Wolfram Weimer / 10.11.2017 / 06:15 / Foto: Tomás Castelazo / 14 / Seite ausdrucken

Wehe, wer Merkel kritisiert

Sie nennen es bereits die „Kritikerpest“. Jeder ranghohe Unionspolitiker, der Angela Merkel in den vergangenen zwei Jahren kritisiert hat, wird selber siech. Die Fehler der Migrationskrise fallen nicht der Kanzlerin sondern ausgerechnet den Mahnern auf die Füße. Das Quintett der wichtigsten Gegenspieler zeigt eine verblüffende Zersetzung:

Wolfgang Bosbach gehörte zu den mutigsten Kritikern des Merkel-Kurses, in der Flüchtlingskrise wie in der Euro-Rettungspolitik. Er verweigerte der Kanzlerin sogar bei Abstimmungen im Bundestag die Gefolgschaft – und wurde daraufhin aus ihrem Umfeld persönlich diffamiert, das sei wohl sein „Geschäftsmodell“. Aus Protest legte er erst seinen Posten als Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag nieder und kandidierte dann frustriert nicht mehr für das Parlament.

Heute erklärt er, es sei eine „bittere Erfahrung, von den eigenen Leuten als Profiteur beschimpft zu werden“. Tatsächlich habe er „einfach an dem festgehalten, was wir den Bürgern bei der Einführung des Euro versprochen hatten“. Und auch zur Flüchtlingspolitik sagt Bosbach dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Ich bleibe dabei: Wir müssen wissen, wer in unser Land kommt.“ Von der Bühne der Politik ist er nun freilich verschwunden. Als Grund gibt er neben gesundheitlicher Belastung auch Enttäuschung über die Art der Auseinandersetzung mit seiner Kritik an.

„Merkelkritik macht offenbar ohnmächtig.“

Auch Stanislaw Tillich mahnte immer wieder Korrekturen an der Migrationspolitik Merkels an, warnte vor dem Aufstieg der AfD und sorgte sich ums konservative Profil der Union. Kurz nach der Wahl fasste er die Sorgen der Menschen so zusammen: "Die Leute wollen, dass Deutschland Deutschland bleibt.“ Am Ende wurde die AfD in Sachsen stärkte Partei. Nun ist der sächsische Ministerpräsident zurückgetreten, obwohl er fürs Wahldesaster der CDU eigentlich am wenigsten konnte.

Auch Wolfgang Schäuble hatte sowohl in der Griechenland- als auch in der Migrationskrise grundlegend andere Meinungen als Merkel. Allerdings äußerte er die vor allem hinter verschlossenen Türen. Und doch war Schäuble ihr gefährlichster Gegner, weil er von vielen in der Union als eine latente personelle Alternative angesehen wurde, als ein Kanzler in Wartestellung. Doch auch er ist nun aus dem Zentrum der Machtpolitik heraus gedrängt. Als neuer Bundestagspräsident bekleidet er ein nurmehr protokollarisch wichtiges Amt. Ein CDU-Abgeordneter meint dazu lakonisch: „Merkelkritik macht offenbar ohnmächtig.“

Der lautstärkste Merkel-Kritiker der Union kommt freilich aus Bayern. Horst Seehofer war monatelang nicht müde geworden, die Migrationskrise vehement zu beklagen. Er unterstellte Merkel gar eine „Herrschaft des Unrechts“ und drohte offen mit Verfassungsklage. Wo Bosbach verärgert, Tillich alarmiert und Schäuble besorgt waren, da war Seehofer regelrecht entsetzt. Nur in der Schlussphase des Wahlkampfs hielt er mit Kritik still. Doch auch er wird nun von der Kritikerpest erfasst. Auch ihm wird Merkels Wahldesaster zum Verhängnis. Der bayerische Ministerpräsident wankt und muss um sein politisches Überleben kämpfen – wenn er das denn überhaupt noch tun will.

Wagt Spahn den Putsch? – eher nicht

Jens Spahn, der seit zwei Jahren mit offenem Visier eine innerparteiliche CDU-Opposition zur Kanzlerin verkörpert, muss sich ebenfalls sorgen. Er hat sogar ein ganzes Buch gegen Merkels offene Grenzen geschrieben, hat sie auf dem letzten CDU-Parteitag mit dem Abschaffungsbeschluss zum Doppelpass vorgeführt und wird zuweilen als deutscher Sebastian Kurz gesehen. Doch auch Spahn taumelt dieser Tage. Mit Wolfgang Schäuble ist seine Schutzmacht verschwunden (Spahn ist parlamentarischer Staatssekretär im Finanzministerium) und ein großer Posten kommt für ihn nicht in Sicht. Merkel will ihn weder zum CDU-Generalsekretär machen (dazu misstraut sie ihm viel zu sehr) noch zum Minister (da muss sie erst einmal andere Interessen bedienen).

Auch ihm droht damit die Kritikerpest. Es sei denn, er wagt auf dem kommenden Parteitag seinen dritten Parteitagsputsch nach 2014 (Kampfkandidatur gegen Merkels Wunschmann Hermann Gröhe) und 2016 (Doppelpassaufstand). Doch diesmal müsste er direkt gegen Merkel antreten und den Vorsitz der CDU infrage stellen. Zwar ist eine Mehrheit für die Trennung von Kanzleramt und Parteivorsitz denkbar, aber eine Mehrheit für Spahn als neuen Vorsitzenden eher nicht.

Und so wächst es sich zu einer gewaltigen Ironie der Geschichte von CDU/CSU, dass eine Reihe ihrer mächtigsten Männer ausgerechnet aus dem Grund stürzen, den sie seit Monaten kritisieren. Oder wie ein Ex-Ministerpräsident der Union witzelt. „Früher überwand Angela Merkel ihre innerparteilichen Rivalen, indem sie auf deren Fehler wartete. Heute läßt sie sie ihren eigenen Fehler erleiden.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European hier.

Foto: Tomás Castelazo CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Thomas Hellerberger / 10.11.2017

Mit den genannten CDU-Politikern - vergessen wir nicht Roland Koch und Friedrich Merz - muß niemand Mitleid haben. Sie hatten und sie hätten Gelegenheit gehabt, offen und klar gegen Merkel anzutreten, sie wirklich herauszufordern. Wer tut das denn? Keiner. Eben. Vergessen wir nie: Die CDU war und ist seit Adenauers Zeiten in erster Linie ein Kanzlerwahlverein. Der Deal lautet: Wir gewähren Machtteilhabe, und dafür erwarten wir Gehorsam. Eine Programmpartei, wie die SPD oder Grünen, war sie nie. Da ist ja auch der größte Unterschied zur AfD (und nicht wie weit oder wenig rechts die beiden jeweils sind): Die AfD ist eine Programmpartei. Macht hat sie (noch) nicht zu bieten, und darum streiten dort alle wie die Kesselflicker. Das ist der Grund, warum Kanzler-Kritiker in der Union nie die nötige Gefolgschaft zusammenbekommen: Merkel (und vor ihr Kohl) KONNTEN und können stets Macht, Einfluß und Einkommen garantieren. Der Kritiker, der Herausforderer kann es nie. Wenn man dazu dann Dinge wie den Atomausstieg, die Flutung des Landes mit Muslimen oder die Abschaffung der Autoindustrie schlucken muß - unschön, aber was muß, das muß. So funktioniert die Union, seit es sie gibt. Darum wird sie in 100 Jahren auch weniger Parteivorsitzende haben als die SPD in 10. Um auf die gestürzten “Merkelkritiker” zurückzukommen: Sie sind allesamt weich gefallen. Wer mit dem Teufel frühstücken will, braucht ein großes Besteck. Und es deutet alles darauf hin, daß der (oder die), der Merkel einst stürzen wird, nicht aus der Union kommen wird. Wie damals bei Kohl und bei Adenauer.

mike loewe / 10.11.2017

Es liegt wohl teilweise daran, dass Merkel eine Frau ist. Männer wollen sich als Gentleman verhalten, ihr den Vortritt lassen. Es herrscht vornehme Zurückhaltung, niemand wagt, sie wirklich zu kritisieren oder sich gar gegen sie zu verbünden, wie man es mit einem männlichen Politiker machen würde. Und es gab vor Merkel noch keine Gelegenheit, auf dieser Ebene zu üben.

Wilfried Paffendorf / 10.11.2017

Wer sich mit dem Teufel verbündet, landet früher oder später in der Hölle. Sollte man annehmen. Bei ausgebooteten und weggemobbten Politikern - und allemal in staatlicher Funktion - läuft das zwar auch so ab, sie landen aber nicht in der Hölle, sondern auf Kosten der Allgemeinheit sozial abgesichert im Altenteil, auf einem lukrativen Posten im Staat, im Vorstand oder Aufsichtsrat eines Konzerns oder in einem steuergeldfinanzierten Verein der Sozialindustrie, Kirche, NGO) usw. Schlechter dotierte Schleppträger aus der mittleren und unteren Ebene der Partei landen heute bei der AfD. Die genannten Ausgebooteten haben keinen Grund sich zu beklagen, sind sie doch gerne gut dotiert mitmarschiert. und haben das Destaster mit zu verantworten. In diesem Zusammenhang werden dann wohl etliche “Enthüllungen” auf dem Buchmarkt erscheinen. Und solange die Massenpresse hinter Merkel versammelt ist, wird das unwürdige Merkelspiel auch weitergehen. Früher traten Partei- und Regierungschefs nach einem Wahldesaster noch am Abend nach der Wahl zurück. Heute spielt man den Beleidigten und klagt das Volk/den Wähler an, die zu dumm sind, die welthistorische Größe, in diesem Fall der Kanzlerin Merkel und deren heilandmäßigen Plan, zu erkennen und zu begreifen. Ich werde es noch erleben singen zu dürfen: “Reich mir zum Abschied noch einmal die Merkel und ihre Satrapen!” (in Anlehnung an “Reich mir zum Abschied noch einmal den Mende!” Vielleicht tritt Merkel ja nach ihrem Abgang der Partei Die Linke bei…oder den Grünen…)

A. Müller / 10.11.2017

Es ist unfassbar was das Politiksyndikat mit den noch wenigen verantwortungsbewußten Politikern macht um sie mundtot zu machen. So kann sich Frau Merkel mit Ihrer Gefolgschaft unersetzlich machen . Jede Kritik prallt damit von Ihr ab und sie kann nach wie vor sagen: ich habe alles richtig gemacht und “die deutschen Bürger schaffen das” ( mit allen negativen Begleiterscheinungen ). Wenn das neuerdings der politische Begriff einer Demokratie ist dann ist Deutschland für war eine   Bananenrepublik. Also weiter so ,  die Folgen hat ja Sarazin in seinem Buch ” Deutschland schafft sich ab ”  treffend beschrieben.

Karla Kuhn / 10.11.2017

“In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.“ “Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: NEIN” Kurt Tucholsky Der Mann bringt alles auf den Punkt.  Manchmal fällt es mir schwer die Netiquette zu wahren aber, wie meine Mutter zu sagen pflegte, was lange währt ( wehrt ) wird am Ende doch noch gut.

Dietrich Herrmann / 10.11.2017

Es müsste sich doch eine Gruppe gestandener Männer finden lassen, die eines Tages die Merkel in ihrem Büro aufsuchen, ihr in den Mantel helfen, das Handtäschchen in die Hand drücken und sie ganz höflich zum Gehen auffordern - für immer. Sie in den Zug nach der Uckermark setzen und Schluss ist. Alles ganz friedlich. Es gibt keine richtigen Männer mehr in Deutschland…

Lars Bäcker / 10.11.2017

Wenn man ehrlich ist, dann war es niemals direkte Kritik, sondern immer nur Kritik durch die Blume oder zwischen den Zeilen, die sich durch Lächeln oder einfach Schweigen aussitzen ließ, bis eine andere mediale Sau durch‘s Dorf gejagt wurde (also einen oder höchstens zwei Tage später). Hätten es die oben genannten Herren einach mal gewagt, die Kanzlerin direkt anzugehen und sich dazu auch innerhalb der Partei gewichtige Verbündete gesucht, sähe die Sache nämlich ganz anders aus. Das schlimmste das man Angela Merkel nämlich antun kann, ist von ihr zu verlangen, sich argumentativ zu verteidigen. Da wird‘s bei der Dame nämlich in der Regel peinlich. Und das weiß sie. Man muss seine Gegner an ihrer schwächsten Stelle packen. Nur so kann man gewinnen. Duckmäusertum hat selten Veränderungen bewirkt. Leider gibt es von diesen Mäuserichen in Partei und Medien zuviele.

Andreas Horn / 10.11.2017

Das Sie über diese Mitläufer und Mittäter überhaupt einen Artikel schreiben ,spricht Bände. Wollen Sie “Kritik” und “Aufstand” der von Ihnen beleuchteten herbeischreiben ? Beste Grüsse

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