Ralf Schuler / 18.08.2013 / 12:34 / 5 / Seite ausdrucken

Wenn der Sonne aufgeht

Der geschätzte Kollege Werner Sonne hat in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in einem Beitrag dazu aufgerufen, Druck auf Israel zu machen, um die Zwei-Staaten-Lösung voran zu bringen und den Siedlungsbau zu stoppen. Wenn ich es recht verstanden habe, will er dies ausdrücklich im Interesse Israels und als Freund des Landes verstanden wissen. Ich möchte ihm dennoch widersprechen: Wir Deutsche (aber auch viele andere) haben in der Vergangenheit ziemlich genau gewusst, was schlecht für die Juden ist. Wir sollten jetzt der Versuchung widerstehen, ihnen zu sagen, was gut für sie ist. Es klingt besser, macht aber nichts besser. Deutschland sollte an der Seite Israels stehen, da sein, wenn es gebraucht wird. Einen Freund ernstzunehmen bedeutet aber auch, ihn seine Geschicke selbst bestimmen zu lassen. Endlich einmal.

Streit um das „Juden-Gen“, die jüdische Lobby in Washington, darf man Israel kritisieren?, es muss doch erlaubt sein, zu sagen…, Herr Reich-Ranicki, Sie als Jude…, jüdische Vermächtnisse…

Ein Vorschlag zur Güte: Vergesst die Juden!

Seit mehr als 2000 Jahren haben wir, hat der Rest der Welt sich an den Juden abgearbeitet. Ein winziges Volk, das den Gottessohn ermordet haben soll, obwohl die römische Gerichtsbarkeit das letzte Wort hatte, dass für Brunnenvergiftung, Verzehr von Christenkindern, Gier und Schuldwucher verantwortlich gewesen sein soll, für die Schwarze Pest, die Selbstzweifel des Abendlandes und das Elend der Araber. Es ist an der Zeit, die Juden einfach mal in Frieden zu lassen.

Sie sind geschändet, erschlagen und verbrannt worden, industriell vernichtet und mit Kriegen überzogen. Mancher hat sich moralisch saniert und ihnen Denkmäler gesetzt, Klezmer gespielt, Jiddisch gelernt oder Bücher geschrieben über lesbische jüdische Dichterinnen aus dem Chernowitzer Schtetl. Andere sind konvertiert, haben im Kibbuz gearbeitet oder es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Anfängen zu wehren. Wieder andere Rüsten Hilfskonvois aus, kämpfen für einen winzigen Streifen Landes namens Gaza, der der vermeintlich schlimmste Dorn im Fleische der Jetztzeit ist und meinen doch das Land, dass sich seit ein paar Jahrzehnten mühsam drum herum endlich etabliert hat.

Die ganze Welt nimmt sie in Dienst, spricht für sie, stellt sich auf ihre Seite oder auf die andere, arbeitet sich an ihnen ab, testet, wie weit man gehen kann, richtet Raketen auf sie oder steigt mit Sprengstoffgürteln in ihre Busse. Jede Debatte gerät aus den Fugen, wenn sie darin vorkommen, jeder Depp kann mit ihnen die Alarm-Gesellschaft in Wallung und Rage bringen oder seine Weste reinwaschen, wenn er einen zum Freund hat oder seine Großeltern damals einen versteckt hatten. Sie sind schuld am Kapitalismus und waren die ärgsten Protagonisten des Kommunismus, der sie wieder und wieder verfolgt hat. Sie sind die „wurzellosen Kosmopoliten“, die Wechsler, Wucherer, Zinseintreiber oder geistern als versteckter Topos durch deutsche Märchen, wenn Stroh zu Gold gesponnen und ein Königskind geraubt werden soll: Heißest du etwa Hintzenstern?

Lasst sie einfach in Ruhe.

Zweitausend Jahre haben wir sie benutzt nach Strich und faden, fast ausgerottet, missbraucht und denken sie immer noch mit, wenn selbstverliebte Moderatoren mit Koks und Konkubinen erwischt werden und kein „Arschloch“ sein dürfen oder ein genialer Kritiker zum Generalverriss ausholt. Lassen wir die Rechnung derjenigen nicht aufgehen, die sie zu den „Ewigen“ machen wollten. Sie haben sich ein paar hundert Jahre Pause von der Weltbühne verdient und ihr Zentralrat ein wenig Ruhe.

Ich weiß, dass es so einfach nicht geht und höre schon die einen schreien: Das hätten sie wohl gern, dass sie bei sich machen können, was sie wollen, dass wir ihnen nicht mehr auf die Finger schaun….  Und die anderen rufen: Ha, da will sich einer aus der Schuld stehlen, den Mantel des historisierenden Vergessens über alles breiten. Will er nicht.

Aber wie wär’s, wenn wir sie einfach mal als Menschen nähmen?! Nicht länger als schutzwürdige, verfolgte Sparte, bei der man zusätzlich darauf hinweisen muss, dass es auch nicht in Ordnung ist, Polen, Schwule oder Kommunisten umzubringen. Kritisieren wir Israel oder Netanjahu und schlagen uns endlich all die Semitismen aus dem Kopf, die „Antis-„ und „Philos-„ und was es da noch alles geben mag. Lassen wir das historien-polit-mediale Spotlight einfach mal ein paar Jahre den Lichtkegel auf andere richten. Lassen wir die unseligen Reflexe einfach auswachsen, kümmern uns um Darfur oder die Tschuktschen und werfen die pathologische Fixierung auf David und seinen Stern endlich ins internationale Abklingbecken. Dazu muss man nichts vergessen und verdrängen, nur endlich die Halsstarre aus dem Blick kriegen und die Welt als Kugel sehen, die sich nicht um Palästina dreht.

Ich weiß ja, dass es nichts wird. War nur so eine Idee. Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.

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Leserpost

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Michael Geier / 21.08.2013

@Adam Daniel Poznanski Jesus und Prozess hat es nie gegeben?? Da hat wohl einer etwas zu viel am süßen Gift des Mainstreams (Abt. trendy Zeitgeist) genascht, frei nach dem Motto: “Was nicht sein darf, das kann auch nicht sein”.  Ich weiß, selbst mit historisch gesicherten Fakten ist hier nichts zu machen, aber ganz so stehen lassen kann man das ja auch nicht.

Werner Scholz / 20.08.2013

“Wir Deutsche (aber auch viele andere) haben in der Vergangenheit ziemlich genau gewusst, was schlecht für die Juden ist.” Das klingt ja so, als hätte es unter den Deutschen nie Juden gegeben. “Seit mehr als 2000 Jahren haben wir ...” Wer ist denn “wir”? “Die ganze Welt ... richtet Raketen auf sie ...” Und .. äh ... “Wir” gehören aber nicht zur “Welt”, oder? “Zweitausend Jahre haben wir sie benutzt nach Strich und Faden, fast ausgerottet, missbraucht und ...” Ich bin noch nicht einmal einhundert Jahre alt und bin daher als relativer Jüngling erstaunt, was so manche älteren Leute, über die Jahrtausende so alles getrieben haben. Da gibt’s wohl viel zu erzählen, wenn man in die Jahre kommt ... Mensch, Herr Schuler, wo waren Sie denn im 30-jährigen Krieg? Da hätten Sie sich doch wenigstens mal für den Frieden engagieren können, oder? “Aber wie wär’s, wenn wir sie einfach mal als Menschen nähmen?! ” DAS hätten Sie mal im 30-jährigen Krieg über die Protestanten sagen sollen. Immer dieses “Wir” ... wie bei der SPD: “Das WIR entscheidet.”

Gabriele Weissmann / 18.08.2013

Bitte um Klärung - um welche “lesbische Dichterin aus Czernowitz” handelt es sich? Meine Eltern stammen aus Czernowitz, und ich habe mich mit der dort entstandene Literatur eingehend befasst, diese Behauptung ist mir nicht bekannt. Ansonsten spricht mir Ihr Arikel aus dem Herzen. Es stimmt, genug ist genug. “Lasst sie einfach in Ruhe”.

Adam Daniel Poznanski / 18.08.2013

Na ja, vielleicht ganz nett gemeint, aber die Jesus-Story am Anfang ist Quatsch. Es hat nie einen Prozess gegen einen “Jesus” gegeben, weil es nie einen Jesus gab! Und was soll das denn(??): “Kritisieren wir Israel oder Netanjahu und schlagen uns endlich all die Semitismen aus dem Kopf, die „Antis-„ und „Philos-„ und was es da noch alles geben mag.” Netanjahu-Kritik ist Kritik am israelischen Wähler und das sind nun mal zu 80% Juden! Ich weiß nicht so recht, aber Broder und Konsorten werden mir zu “berlinerisch” auf Dauer…

Pavel Hoffmann / 18.08.2013

Sehr geehrter Herr Schuler, so lange wie die Kölner Klagemauer steht, wo Walter Herrmann ohne zu wissen wer Palästinenser sind oder waren, resp. was ist oder war eigentlich Palästina, die israelischen Soldaten als kinderfressende Bestie darstellen kann oder so lange in Ägypten die Demonstranten die Polizei mit einem Gebrüll. “Warum schießt Ihr auf uns? Wir sind doch Moslems und nicht Juden!” entgegentreten , so lange ist Ihr Rat vergeblich. Die Juden waren und sind leider für alle Frustrierten, Fanatiker und Erfolglosen immer als die letzte Ursache für ihr verpatztes Leben. Mit freundlichen Grüßen Pavel Hoffmann

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