Rainer Bonhorst / 27.06.2016 / 15:00 / 3 / Seite ausdrucken

Was wäre, wenn sie einfach blieben?

Nur mal so: Was wäre, wenn die Briten einfach drin blieben, nachdem sie für den Austritt aus dem Europa-Klub gestimmt haben. Abwegiger Gedanke? Ja, ziemlich, aber nicht ganz. Warum nicht ganz? Weil eine Volksbefragung kein Regierungsbeschluss ist.

Natürlich hat David Cameron versprochen, dass das Ergebnis des Referendums gilt, und seinen Rücktritt angekündigt, als er das Pokerspiel verloren hat. Aber da sind ja noch die Abgeordneten im Unterhaus. Gegen deren Mehrheit kann keine Regierung handeln, selbst wenn der wuschelige Boris Johnson, die Galionsfigur der Brexit-Kampagne, der neue Premierminister wird. Und die große Mehrheit der Abgeordneten (490 von 650) ist erklärtermaßen gegen einen Austritt aus der Europäischen Union. Und die Abgeordneten sind nicht irgendeinem Referendum verantwortlich sondern ihrem Gewissen. Und damit auch ihrer politischen Überzeugung.

Da ein Austritt gegen ihre Überzeugung wäre, könnten sie theoretisch mit großer Mehrheit jede Austrittspolitik unterlaufen. Unter Brexit-Fans geht bereits die Angst um, dass genau dies geschehen könnte. Aber das ist letzten Endes graue Theorie. Die neue Regierung wird ihre Mehrheit früher oder später finden, auch wenn viele nur knurrend folgen werden.

Immerhin: Ein paar starke Argumente hätten Rebellen gegen den Austritt durchaus. Da ist einmal das Finanz-Powerhaus London. In der Hauptstadt hat eine klare Mehrheit für den Verbleib gestimmt. Die Sorge um das wirtschaftliche Überleben des Landes wäre ein guter Grund für eine Rebellion. Dann ist da die Zukunft: Die Jugend hat sich fast geschlossen (über 70 Prozent) für Europa ausgesprochen. Sie sieht ihre Zukunft nicht als isoliertes Inselvolk. Je älter die Damen und Herren desto heftiger ihre Brexitgefühle (bis zu 60 Prozent).

EU-Dauergast ohne Mitgliedsausweis

Und dann ist da noch die Einheit des Königreichs. Schottland will EU-Land bleiben und droht mit einer neuen Abstimmung, deren Ziel heißt: raus aus dem Königreich und wieder rein nach Europa. Darf ein Abgeordneter ihrer Majestät das zulassen? Von der Königin heißt es, dass sie mühsam gute Miene zu dem Brexit-Spiel macht, dass sie aber nicht amüsiert ist. Und in Schottland taucht noch eine andere Frage auf: Was ist, wenn das schottische Regionalparlament seine Zustimmung zum Austritt verweigert? Politisch wäre dies ein weiteres Problem für die Abschiednehmer. Trotz solcher staatstragender Gründe wird es die große Unterhausrebellion wohl kaum geben. Die Einpeitscher der Fraktionen werden mit Zuckerbrot und eben Peitsche für die notwendige Linientreue sorgen. 

Wahrscheinlicher ist etwas anderes. London wird versuchen, so lange zu verhandeln, bis man wieder einen nahezu ungehinderten Zugang zum Europäischen Markt hat. Und der Preis wäre, dass man die Regeln der EU akzeptieren muss. Die englische Wirtschaft würde bald wieder florieren wie zuvor, was die RemaIn-Leute auf jeden Fall wollen. Und aus den anderen EU-Ländern würde man weiter frei ins Königreich einwandern können, was die Brexit-Leute auf keinen Fall wollten.

Sollte es so kommen, werden die Briten EU-Dauergast ohne Mitgliedsausweis sein. Die eingeschnappten Brüsseler sperren sich natürlich dagegen und wollen die „Deserteure“ bestrafen. Die kluge Angela Merkel aber ist längst einen Schritt weiter und will das Beste aus der verfahrenen Situation machen.

Das Ergebnis der großen Aufregung in diesem Fall: Die Briten werden etwas verloren haben (den Mitgliedsausweis) und nichts gewonnen haben. Vieles bliebe beim alten, als wäre nichts geschehen. Es sei denn, in der Europäischen Union würde man, damit nicht noch andere auf dumme (britische) Gedanken kommen, endlich in sich gehen und mehr Demokratie wagen. Auch dies ein abwegiger Gedanke? Ziemlich, aber vielleicht ja nicht ganz abwegig.

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Hans-Peter Hammer / 28.06.2016

>Die Jugend hat sich fast geschlossen (über 70 Prozent) für Europa ausgesprochen. Sie sieht ihre Zukunft nicht als isoliertes Inselvolk. Je älter die Damen und Herren desto heftiger ihre Brexitgefühle (bis zu 60 Prozent).< Ist so nicht richtig und wird hier [https://sciencefiles.org/2016/06/26/brexit-idiotien-aus-deutschland-die-alten-verbauen-den-jungen-die-zukunft/] zerlegt. Und es gibt - ganz speziell für das UK - auch noch andere wichtige Handelspartner außer der EU, die eben nicht das Zentrum des Universum ist. Da wären die USA, Kanada, Australien und viele weitere Staaten des immer noch existierenden Commonwealth! Und da Dänemark, Norwegen, Schweden und die Schweiz ebenfalls Sonderpositionen in der/angelehnt an die EU haben, könnte auch eine EFTA wieder aufleben! Nein, so isoliert und wirtschaftlich gefährdet wie man uns weismachen möchte, steht GB sicher nicht da! Allerdings gehe ich in Bezug auf die Zweifel, daß die “EU Granden” und Politiker den Warnschuss gehört, und vor allem verstanden haben, mit Ihnen konform!

Fritz Blumer / 28.06.2016

Und zum Thema Schottland: Nur zu gerne machen sich die geschockten EU-Anhänger selber etwas vor und erzählen sich von den tapferen Schotten und deren unverbrüchlichen Treue zum großen Friedensprojekt. Ich habe großen Respekt vor der Schottischen Unabhängigkeitsbewegung und unterstütze sie, trotzdem sollte jedem klar sein: Die Schotten sind keine Bewunderer der EU. Sie wollen sich nicht abspalten um in der EU bleiben zu können, sondern genau umgekehrt, sie wollen in der EU bleiben, um sich abspalten zu können. (Woran natürlich nichts auszusetzen ist.)

Fritz Blumer / 28.06.2016

Dieses dauernde Wiederholen der Geschichte von der armen europa-orientierten Jugend, die jetzt von den senilen Brexit-Beführwortern um ihre Zukunft betrogen wird, fängt an zu ermüden. Es scheint tatsächlich so, dass eine große Mehrheit der jüngsten Wähler sich dem Remain-Lager zurechnet. Aber ebenso scheint es, dass die selbe große Mehrheit am Donnerstag Wichtigeres zu tun hatte, und der Abstimmung fern geblieben war.* Diese Jungen, welchen sich der Zusammehang zwischen Stimm-Recht und Stimm-Abgabe offensichtlich noch nicht erschlossen hat, haben sich die Suppe also selber eingebrockt. (*nachzulesen bei Hadmut Danisch)

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