Rainer Bonhorst / 01.08.2016 / 06:10 / Foto: Fabian Nicolay / 6 / Seite ausdrucken

Was einem Mann wie Boris Johnson bleibt

Einen Mann wie Boris Johnson sucht man in der deutschen Politik vergebens. Er hat einen eigenen Kopf, unterhalb der Schädeldecke und oberhalb der Schädeldecke. Beide Bereiche kann man exzentrisch und charaktervoll nennen. Das Gegenstück, seinen deutschen Amtskollegen Frank Walter Steinmeier, müsste man oberhalb wie unterhalb der Schädeldecke wohl eher mit dem Beiwort „gut gescheitelt“ versehen. Jedes Land hat eben den Außenminister, den es verdient. Mir hat mal ein Engländer gesagt: In Deutschland ist Ordnung ein Wert an sich. Bei uns in England nicht.

Der unordentliche Boris Johnson ist – so gesehen – ein typischer Engländer. Und nicht nur so gesehen. Er ist ein Produkt von Eton und Oxford, ein klassischer Vertreter der Oberschicht, die ihre Söhne und Töchter auf exklusiven privaten „Public“ Schools und Elite-Universitäten wie Oxford oder Cambridge (Oxbridge) bilden und formen lässt. In diesen Institutionen entsteht ein menschliches Paradox: Junge Männer und Frauen, die einerseits auf ein bestimmtes Muster hin gehobelt werden und sich trotzdem oder gerade deshalb oft zu geradezu aufreizenden Individualisten entwickeln. Es ist kein Zufall, dass John Cleese (Cambridge) und seine Monty-Python-Gang Produkte solcher Trimmung sind.

Und eben Boris Johnson auch, hochgebildet und von eigensinniger, oft bewusst eingesetzter Individualität. Seinen ohnehin wirren Wuschelkopf zerzaust er gerne noch mehr, sobald sich eine Kamera auf ihn richtet. Spricht er in ein Mikrophon, dann gestattet er sich ein leichtes Stottern, das kein Sprachfehler ist, sondern Ausdruck einer selbstbewussten Oxbridge-Schnodderigkeit.

Bei Johnson ist das Weltbürgertum ein Geburtsrecht

Aber er spricht sein Englisch in allerbester Tonlage. Und als politischer Besucher in Frankreich kommt ihm auch die Sprache der Grande Nation geläufig über die Lippen. Als junger Bursche hat er, auch das ganz klassisch, in Brüssel eine internationale Schule besucht. Sein Vater war dort Europa-Abgeordneter. Briten sind nicht unbedingt Künstler in der Handhabung fremder Sprachen, aber (nicht nur) den Oxbridgeformten gelingt es meist, zugleich außerordentlich englisch und souveräne Weltbürger zu sein. Bei Johnson ist das Weltbürgertum ein Geburtsrecht. Er ist in Amerika geboren, hat also auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. (In den USA gibt es ja keine Geblütsprüfung.) Und wem das noch nicht international genug ist: Einen türkischen Urgroßvater namens Ali Kemal hat er auch. Übrigens lautet sein vollständiger Name Alexander Boris de Pfeffel Johnson. De Pfeffel? Da rinnt auch noch alter deutscher Adel in seinem Blut.

Boris Johnson hat als radelnder Bürgermeister von London eine der Weltstädte schlechthin geführt, ehe er sich als Brexit-Anführer auf seinen Konkurrenzkampf mit Studienfreund David Cameron (Eton, Oxford) einließ. Eine gewisse Frivolität, ein Unernst auch in ernsten Angelegenheiten, gehört eben auch zu diesem Charakterbild. So entsteht Ironisches: Als aus dem Brexit-Poker unerwartet ernst wurde, musste Cameron in Rente gehen und Johnson wurde von seiner neuen Chefin als Außenminister an die Arbeitsfront geschickt.

Wenn sich die hochmütig Lächelnden da mal nicht täuschen

Seine clowneske Erscheinung ist von der deutschen Ernsthaftigkeit natürlich sofort als Indiz für alsbaldiges Scheitern wahrgenommen worden. Wenn sich die hochmütig Lächelnden da mal nicht täuschen. Boris Johnson ist keine Monty-Python-Figur. Er ist ein bisher erfolgreicher Politiker und ein ausgewiesener Autor („Der Churchill-Faktor“) und ein lässiger Charmeur, der Menschen gewinnen kann. Dass er auch in Australien als Lateinlehrer gearbeitet hat, sei nur nebenbei erwähnt.

In der deutschen Politik hätte dieser eigenwillige Mann allerdings keine Chance. Für eine Ochsentour durch die klassischen Parteien mit den unausweichlichen gedanklichen und optischen Anpassungszwängen käme er kaum in Frage. Für eine „Alternative“ wäre er sich zu schade, auch wenn er als unorthodoxer Konservativer hier und da politische Anknüpfungspunkte fände.

Was bliebe diesem unorthodoxen Konservativen? Was bliebe diesem EU-Kritiker, der keineswegs ein schlechter Europäer sein will? Was bliebe – bei aller Weltoffenheit – diesem Realisten, der die Augen vor den Problemen einer grenzenlosen Einwanderung nicht verschließt? Was bliebe diesem Atlantiker, der in Amerika mehr Gutes als Ärgerliches findet? Was bliebe diesem Skeptiker, der nicht jede Weltuntergangs-Meldung für bare Münze nimmt, nur weil sie im Gewand der Wissenschaft auftritt? Kurz: Was bliebe diesem Mann, der nicht mitläuft sondern sich zu allen wichtigen Fragen lieber selber eine Meinung bildet?

Mich beschleicht das merkwürdige Gefühl, dass Alexander Boris de Pfeffel Johnson, müsste er in Deutschland sein Leben fristen, nur ein Zuhause fände: als Autor für die Achse des Guten.

Foto: Fabian Nicolay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Thomas Bonin / 01.08.2016

Der Jackpot geht an Sie, Herr Bonhorst: von 10 erreichbaren Punkten haben Sie sage und schreibe 12 abgegriffen.  Und überhaupt, habe ich Ihnen schon gedankt für Ihre (in Serie) dargebotenen Beiträge? Wenn nicht, dann hier! Bleiben Sie gesund und munter, und halten Sie Ihre geneigten Leser weiterhin bei bester Laune ;-)

Gertraud zahn / 01.08.2016

Ihre Meinung kann ich nur voll und ganz unterstützen. Dieser B. Johnson ist ein echtes Produkt seiner Heimat. Die Briten sind - schon aufgrund ihrer Kolonialvergangenheit - international orientiert und sind auf dem diesem Parkett auch sehr sicher. Den Unterschied zu unserer politischen Klasse kann man sehr leicht ausmachen. Das zeigt sich schon dadurch, wie sie sich international bewegen. Humorlos und ganz furchtbar provinziell. Deshalb war die Linke auch so bös über den Brexit. In einem Jahr - oder vielleicht sogar früher - werden wir sehen, dass der Brexit ein Befreiungsschlag für die Briten war. Sie werden sich als neues “Singapur” in Europa bestens aufstellen. Der EU werden sie noch das Fürchten lehren.

Rainer Brandl / 01.08.2016

Danke für diese Biografie. Grüße Rainer Brandl

B.Kröger / 01.08.2016

Auch ich denke, dass man sich in der EU noch wundern wird!

Joachim Kuhlmann / 01.08.2016

Sie beschreiben liebevoll und geistreich, warum die Lage in Deutschland so ist wie sie ist: weil sich die konservativen Intellektuellen “zu schade” sind, in der AfD mitzuwirken, wenn die anderen Parteien nichts mehr taugen. Hier auf der Achse das Elend der Welt zu beklagen, ist sehr einfach, ja fast ein bisschen feige, finden Sie nicht? (Und ja, auch ich mache noch nicht offiziell mit, solange ich Familie und Beruf zu verlieren habe…)

sumon Templar / 01.08.2016

D’accord

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Rainer Bonhorst / 12.03.2024 / 17:00 / 9

Die Kate-Krise oder viel Lärm um nichts?

Ein Familienfoto der Royals ist schon kurz nach Erscheinen als ungelenke Bildmanipulation entlarvt worden. Medialer Wirbel dank Photoshop! Ist Englands königliche Familie eine Fälscherbande? Wenn ja, dann keine…/ mehr

Rainer Bonhorst / 08.03.2024 / 12:00 / 19

Bye bye Nikki, hello Oldies

In den USA duellieren sich Biden und Trump um den Einzug ins Weiße Haus. In diesem Alter würde man in Deutschland weniger auf Karriere als…/ mehr

Rainer Bonhorst / 22.02.2024 / 14:00 / 26

Kamala gegen Nikki – ein Traum

Statt der beiden betagten Kontrahenten Joe Biden und Donald Trump wünsche ich mir eine ganz andere Konstellation im Kampf um das Amt des US-Präsidenten. Man…/ mehr

Rainer Bonhorst / 13.02.2024 / 12:00 / 39

Gendern im Fußball? Fans zeigen rote Karte!

Wie woke soll der Fußball sein? Oder genauer: Wie viele Geschlechter soll der Fußball kennen? Es wird Zeit, mal wieder auf den Fußballplatz zu gehen.…/ mehr

Rainer Bonhorst / 12.02.2024 / 12:00 / 35

Giorgia Meloni als Mamma Europa?

Georgia Meloni beginnt in Europa eine wichtige Rolle zu spielen. Die Politik hält sich mal wieder nicht an die ideologischen Vorgaben deutscher Medien.    Ja, darf…/ mehr

Rainer Bonhorst / 04.02.2024 / 14:00 / 33

Gedanken beim Demo-Gucken

Im Grunde haben wir ja Glück, dass in Deutschland die Verhältnisse so klar sind. Wir haben keine dunkelhäutigen Politiker in Berlin, die die Frechheit besitzen…/ mehr

Rainer Bonhorst / 30.01.2024 / 06:15 / 88

Danke! Die ungehaltene Rede auf meiner Traum-Demo

Ich habe einen Traum. Den hab ich öfter mal, aber jetzt hat er sich aus aktuellem Anlass wieder gemeldet. Weil ich in den letzten großen…/ mehr

Rainer Bonhorst / 24.01.2024 / 11:30 / 65

Ich wäre gerne mitmarschiert

Schade, ich bin zu den großen Demonstrationen gegen rechts leider zu spät gekommen. Ich wäre so gerne mitmarschiert. Aber ich war zu langsam. Weil ich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com