Ingo Langner
Heutzutage muß „watch“ draufstehen, um medienwirksam zu sein. „Germanwatch“, Wikiwatch“ oder „Foodwatch“ zum Beispiel. Letztere auch „die essensretter“ genannt. In ihrer jüngsten „Rettungsaktion“ wollten die aktivistischen „Foodwatcher“, begleitet von gleich mehreren Kamerateams, dem Lebensmittelkonzern „Ferrero“ den Negativpreis „Goldener Windbeutel 2011“ verleihen. Die Begründung: „Die Milch-Schnitte von Ferrero ist die dreisteste Werbelüge des Jahres 2011.“ Weil Ferreros Deutschlandzentrale die Annahme dieser „Auszeichnung“ verweigert hat, teilten „die essensretter“ im Ton einer Drohung der Presse mit, die Lebensmittelindustrie werde sich „eine solche Ignoranz nicht mehr lange leisten können“. Denn: „Ferrero zeigt Zehntausenden Verbrauchern die kalte Schulter“. Das wiederum kommentierte Jan Grossarth in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Wer zu acht ist – so viele fest angestellte Mitarbeiter nach eigenen Angaben – und sich zu zehntausend wähnt, ist entweder größenwahnsinnig oder eine Nichtregierungsorganisation.“
Grossarth bringt damit das Problem „Nichtregierungsorganisationen“ (NRO) oder „Non Governmental-Organization“ (NGO) auf den Punkt, das die Bundeszentrale für politische Bildung so beschreibt: „Auch wenn NGOs keiner politischen Partei zuzuordnen sind und sie für sich in Anspruch nehmen, allgemeine und universelle Gesellschaftsinteressen zu vertreten, gibt es dennoch Kritik an einer zu starken Stellung der NGOs: So kann die fehlende öffentliche Legitimation transnationaler Politik nicht durch NGOs ausgeglichen werden, da diese ebenfalls nicht demokratisch legitimiert sind. Selbst die NGOs, die sich für mehr Demokratie auf globaler Ebene einsetzen, sind nicht gewählt und damit nicht ermächtigt, im Namen des Volkes zu agieren. Zudem sind NGOs auch intern nicht immer demokratisch strukturiert und ihre Spendenabhängigkeit kann in Widerspruch zu ihrer Glaubwürdigkeit stehen.“ Oder anders gesagt: Wer kontrolliert die selbsternannten Kontrolleure?
Zur Frage der demokratischen Legitimität gehört auch eine nur scheinbare Abschweifung zur „Stiftung Warentest“. Diese Institution hatte schon in ihrem Test „7/2004“ festgestellt: „Süße Naschereien für Kinder verheißen oft Gesundes. Doch sie sind mitverantwortlich für Übergewicht. Ganz schön tückisch: Gesundheitswerbung auf Süßigkeiten, speziell auf solchen, die von Kindern bevorzugt werden. Das beschäftigt jetzt auch die Gerichte.“ Es folgt eine Liste mit Produkt- und Firmennahmen. Darin auch dies: „Milchschnitte von Ferrero: Die Klitschko-Brüder loben im Fernsehen: „... mit wertvollen Zutaten und frischer Milch gemacht…“. Tatsächlich stecken – so die Verbraucherzentrale Bundesverband – nur rund 11 Gramm Milch drin, macht etwa einen Eßlöffel“.
Deshalb lautet das „Warentest“ Fazit: „Zu viel Zucker bringt die gesunde Ernährung aus dem Lot, schadet den Zähnen und ist mitverantwortlich für das grassierende Übergewicht bei Kindern. Nicht nur Fett, sondern auch viel Süßes macht fett.“ Zur selben Erkenntnis sind die „essensretter“, begleitet von viel selbsterzeugtem Tamtam, immerhin schon sieben Jahre später auch gekommen. Ob die deutschen Verbraucher solchen „Fortschritt“ wirklich brauchen?
Doch was mögen die tieferliegenden Gründe für die Warentest-Ignoranz auf Seiten der „essensretter“ sein? Sind die dem Video nach sehr jugendlichen Aktivisten bloß schlecht informiert? Wissen sie nichts von der „Stiftung Warentest“, deren Testhefte seit nunmehr fast fünfzig Jahren leicht erhältlich sind und die außerdem längst einen sehr informativen und nutzerfreundlichen Internetauftritt ihr eigen nennt? Oder liegt die Nichtzurkenntnisnahme womöglich daran, daß diese deutsche Verbraucherschutzorganisation im Oktober 1962 durch die Bundesregierung beschlossen worden ist, seit Dezember 1964 durch die Bundesrepublik Deutschland als selbständige rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts, also aufgrund eines staatlichen Auftrags und gefördert mit Steuermitteln Waren und Dienstleistungen unterschiedlicher Anbieter untersucht und vergleicht?
Hat also, um es kurz und bündig zu sagen, die Existenz von „foodwatch“ damit zu tun, daß in der „Stiftung Warentest“ „Staat drin ist“, während das Siegel NGO der Facebook-und-Twitter-Generation dieser Tage mehr von dem verspricht, man heute „cool“ oder „sexy“ nennt? Möglicherweise ist das so. Denn die NGOs „sind mächtig“, um noch einmal Jan Grossarth zu zitieren, „weil sie von den meisten Menschen – anders als mittlerweile staatliche Institutionen oder Unternehmen – für glaubwürdig gehalten werden“.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen. Wir wollen hier keineswegs anzweifeln, daß „Amnesty International“, „Greenpeace“, „Transparency International“, oder der „WWF“ – um nur vier der bekanntesten NGOs zu nennen, in der Geschichte ihre Existenz Verdienstvolles geleistet haben. Aber steckt in ihnen nicht zumindest ein Körnchen von jener Kraft, die stets das Gute will und doch etwas schafft, dass das „Böse“ zu nennen gewiß falsch wäre, sich aber doch Anfragen stellen muß, die die selbsternannten Gralshüter aus der Abteilung „Aufklärung und Volksdemokratie“ nicht unbedingt gerne hören.
„Amnesty International“ kämpft aufopfernd für die Menschenrechte und wird sogar von global aktiven Großkonzernen gefürchtet. Doch über das eigene Binnenleben schweigt sich „Amnesty“ gerne aus. „Transparency International“ finanziert sich, wie alle NGOs von Spendengeldern. Daß von den Erfindern des jährlich veröffentlichten „Korruptionsindex“ auch Gelder aus Unternehmen angenommen werden, wird dort als unproblematisch verbucht. Doch was ist „Aufklärung“ wirklich wert, die der Überprüfung ihrer eigenen Grundsätze ablehnend gegenübersteht?
Oder wie paßt es zum NGO-Ideal vom heroisch selbstlosen Kämpfer für Klima, Umwelt und Wale, wenn mancher die Organisation zum Karrieresprungbrett nutzt? Sven Giegold zum Beispiel, der noch im Jahr 2000 ein deutsches Gründungsmitglied der „globalisierungskritischen“ NGO „Attac“ war und seit 2009 für die Grünen Europaabgeordneter ist. Kein schlecht dotierter Posten, wie man weiß. Zugegeben: die Linie „Attac-Grüne“ ist politisch gesehen nicht ohne eine gewisse Folgerichtigkeit. Aber trifft das auch auf Gert Leipold zu, der vom „Greenpeace“-Vorstand zum Deutschland-Berater von „McDonald’s“ mutierte? Ob „foodwatch“ das okay findet?
Eines läßt sich von den NGOs - von denen es weltweit im Jahr 2007 schon 7628 Organisationen gab - mit Sicherheit sagen: Je abstrakter das„Geschäftsmodell“, desto größer die Gefahr, die Welt in Schwarz und Weiß, Freund und Feind einzuteilen und beharrlich Andersdenkende nicht mehr aufzuklären, sondern zu bekämpfen. Wer seinen Einsatz für „große Ziele“ wie „das Weltklima“ oder „den Tierschutz“ mit dem Kampf für eine „andere Gesellschaftsordnung“ gleichsetzt oder verwechselt und sich selbst allein deswegen für einen besseren Menschen hält, hat den Schritt vom Sachwalter zum Ideologen schon vollzogen.
Besonders gut kann man diesen Prozeß derzeit in Stuttgart beim Spektakel um „S21“ beobachten. Gewiß, man kann aus prinzipiellen Gründen gegen einen unterirdischen Bahnhof sein. Prinzipienreiter sind so alt wie die Welt. Wem die menschliche Natur nicht fremd ist, kann auch nachvollziehen, wenn Bürger erst nach einer zehnjährigen öffentlichen Prüfungs- und Einspruchsphase geschockt realisieren, daß ihre Stadtmitte auf Jahre hinaus zur Großbaustelle gemacht werden soll. Aber zeugt es wirklich vom ach so hehren Prinzip „mehr Demokratie wagen“, wenn Personen, die durch keine einzige Wahl legitimiert worden sind, mittels öffentlich ausgeübter Gewalt nicht nur „gegen Sachen“ gültiges Recht und Gesetz aushebeln können, ein „Schlichtungsverfahren“ mitsamt „Streßtest“ erzwingen und wenn schließlich das Testendergebnis unerwünscht ist, schmollend aus dem Verfahren aussteigen und die landauf, landab hochgelobte neo-demokratische „Schlichtung“ zur Farce werden lassen? Selbst in einem Hamburger Nachrichtenmagazin, dessen finanziell gutversorgte Redakteure gerne wortradikal den Bürgerschreck geben, wurde das Stuttgart-Dilemma jetzt „Kaspertheater“ genannt. Ein Wort jedoch, das sich noch als Euphemismus herausstellen könnte.
1968, also in den Hochprotestzeiten der „Außerparlamentarischen Opposition“ (APO) ließ sich angesichts der gewaltsamen Proteste Berlins Bürgermeister Klaus Schütz (SPD) zu der später nicht nur in APO-Kreisen gerne zitierten Stellungnahme herbei: „Ihr müßt diese Typen sehen. Ihr müßt ihnen genau ins Gesicht sehen. Dann wißt ihr, denen geht es darum, unsere freiheitliche Grundordnung zu zerstören.“ Klaus Schütz wurde deswegen seinerzeit an den Medienpranger gestellt. APO-intern jedoch war klar, Schütz hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Eine andere Republik, gerne auch die der sogenannten Räte, genau darum ging es den Protagonisten um Dutschke & Co und später den Terroristen der „Rote Armee-Fraktion“.
Wir wollen den Teufel nicht an die Wand malen, doch wenn es gewissen NGOs - oder gar Stuttgarter „Parkschützern“ - gelingen sollte, mit Hilfe zum Allgemeinwillen verklärter Ideen einer selbstermächtigten „avantgardistischen Elite“ unsere freiheitliche Grundordnung erfolgreich auszuhebeln, wird ist das kein Spaß mehr sein, den ein Heiner Geißler noch schlichten könnte.