Hansjörg Müller / 25.03.2011 / 08:26 / 0 / Seite ausdrucken

Was macht eigentlich Lady Ashton?

Leider habe Europa keine Telefonnummer, die man im Ernstfall anrufen könne, klagte schon Henry Kissinger in den 1970er Jahren. Einige Jahrzehnte später hätte Kissinger eine Ansprechpartnerin in Brüssel gefunden – dass er sie allerdings im Ernstfall angerufen hätte, darf bezweifelt werden: Baroness Catherine Ashton of Upholland. Seit Dezember 2009 ist die Britin „Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“. Ihr Salär beträgt 23.006 €, damit verdient sie mehr als Angela Merkel und David Cameron. In ihrer Brüsseler Behörde arbeiten 3.645 Beamte und im September 2010 hat die EU 28 eigene Botschaften eröffnet – weitere werden folgen.

Besonders viel gesehen hat man von Lady Ashton in ihrem neuen Amt allerdings noch nicht. Sie wolle das Rampenlicht nicht um jeden Preis suchen, sagte die Baroness der Londoner „Times“ – zumindest das ist ihr bisher gelungen. Besonders auffällig war die Labour-Politikerin noch nie: bis 1979 arbeitete sie für die „Campaign for Nuclear Disarmament“, eine linksextreme Splittergruppe, die während des Kalten Krieges forderte, Großbritannien solle auf sein Nukleararsenal verzichten. Danach trat sie den Marsch durch die Institutionen an: von 1998 bis 2001 leitete sie das Gesundheitsamt von Hertfordshire, außerdem amtete sie als Präsidentin des „Nationalen Rates für Ein-Eltern-Familien“. Später dann sollte ihre Parteibuch-Karriere sie als Staatssekretärin nach Westminster führen; 1999 wurde sie auf Vorschlag Tony Blairs in den Adelsstand erhoben, bevor sie schließlich als EU-Kommissarin nach Brüssel wechselte. All diese Ämter hat sie errungen, ohne sich ein einziges Mal einer Volkswahl zu stellen. 

Während der Libyen-Krise gilt Lady Ashtons Wort ungefähr so viel wie das einer Gesundheitsdirektorin von Hertfordshire: nach langem Nachdenken rangen sich Obama, Cameron und Sarkozy schließlich doch noch dazu durch, militärisch einzugreifen, während sich Deutschland wie ein trotziges Kind verhielt und ins diplomatische Abseits stellte. Daran, was die „Hohe Vertreterin“ zu all dem sagte, kann sich schon jetzt kein Mensch mehr erinnern. Wir wollen uns hier allerdings nicht weiter über Catherine Ashton lustig machen: das Problem ist hier weniger die Person als vielmehr das Amt, das sie ausübt. Anders gesagt: eine gemeinsame europäische Außenpolitik ist schlicht und einfach nicht möglich – daher ist es nur konsequent, dass Europas Staats- und Regierungschefs das Amt einer EU-„Außenministerin“ einer solch farblosen Bürokratin überlassen haben.

Durch sein Abseitsstehen in der Libyen-Frage habe Guido Westerwelle „deutschen und europäischen Interessen geschadet“, sagte dessen Amtsvorgänger Joschka Fischer. Aber was sind „europäische Interessen“? Staaten und Regierungen haben nun einmal häufig unterschiedliche, auch gegenläufige Ziele: im Vorfeld des Irak-Krieges entschied sich Tony Blair, die special relationship zwischen London und Washington höher zu gewichten als die Beziehungen mit Paris und Berlin. Und während Cameron und Sarkozy nun ihr Herz für die libyschen Rebellen entdeckt haben, sorgt Westerwelle sich vor allem um seine Parteifreunde in Mainz und Stuttgart. Abgesehen davon ist Außenpolitik auch immer Wirtschaftspolitik. Das bedeutet notwendigerweise, dass die einzelnen EU-Staaten auch untereinander konkurrieren, oft ohne sich dabei allzu sehr um moralische Überlegungen zu scheren: liegt es nun im Interesse Dänemarks, wenn Silvio Berlusconi Gaddafi die Hand küsst, um den Interessen des italienischen Ölkonzerns Eni zu dienen? Und was hat Polen davon, wenn Fischer und Westerwelle den Mullahs in Teheran den Hof machen, um die Geschäfte deutscher Maschinenbauer mit dem Iran zu fördern?

Wie wird es weitergehen mit Europas Außen- und Sicherheitspolitik? Zwei Prognosen seien an dieser Stelle gewagt. Erstens: jede kommende internationale Krise wird die Nutzlosigkeit des Auswärtigen Dienstes der EU von neuem zeigen. Zweitens: Etat und Personalbestand der Behörde werden unabhängig davon kontinuierlich wachsen. 

Hansjörg Müller schreibt auch für „El Certamen“, eine kolumbianische Online-Zeitschrift (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/

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