Rainer Grell / 25.11.2016 / 17:30 / Foto: Raimond Spekking / 1 / Seite ausdrucken

Blühender Unsinn: Welt- und Gedenktage für alles und jedes

Heute ist der „internationale Tag gegen Gewalt an Frauen“. Wenn ich in meinen Kalender schaue, komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus: Kaum Termine, dafür zahlreiche „Welttage“. Dazu lese ich bei Wikipedia: „Ein Welttag soll an internationale Themen und aktuelle Weltprobleme erinnern. Der erste Welttag wurde am 31. Oktober 1947 von den Vereinten Nationen (UN) ausgerufen. Heute gibt es von den UN und ihren Unterorganisationen etwa 70 offizielle Welt- und Internationale Tage.“ Der erste Welttag war übrigens der UNO selbst gewidmet. Eine originelle Idee, die Henryk M. Broder (intuitiv oder bewusst?) aufgriff, indem er sein Buch „Hurra, wir kapitulieren!“ mit der Widmung „Für mich, zum Sechzigsten“ versah.

Doch die UNO ist nicht die einzige Institution, die Welttage in die Welt setzt.

„Im Zeitalter der Globalisierung und des Internets erfahren weltweite Gedenktage eine Aufwertung“, heißt es weiter bei Wikipedia. „Welttage werden neben den UN zunehmend auch von anderen Organisationen wie etwa der Katholischen Kirche (z. B. den Welttag der sozialen Kommunikationsmittel) und PR-Agenturen ausgerufen.“ Der auch als „Mediensonntag“ bezeichnete Welttag fand in diesem Jahr am 11. September statt – und niemand hat’s gemerkt, außer der Deutschen Bischofskonferenz natürlich.

Spontan fielen mir zunächst nur zwei Welttage ein: Der 10. Dezember als Internationaler Tag der Menschenrechte, zur Erinnerung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948, und der Internationale Tag zum Gedenken an die Opfer des Holocausts am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee 1945. Auch der 1. Mai als Tag der Arbeit und der Valentinstag am 14. Februar als Tag der Liebenden haben quasi Weltgeltung, wenn sie auch nicht offiziell durch die UNO eingeführt wurden, sondern auf Traditionen beruhen.

Rauchmelder gleich dreimal geehrt

Nur ganz nebenbei möchte ich erwähnen, dass jeder Freitag der 13. „Tag des Rauchmelders“ ist. Im vergangenen Jahr konnte dieser Tag dreimal begangen werden (13. Februar, 13. März und 13. November), während in diesem Jahr nur ein Tag, nämlich der 13. Mai, dafür in Betracht kam.

Sehr interessant erscheint mir auch der in den USA seit 30 Jahren begangene „Nichts Tag“, den der amerikanische Kolumnist Harold Pullman Coffin 1973 als „National Nothing Day“ ausgerufen hat, ein Tag, an dem die Amerikaner einfach nichts tun sollen. Was natürlich ein Ding der Unmöglichkeit ist. Genauso wie der „Kauf-Nix-Tag“ jeweils am letzten Samstag im November.

Eine Übersicht über die „Welttage“ findet der interessierte Leser hier. Dabei fallen besonders der „Welttag des Schneemanns“ am 18. Januar, der bei fortschreitender Erderwärmung allerdings bald dem Vergessen anheimfallen könnte, sowie der 21. Januar als „Weltknuddeltag“ und „Welttag der Jogginghose“ besonders ins Auge, während der 24. Januar als National Compliment Day, Tag der Komplimente, wohl nur den US-amerikanischen Kavalieren Freude bereiten dürfte. Der Rest der Angehörigen der Jahrgänge vor 1968 feiert den World Compliment Day ein paar Wochen später: Am 1. März (und nicht am 1. April).

Der 2. Februar dürfte sich bei den Fans von Charlotte Elisabeth Grace Roche besonderer Beliebtheit erfreuen, handelt es sich doch um den „Welttag der Feuchtgebiete“. Der Aktionstag „Safer Internet Day“ findet jährlich am zweiten Tag der zweiten Woche des zweiten Monats, im nächsten Jahr also am 7. Februar statt. Achtung: Schalten Sie Ihren Computer an diesem Tag am besten gar nicht ein, denn er dürfte für Hacker eine besondere Herausforderung darstellen.

Am 11. Februar kommt's knüppeldick

Am 11. Februar kommt es dann knüppeldick: Welttag des Kranken, Europäischer Tag des Notrufs 112, Internationaler Falschparker-Tag. Letzterer zählt übrigens zu den jüngsten Gedenktagen, hatte er doch erst 2015 sein Debüt. „Anlass ist die Gewohnheit von Motorisierten, auf Rad- und Gehwegen zu parken, ihr Fahrzeug mal eben in der zweiten Reihe abzustellen, um was auszuladen, einen Kaffee zu trinken – oder auch ganz selbstverständlich über Nacht, ohne Warnblinker und jedes Unrechtsbewusstsein.“

Doch der 20. Februar stellt alles in den Schatten: Es ist der „Welttag der sozialen Gerechtigkeit“ (World Day of Social Justice). Er wurde von der UNO 2007 eingeführt und erfreut sich naturgemäß bei der SPD sowie der Linkspartei besonderer Beliebtheit. In einer Pressemitteilung der SPD-Bundestagsfraktion liest man zum „Welttag der sozialen Gerechtigkeit 2016“: „Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten über Flucht- und Fluchtursachen sollte uns der Welttag der sozialen Gerechtigkeit daran erinnern, dass es endlich an der Zeit sein muss, den Wohlstand dieser Welt fair zu verteilen und damit echte Perspektiven für alle – egal in welchem Erdteil und gleich in welche soziale Schicht man geboren wurde – zu schaffen.

In diesem Jahr muss wohl eher vom Welttag der sozialen Ungerechtigkeit gesprochen werden. Noch nie waren Wohlstand und Reichtum so ungleich verteilt. Laut einer Studie von Oxfam besitzen die 62 reichsten Menschen der Welt genauso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Damit ist in einem Zeitraum von lediglich fünf Jahren das Vermögen der 62 reichsten Personen um 44 Prozent gewachsen, während das Vermögen der ärmeren Hälfte um eine Billionen US-Dollar zurückgegangen ist. Damit haben sich die Unterschiede zwischen Arm und Reich weiter drastisch vergrößert.“

Demgegenüber äußerte sich die Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Katja Kipping, eher moderat zu diesem Welttag: „Soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie gehören zusammen. Mindestlohn, Mindesteinkommen und Mindestrente, freier Zugang zu öffentlichen Infrastrukturen und Dienstleistungen für alle sowie eine Bürgerversicherung sind Mindeststandards einer Gesellschaft, die sozial gerecht ist.“

Schwertschlucker und Tiefkühlkost

Der 23. Februar ist dagegen eher etwas für Exzentriker, handelt es sich doch um den „Tag der Schwertschlucker“, während der 6. März als „Tag der Tiefkühlkost“ ein Schmankerl für „die Mitte der Gesellschaft“ sein dürfte, verzehrt doch jeder Bürger in Deutschland mittlerweile über 40 kg Tiefkühlkost pro Jahr. Wie manches andere hat der Tag seinen Ursprung allerdings in den USA: Ronald Reagan proklamierte 1984 den 6. März zum „Frozen Food Day“.

Die Frauen kommen bei den Gedenktagen überproportional gut weg: 7. März Weltgebetstag der Frauen, 8. März Internationaler Tag der Frau, 2. Sonntag im Mai Muttertag und - sorry, ich kann nichts dafür - 2. Juni: Internationaler Hurentag, 25. November Internationaler Tag für die Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. Schließlich, nicht zu vergessen, der Internationale Tag der Muttersprache am 21. Februar.

Die Männer müssen sich demgegenüber mit den folgenden Gedenktagen zufrieden geben: Vatertag, Himmelfahrt: 40. Tag nach Ostern, Welttag des Mannes am 3. November, der auch, sehr treffend, der Tag der Jäger (Hubertustag) ist, während der Internationale Männertag am 19. November mit dem Welttoilettentag (vielleicht weil die sexuellen Schmierereien eine Domäne der Männertoiletten sind), und, in Deutschland, dem Tag der Suppe zusammenfällt, in die man heutzutage den Männern gerne spuckt. Das mit den Männertoiletten war natürlich ein übler Scherz unter der Gürtellinie. In Wirklichkeit hat die UN-Generalversammlung diesen erstmals 2001 von der Welttoilettenorganisation ausgerufenen Tag am 24. Juli 2013 ganz offiziell verkündet, um auf „das Fehlen ausreichend hygienischer Sanitäreinrichtungen für mehr als 40 Prozent der Weltbevölkerung“ aufmerksam zu machen (Wikipedia). 

Die Versöhnung der Geschlechter findet dann am 21. Dezember, dem Welt-Orgasmus-Tag, statt. Wer sich am 9. Mai in Brasilien befindet, kann dort den Orgasmus-Tag nochmal feiern. Für mich persönlich ist der 12. November wichtiger, handelt es sich doch um den Ehrentag für Oma und Opa. Bis zu meinen vier Enkeln hat sich das aber leider noch nicht herumgesprochen. Für andere mag der 9. Dezember, der Welt-Anti-Korruptions-Tag der UN, wichtiger sein. Da kann sich jeder der übrigen Welt überlegen fühlen, der eine weiße Weste hat.

Ohne Flüchtlinge geht's nicht

Wem alle diese Tage an die Nieren gehen, für den ist der 2. Donnerstag im März gedacht: der Weltnierentag, der 2006 ins Leben gerufen wurde (Wikipedia). Wer dagegen alles mit dem leider im Alter von 59 Jahren verstorbenen Liedermacher Ulrich Roski nicht so verbissen sieht, kann stattdessen den Welttag des Purzelbaums am 27. Mai feiern, der 2009 von dem deutschen Blogger Jörg Wilkesmann-Brandtner auf seinem Blog Theomix kreiert wurde. Wem das Ganze dagegen auf den Magen schlägt, kann sich davon am Magen-Darm-Tag (7. November) befreien und sich anschließend beim Science Slam „Darm mit Charme“ von und mit Guilia Enders erholen.

Aber ich kann diesen Beitrag natürlich nicht ohne einen Hinweis auf den Internationalen Tag der Migranten (Ein- und Auswanderer) beenden, den die UNO am 18. Dezember 2000 ausgerufen hat. Die "International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families" war zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Jahre alt. Um an diejenigen zu erinnern, die auf der Suche nach einem besseren Leben den Tod fanden, hat die International Organization for Migration (IOM) 2015 the first global Candlelight Vigil on December 18 veranstaltet.

Migranten müssen bekanntlich keine Flüchtlinge sein, weshalb es seit 2001 am 20. Juni den Weltflüchtlingstag gibt: Am 4. Dezember 2000 erklärte die UN-Generalversammlung mit der Resolution 55/76 zum bevorstehenden 50. Jahrestag der Gründung des UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) den 20. Juni zum Weltflüchtlingstag (World Refugee Day).

Wem das immer noch nicht reicht, der muss sich ab hier allein durch den Dschungel der Welt- und Gedenktage hangeln. Er wird dabei weder auf Tarzan noch auf Jane treffen, denen unverständlicherweise noch kein Tag gewidmet wurde.

Foto: Raimond Spekking CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Roman Grom / 26.11.2016

Leider haben Sie den Welt- Idioten Tag vergessen. Und der wird jeden Tag gefeiert. Und das ganz ohne Bemühungen multilateraler Organisationen.

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