Weltmeisterschaft im Blech reden

SPON hat sich mutig an ein kompliziertes Thema herangewagt. Es hat die Spitzenpolitiker der in acht Wochen wahrscheinlich im Bundestag vertretenen Parteien gefragt, was sie unter „sozial gerecht“ verstehen.

Nur eine Partei, die CSU, hat die Antwort darauf verweigert. Ich kann nur spekulieren, was sie dazu veranlaßt hat, hoffe jedoch, daß es die Einsicht ist, sich nicht auf ein Thema einzulassen, mit dem die SPD die Wahl gewinnen möchte, und mit dem auch Linke sowie Grüne um Wählerstimmen werben. Weniger Hoffnung habe ich jedoch mit dem einzigen sachlichen Argument, daß der Ausdruck „sozial gerecht“ überhaupt nicht zu definieren ist, weil er schlicht amorph ist.

Können Sie definieren, was Glück für Sie ist? Wahrscheinlich! Indessen wird Ihr Glück sich von dem fast aller Ihrer Bekannten erheblich unterscheiden, von meinem sicherlich ebenso. Schauen Sie einmal im Thesaurus Ihres PC nach, welche Synonyme dort für „gerecht“ aufgelistet sind. In meinem kommt als erstes „unparteiisch“. In keiner der Antworten wird dieses Synonym verwendet, was verständlich ist, weshalb im Wahlkampf stets sozial mit gerecht verknüpft wird. Doch damit kommen wir nicht weiter, denn was ist „sozial“?

Außer der CDU lieferten bei den anderen Parteien ihre Spitzenkandidaten die Antwort ab. Angela Merkel schickte ihren Generalsekretär Peter Tauber vor. Die anderen Spitzenkandidaten sind für sie schlicht nicht ihre Ebene, zumal es auch wenig Sinn machen würde, dem linksgerichteten Spiegel mit seinem Ableger SPON eine Plattform zu bieten, eingedenk, daß dieser bereits Monate vor der Wahl ihre Niederlage prophezeite.

Eine Phrase mit der anderen erklären

Herr Tauber spricht – neben anderen – von einem „fairen Interessenausgleich“, Herr Lindner von „fairen Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit“. Was verstehen die Herren unter „fair“? Der Thesaurus listet darunter als erstes „sportlich“ auf. Das war einmal, denn im Sport geht es heute nicht mehr um Fairness, sondern um Show und Geldverdienen. Bayern München wird sagen, wir haben unser Geld durch bessere Leistungen verdient, die Konkurrenten werden sagen, ihr habt unsere besten Spieler mit Hilfe großer Sponsoren weggekauft. Was ist „fair“? Was ist für Tauber und Lindner unfair? Helmut Kohl wird das Verhalten von Angela Merkel ihm gegenüber nicht nur als undankbar, sondern auch als unfair angesehen haben. Frau Merkel wird sich darauf berufen, die CDU aus dem Spendenskandal gerettet zu haben. Tauber und Lindner erklären eine Phrase mit einer anderen! Und: Geht es in der Politik nicht zuerst um Macht, aber keinesfalls um Fairness?

Herr Tauber erklärt: „Sozial gerecht ist, wenn Leistung honoriert wird.“ Welche Leistung Herr Tauber, und Leistung wofür, und wer honoriert wen und womit?

Herr Schulz erklärt sein Verständnis von sozial gerecht in vier Punkten. Als erstes: „Gerecht ist: Gleiche Chancen für alle, deshalb kostenfreie Bildung von der Kita bis zur Uni.“ Gibt es keine kostenfreie Bildung in Deutschland? Die Berufsausbildung wird sogar generell bezahlt – aber nicht vom Staat -, und wie viele Studenten erhalten monatlich Geld vom Steuerzahler? Aber trotzdem: Was ist mit der Verwirklichung gleicher Chancen für alle? Hört sich erst einmal plausibel an, viele Menschen werden vorbehaltslos zustimmen. Sicherlich sind in den Jahrzehnten der Bundesrepublik die beruflichen Chancen für breite Bevölkerungsschichten verbessert wurden, aber gleiche Chancen würde ein gleichgeschaltetes Gesellschaftssystem voraussetzen, Beseitigung sämtlicher sozialer und natürlicher Unterschiede. Derartige Bestrebungen kennen wir in Deutschland. Der Begriff dafür heißt: Diktatur. Aber in einer Diktatur, egal mit welchem Adjektiv sie versehen ist, gibt es niemals diese gleichen Chancen, dafür jedoch Unfreiheit und Degeneration.

Auch die anderen drei Punkte des Herrn Schulz sind angefüllt mit Lug und Trug. Sie alle gehen vom ursozialistischen Gedanken der Gleichheit aus, dem Millionen und Abermillionen Menschen geopfert wurden.

Frau Kipping und Herr Riexinger würden sich heftig wehren, mit der verblichenen SED in einen Topf geworfen zu werden, aber ihre Antworten würde Erich Honecker freudig unterschrieben haben. Sie beginnen: „Sozial gerecht ist, wenn niemand in Armut leben muss, kein Kind, keine Rentnerin, wenn alle sicher und frei von Existenzängsten leben können.“ Genau dies behaupteten die Parteiführer der sozialistischen Staaten über ihren Sozialismus. Die Verlogenheit unserer Armutsstatistik hat Walter Krämer vielfach offengelegt, auch hier auf achgut.

Weisen sozialistische Vorstellungen nicht auch religiösen Charakter auf?

Die Verlogenheit setzt sich fort, wenn anbiedernd Kind und Rentnerin angeführt werden, oder ist es nur Dummheit, nicht auch alle anderen Gruppen aufzuzählen, gleichfalls den Rentner? Das Ziel der Befreiung von Existenzängsten ist identisch mit den gleichen Chancen des Herrn Schulz. Bestenfalls könnte man sagen „romantisch“, wenn sich dahinter nicht Tyrannei verstecken würde. Die Linken belügen ihre Wähler, wenn sie ihnen die Beseitigung der Existenzängste versprechen, das kann zwar eine Religion für den Himmel versprechen aber keine Gesellschaft. Indessen: Weisen sozialistische Vorstellungen nicht auch religiösen Charakter auf?

Frau Göring-Eckardt beginnt mit: „Sozial gerecht ist, was den sozialen Frieden bewahrt.“ Unser marktwirtschaftliches (was nur ein Synonym für kapitalistisch ist) System bedingt Konjunktur und Abschwung, dafür muß hier keine volkswirtschaftliche Beweisführung angetreten werden. In fast allen bürgerlichen Staaten ist es das Ziel der Wirtschaftspolitik, einen solchen Abschwung zu mildern, aber derjenige Politiker, der behauptet, diesen verhindern zu können, sozusagen eine immerwährende Prosperität zu garantieren, ist ein gefährlicher Demagoge. Demagoge, weil sämtliche Erfahrung und Wissen dagegenstehen. Gefährlich, weil ein derartiges Versprechen stets in Knechtschaft und Massenmord endete.

Auch das Ende der Erklärung von Frau Göring-Eckardt geht in genau dieselbe Richtung wie die von Herrn Schulz und der beiden Grünen-Politiker: „Armut und Ausgrenzung überwinden. Allen Menschen gesellschaftliche Teilhabe an Arbeit, Bildung und Chancen ermöglichen.“ Auch das hört sich wunderbar an, so wie alle Heilsversprechungen. Weder historisch noch individuell gibt es ein absolutes Verständnis von Armut. Wenn Frau Göring-Eckardt Armut absolut überwinden möchte, muß sie dafür ein allgemeines Verständnis dekretieren, was ebenso wie bei der Gleichheit nur neuen Despotismus bedeuten würde.

Bleibt zuletzt Alice Weidel von der AfD. Immerhin, so könnte man wohlwollend anmerken, hat SPON die AfD nicht ausgeschlossen, obgleich sein Mutterblatt diese Partei am liebsten verboten sehen würde. Aber Frau Weidel hat es nötig, im Gespräch zu bleiben, vermutlich reagierte sie deshalb auf das Angebot von SPON, obgleich das ihr wohl kaum eine einzige zusätzliche Wählerstimme bringen dürfte. Im Unterschied zu den anderen Teilnehmern sagt Frau Weidel zuerst, was sozial ungerecht ist: „Die Steuer- und Abgabenbelastung in Deutschland ist zu hoch.“ Welche Partei wird dem so generell widersprechen? Allerdings werden sie differenzieren zwischen denen „Oben“ und denen „Unten“. Dann sagt sie: „Sozial gerecht ist, wenn genug Netto vom Brutto übrigbleibt.“ Welche Partei würde dem widersprechen? Während andere Parteien sich in Phantastereien und Demagogie ergehen, verbleibt Frau Weidel im Banalen.

Vielleicht wünschen sich manche Leser jetzt ein Fazit. Es heißt: Sprechblasen, Demagogie und Banalität.

Klaus D. Leciejewski hat an verschiedenen deutschen Hochschulen Wirtschaft gelehrt, ist Autor mehrerer Sachbücher und Publizist. Er ist mit einer Kubanerin verheiratet und lebt einen großen Teil des Jahres auf Kuba.

Foto: Sebastian Müller CC BY 2.5 via Wikimedia Commons

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Michael Lorenz / 02.08.2017

Tauber: “Sozial gerecht ist, wenn Leistung honoriert wird.” Na, das ist ja interessant. Weiß Herr Tauber überhaupt, was er da gesagt hat? Der Satz kann ja nicht so gemeint sein: “Sozial gerecht ist, wenn Leistung genauso wie Nichtleistung honoriert wird” - er wäre die Negation von Taubers Zitat. Also macht er nur so Sinn: “Sozial gerecht ist, wenn Leistung im Unterschied zu Nichtleistung honoriert wird”. Und damit sagt Herr Tauber mit nur geringfügig anderen Worten, was ich schon lange zitiere (und bedauerlicherweise den originalen Autor vergessen habe): “Sozial gerecht ist, wenn es dem Fleißigen gut und dem Faulen schlecht geht”!

Sandro König / 02.08.2017

Ich vermute mal,sozial gerecht ist, wenn ein EU Parlamentspräsident Sitzungsgelder von mehr als hunderttausend Euro - also etwa zwei komplette Ingenieursgehälter - pro Jahr kassiert, obwohl er an diesen Sitzungen niemals teilgenommen hat. Noch sozialer und gerechter ist es sicherlich, wenn solche Gelder nicht versteuert werden müssen. Sozial gerecht ist es, wenn Parlamentarier ohne jemals für die Rente einzuzahlen nach sechs Jahren im Parlament eine Megarente einstreichen, für die ein produktiv wirtschaftender Steuerzahler 100 Jahre einzahlen müsste. Sozial gerecht ist wohl auch eine immer höhere Abgabenlast für Steuerzahler zugunsten einer immer größer werdenden Sozialindustrie. Sozial gerecht ist vor allem die weitere Plünderung von Sozialkassen und Reserven zu Lasten unserer Altersvorsorge und unserer eigenen Kinder für eine Willkommenspolitik, die mit unserem Geld Weltsozialamt spielt. Ich habe jedenfalls keinen Bock mehr auf staatlich verordnete soziale Gerchtigkeit!

Horst Jungsbluth / 02.08.2017

Nach der Lektüre dieses aufschlussreichen Beitrages ahnt man, warum es “so” ungerecht in unserem Lande zugeht: Es liegt an den Politikern, die anstatt dafür zu sorgen, dass der Staat, das Land oder die Kommune ordentlich geführt und verwaltet werden, nur phrasenhaften Unsinn schwatzen und darin sogar noch Unterstützung bei den Medien finden.  Man kommt sich vor wie in der DDR, wo diese unsäglichen Phrasen auf Transparenten zu lesen waren und nicht selten als Beigabe den erschreckenden Verfall verbergen sollten.  Dabei liegen die Probleme offen und bestehen in der rasant steigenden Kriminalität, dem Terrorismus, der Verwahrlosung,und dem Millionenheer von Leistungsempfängern bei gleichzeitigem Arbeitskräftemangel.  Warum sagt keiner der befragten Politiker, wie man endlich diese ohne Not selbst geschaffenen Probleme lösen will?  Apropos “soziale Gerechtigkeit”: Man könnte doch ganz einfach damit anfangen, die schier unglaublichen Privilegien abzubauen, die der “Gesetzgeber” fast allen Politikern und jenen verschafft hat, die im weitesten Sinne im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Warum fängt man nicht bei sich selbst an?

Clemens Hofmeister / 02.08.2017

“sozial gerecht” ist die nobel verpackte “Diktatur des Proletariats”. Und die ist nicht eben gerade nicht gerecht, auch wenn es 100x soviele Politiker vor sich hin faseln. Schluckt man das GEspinst von der sozialen Gerechtigkeit, dann ist man mit der menschenverachtenden (natürlich nur um eben dieser GErechtigkeit ausnahmsweise und garantiert nur einmal ?!) Ideologie auf den Leim gegangen.

Hans-Peter Hammer / 02.08.2017

Was kann, außer Sprechblasen, Demogogie und Banalität, bei einem Wieselwort wie “soziale Gerechtigkeit” sonst herauskommen?

R. Kuth / 02.08.2017

Durch diese “Gerechtigkeitsduselei” wird nur, in Deutschland besonders beliebter, Neid gezüchtet. Mit zwei alten Sprichwörtern lässt sich das ganz einfach darstellen: “Wer erfolgreich sein möchte, muss SICH quälen” und “Der Erfolgreiche hat nie viele Freunde”.

Rudolf George / 02.08.2017

H. Leciejewski hat natürlich recht, wenn er SBON (Salon Bolschewiken OnLine) und die befragten Politiker dafür kritisiert, mittels Worthülsenfrüchten lediglich geistige Blähungen abzusondern. Herr Tauber war aber vielleicht schon auf dem richtigen Weg, möglicherweise unbewusst, wenn er von einem “fairen Interessensausgleich” sprach, jedenfalls sofern man eine Fairnessdefinition zugrunde legt, die ich bei Lion Feuchtwanger gelesen habe: Fairness ist die Bereitschaft mehr zu geben als man schuldet und weniger zu nehmen als einem zusteht. Fairness, in diesem Sinne verstanden, wäre in der Tat eine Maxime, die dem Kantschen kategorischen Imperativ gerecht werden würde.

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