Burkhard Müller-Ullrich / 04.04.2017 / 20:00 / Foto: U.S.N.A.R.A / 12 / Seite ausdrucken

Wahlgeheimnis: Wehe, wer beim Wählen knipst

Zum Glück herrscht das Wahlgeheimnis. So wissen wir zum Beispiel nicht, wem Angela Merkel heimlich, in der Abgeschiedenheit der Wahlkabine und umgeben von Stellwänden und Filzvorhängen, ihre Stimme gibt. Vielleicht ihrem Martin Schulz? Und der könnte ganz im Verborgenen sein Kreuzchen bei der Kanzlerin machen. Es ist nicht wahrscheinlich, aber denkbar ist es wohl, und herauskommen wird es nie, solange das Wahlgeheimnis herrscht. Das wird bei uns nämlich ganz streng und genau genommen. Manche Mutter mußte sich schon anherrschen lassen, daß sie ihr Kleinkind nicht in die Wahlkabine mitnehmen dürfe. Das Risiko, daß der Nachwuchs Mamas Wahlentscheidung ausplaudert, ist wohl zu groß.

Jetzt ist es auch verboten, Handyfotos in der Wahlkabine zu machen. Bei Zuwiderhandlung wird der Stimmzettel ungültig, weil ja die Gefahr besteht, daß der abfotografierte Stimmzettel das eigene Wahlverhalten offenbart, und eben dies muß ja wegen des Wahlgeheimnisses verhindert werden. Da es aufgrund desselben Wahlgeheimnisses schwierig ist, solche Übertretungen festzustellen, läßt sich der Schutz des Wahlgeheimnisses nur durch den Bruch des Wahlgeheimnisses garantieren, indem in allen Wahlkabinen Überwachungskameras installiert werden, mit deren Hilfe festgestellt werden kann, ob jemand mit seiner eigenen Kamera herumspielt.

Es könnte jedoch passieren, daß ein solches Vergehen gegen die Wahlordnung trotz vorhandener Beobachtungstechnik unentdeckt bleibt, bis der oder die Betreffende das Selfie auf Facebook postet. In diesem Fall wäre die abgegebene Stimme zwar ebenfalls ungültig, aber es würde sich das Problem ihrer Wiederauffindbarkeit stellen, da die Stimmzettel wiederum wegen des Wahlgeheimnisses ja nicht namentlich gekennzeichnet werden – jedenfalls noch nicht. Eine konsequente Durchsetzung des Selfieverbots im Sinne des Wahlgeheimnisses erfordert daher zwingend die Abschaffung des Wahlgeheimnisses, um ungültige Stimmen nachträglich ausfiltern zu können.

Man könnte natürlich auch ohne persönliche Identifizierung einfach bei der betreffenden Partei jeweils eine Stimme abziehen, sobald ein offensichtlich illegal geknipstes Wahlkabinenfoto irgendwo im Internet auftaucht. Das könnte indes dazu führen, daß massenweise falsche Stimmzettel gepostet werden, was nicht mal strafbar wäre, weil ein bloßes Foto im Internet ja im Gegensatz zu einem Stimmzettel keine Urkunde und daher auch nicht die Fälschung einer solchen sein kann.

Aus demselben Grund überzeugt freilich auch das Argument nicht, mit dem die Bundesregierung das Selfieverbot von anderen Formen der Selbstoffenbarung abgegrenzt hat: Schließlich lassen sich die Politiker selbst nur zu gern im Wahllokal oder davor fotografieren, und die Meinungsforscher hecheln den Wählern unmittelbar nach der Stimmabgabe hinterher. Dadurch werde das Wahlgeheimnis aber nicht gebrochen, heißt es, denn die Leute könnten bei den Befragungen ja lügen. Wer allerdings glaubt, daß Fotos nicht lügen können, der sollte im Jahr 2017 besser keine Gesetze machen. 

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Jürgen Sammler / 05.04.2017

1. Das Wahlgeheimnis ist ein Schutzrecht, welches den einzelnen Wähler davor schützt, seine Wahl öffentlich treffen zu müssen. 2. Der “Geheimnisherr” - ein feststehender juristischer Begriff - ist der einzelne Wähler, nicht die Allgemeinheit oder wer sich sonst für befugt hält. Somit entscheidet der einzelne Wähler darüber, seine Wahl und den Wahlvorgang selbst öffentlich zu machen oder nicht. Niemandem steht das Recht zu, ihn daran zu hindern. Analog kann ein Patient im Wartezimmer seine Krankengeschichte ausbreiten, dennoch darf der Arzt oder das Praxispersonal mit keinem Wort diese bestätigen oder verneinen - von Spezialfällen wie z.B. Kunstfehlervorwürfen o.ä. abgesehen, hier gilt, was das höhere Rechtsgut ist. Auch kann er eine weitere Person direkt zur Behandlung mitbringen. Resümee: Alles inkompetente Dummschwätzer, die auf diese Weise den Wähler doch noch maßregeln wollen.

Ede Kowalski / 05.04.2017

“........Jetzt ist es auch verboten, Handyfotos in der Wahlkabine zu machen.”  Briefwähler haben dies auch gar nicht nötig. Sie könnten von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Wahlschein auf dem heimischen Scanner nach belieben zu vervielfältigen und bei Bedarf auch auszudrucken oder zu versenden, um auf diesem Wege das eigene Wahlverhalten zu offenbaren, sofern dies erwünscht wäre. Soviel zur Effizienz von sinnlosen Verboten.

Th.F. Brommelcamp / 05.04.2017

Die Briefwahl. Sie ist der blinde Fleck! Wie leicht ist es möglich sich mit Freunden, Familie und Nachbarn zum Ankreuzen zu treffen. Schwupps, noch ein Foto vom Wahlzettel…..... Mit einer guten Raumüberwachung würde maan auch diese Dunkelwähler erwischen.

Hubert Havranek / 05.04.2017

Ein offenes Problem steht natürlich noch bei den Bürgern, die die Briefwahl nutzen. Wie sollen die eigentlich überwacht werden?

Dr.med.Christian Rapp / 05.04.2017

Wie geheim ist eine Wahl bei der ich gefilmt werde ? Für mich stand schon vorher fest, ich wähle nicht mehr. Wer filmt mich beim Nichtwählen und verletze ich, wenn ich ein Foto von mir im Liegestuhl auf der Terasse beim Nichtwählen poste das Wahlgeheimnis. Gestern erstmalig (!) Orwells 2017.. äh 1984 zu lesen begonnen. Der Roman beginnt am 4.April ...Zufall ?

Caroline Neufert / 04.04.2017

Guter Kommentar über rechtsstaatlichen Blödsinn

Carl-Christoph Habeck / 04.04.2017

Es wird immer alberner! Wie wird denn verhindert, dass ein Briefwähler seinen ausgefüllten Stimmzettel fotografiert? Einfach irre ........

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