besser gebildet ist, gibt es dort auch mehr richtige Analysen und Lösungsansätze als in der Wagenburg der Etablierten und ihren Lautsprechern. Dies wird mittelfristig die politische Landschaft umpflügen, aber die nächste Legislatur wird bitter.

Paul Mittelsdorf / 24.05.2016

Wenn tatsächlich so viele Menschen mit den amtierenden Parteien unzufrieden sind, dann ist es ein Mysterium, weshalb diese Mehrheit nicht die AFD wählt, sondern nur zwischen 10 und 20%. Ist doch klar, dass sich CDU und SPD in ihrer Politik bestärkt sehen, wenn die Leute von ihrem einzigen Druckmittel, ihrer Stimme, keinen Gebrauch machen.

Andreas Rochow / 24.05.2016

Köstlich, Herr Haferburg, wie Sie den beschämend hilflosen und denunziatorischen Aktionismus der längst kopflos gewordenen Volksparteien in der Krise wieder auf den Punkt bringen. Hinsichtlich der Geringschätzung des Souveräns stellt indes Bundestagspräsident Lammert bei weitem keine Ausnahme dar. In den letzten Wochen haben Vertreter des politischen “Establishments” in den Medien keine Gelegenheit ausgelassen festzustellen, dass jede Spielart von “Anti-Establishment” un- oder antidemokratisch sei. Folglich sei es ein großes Glück (für die Legislative), dass auf Bundesebene keine Volksentscheide vorgesehen sind; man schaue nur in die Schweiz oder die Niederlande. An dieses freche Misstrauensvotum gegen das tumbe Wahlvolk sollen wir uns gewöhnen, so geht Demokratie. Es muss allerdings eingestanden werden, dass sich die politischen Eliten in dieser Causa diesmal nicht irren: Ihr Misstrauen gegenüber dem Souverän ist durchaus berechtigt! (Ich muss oft an einen durchaus ernst gemeinten Ausspruch meines früheren Chefs denken. Der lautete: “Allzu viel Demokratie schwächt den Boss, machen wir’s mal ohne Abstimmung.”)

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