Warum man hassen dürfen muss

Von Alexander Mayer.

Was haben plötzlich alle gegen den Hass? Ich zum Beispiel hasse meine Schwiegermutter. Natürlich hasse ich nicht meine Schwiegermutter, das war jetzt rein fiktiv. Aber nehmen wir an, ich hasste meine Schwiegermutter: Ich würde ihr doch nie im Leben irgendein Ungemach antun, schon aus Rücksicht auf meine Frau.

Darum geht es auch gar nicht in erster Linie beim Hassen: Nicht dem Anderen ein Leid zufügen. Nein, nur ihn aus Herzenslust hassen zu dürfen. Das ist zivilisiert: Hunde, die bellen, beißen nicht. Diese Trennung vorzunehmen von Gefühl und Handeln, das ist einer der Grundpfeiler unserer Zivilisation. Meine Gefühle mögen manchmal mit mir durchgehen, aber ich weiß, was ich zu tun und zu lassen habe. Das ist doch das, was wir 'erwachsen' nennen.

Es ist Ergebnis eines Lernprozesses. Ich bin eben nicht immer nur Knecht meiner hochschießenden Emotionen, ich habe auch eine bewusste Kontrolle darüber. Wie oft hat mir meine Frau gesagt: Ich hasse Dich! Lässt sich sowas verbieten? Wennn  Sie mich umbrächte, dann würde Sie auch all meiner Vorteile beraubt.

Es gibt doch so viel Hassenswertes auf der Welt: Hässliche Tatöwierungen. Dreifarbige Frisuren. Typen in Jogginghosen, denen die Agression ins Gesicht gemeißelt ist. Sie stehen hinter Dir an der Supermarktkasse. Du hörst, wie sie mit den Zähnen knirschen, wärend du das Kleingeld suchst. Sie machen Dir Angst. Du musst Sie hassen. Still. Vernkniffen. Ängstlich. Leidend. Wenn sich Dein Gefühl von all dem Niederdrückenden gereinigt hast, katharisch, am Ende der Schlange, nachdem ich bezahlt habe und dem Ausgang zustrebe, dann ist es ein Hochgenuss, nur noch aus freiem Herzen hassen zu können. Ich hasse zum Beispiel diese ewige Frage: Haben sie eine Payback-Karte? Nein, möchte ich schreien: Ein für alle Mal! Ich haaabe keine Payback-Karte. Aber wie kindisch wär das denn?

Ich darf die Verkäuferin mit ihrer Scheiss Payback-Karte hassen...

Will ich deshalb die Verkäuferin abmurksen? Natürlich nicht. Ich will auch morgen noch einkaufen und ihr dabei in den Ausschnitt gucken können. Damit mein Hass zivilisiert wird, braucht es Verbote und Strafen - auch zwei Grundpfeiler der Zivilisation. Bevor wir die Bundesregierung hatten, die wir jetzt haben, galt: Gefühle sind straffrei. Strafbar sind Handlungen. Ich darf die Verkäuferin mit ihrer Scheiss Payback-Karte hassen, wenn ich dabei die Fresse halte und sie nicht würge. Das ist dann strafbar. So schön übersichtlich war die Welt mal. Aber jetzt möchte die amtierende Regierung den Hass verbieten. Das ist verwerflich.

Genau wie im Sozialismus. Da wurde behauptet, das Grundproblem ist die Ausbeutung des Menschen. Wenn die abgeschafft ist, ist alles in Ordnung. Das war bekanntlich bloß Begründung für die viel schärfere Versklavung des Menschen. Schon Schulkinder wurden damals geschurigelt mit der hinterfotzigen Frage: Du bist doch auch für den Frieden, oder?! Heute müsste man Schulkinder aus dem gleichen Grund fragen: Du bist doch auch gegen den Hass?! Ein Verbot des Hasses kann keine guten Folgen haben. Alle menschlichen Gefühle haben einen evolutionären Sinn: Ohne Angst kein Überleben. Ohne Freude und Liebe keine sozialen Bindungen. Ohne Neid kein Antrieb. Ohne Trauer kein Familienzusammenhalt. Ohne Ekel ständig Vergiftungen. Ohne (Genital-)Scham keine Monogamie. Ohne Wut und Zorn keine Selbstverteidigung.

Wenn wir irgendwas aus der Nazidiktatur gelernt haben, dann doch dieses: Alle, gerade auch die finstersten Gefühle sind in uns allen potentiell vorhanden und können gefüttert und bedient, manipuliert und missbraucht werden. Das müssen wir wissen. Verbieten lässt sich Hass garantiert nicht. Er bricht sich bloß anderweitig Bahn.

Sie darf auch mal schreien "ich hasse mein Kind"

Ich lass mich lieber von einem tätowiereten Türstehertypen im Internet als Spasti, Wichser oder Opfer beschimpfen, als daß ich ihm in der Straßenbahn mit den gleichen Gefühlen gegenüberstehe. Am Ende hat der nicht das zivilisatorische Niveau, seine Emotuionen von seinen Handlungen trennen zu können.

Welche junge Mutter mit einem sogenannten Schreikind kennt nicht die Situation: Ich kann tun und machen, was ich will: Das Kind schreit und schreit und schreit. Irgendwann, nach ungezählten schlaflosen Nächten sagt die Frau in ihrer Not: Ich hasse dieses Kind. Natürlich hasst sie nicht ihr Kind. Sie liebt ihr Kind. Aber sie ist verzweifelt. Niemand kann ihr helfen. Sie ist allein mit ihrer Not. Sie darf auch mal schreien, ich hasse mein Kind. Die allerwenigsten Mütter werfen in dieser Situation ihr geliebtes Kind an die Wand. Das muss Gründe haben. Obwohl ich also hier dafür plädiere: Zivilisiert ist es, Emotion, Gefühlsausdruck und Handlung voneinander trennen zu können, verbietet es mir natürlich mein kultiviertes Wesen, zu sagen, ich hegte irgendeine Abneigung gegen Angela Merkel und Heiko Maas. Und niemand hat die Absicht, meinen Beitrag hier zu löschen.

Alexander Mayer, Jahrgang 1962, ist Literaturwissenschaftler, Moderator und Autor im Hörfunk bei MDR KULTUR und MDR AKTUELL.

Foto: Hell sword2280 CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Andreas Kollmann / 28.12.2016

Ein sehr guter Beitrag, der an die Wurzeln des Problems geht. Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht, vielen Dank! Allerdings kommt hinzu, daß das “Haßverbotsgesetz” ja speziell eine politische Richtung “abstellen” will, also unabhängig von der Unmöglichkeit, Haß  zu verbieten, massiv in die politische Meinungsbildung eingreifen soll.

Dirk Wolfgang Glomp / 28.12.2016

Ich meine ein Mensch kann nur etwas hassen, was er auch ein klein bischen lieb hat. Weil andernfalls würde man gleichgültig darüber sein und gar keine Gefühle darüber empfinden. So gehört der Hass zu einer Form der Liebe und ist ein Teil davon.

werner gottschämmer / 28.12.2016

ein köstlicher Beitrag und auch noch so wahr, geradezu menschlich normal, die Kassiererin an der Kasse mit der Frage nach irgendwelchen dämlichen Karten kennen ich nur zu gut. Aber es geht mir wie ihnen auch, möchte gerne auch am nächsten Tag dort noch einkaufen gehen, also reiße ich mich zusammen. Sehr schön die Abneigungen erklärt!

Wolfgang Mialki / 28.12.2016

Hut ab, endlich mal einer, der die Situation objektiv schildert. So lange nicht zwischen den wahren Kriegsasylanten und den Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden wird, weder EU noch BRD Grenzen kontrolliert /geschützt werden, sind alle Bemühungen kontraproduktiv. Diesen katastrophalen Verhältnissen ist der Rechtsbruch durch Mama Merkel vorausgegangen. Merkel und ihrer Gefolgschaft geht es nur noch um den Machterhalt und nicht um kluge, effektive Entscheidungen aller Beteiligten. - Demokratie geht anders und wird in allen Bereichen unseres Lebens Folgen haben.

Hans Merx / 28.12.2016

Vielen Dank für den humorigen Beitrag, der leider viele reale Elemente hat (die Stelle mit der Payback-Karte z. B.). Ich möchte die Gelegenheit nutzen, mich bei der Achse des Guten und den vielen Autoren (gemeint sind selbstverständlich auch die AutorINNEN) für die hervorragenden Beiträge zu bedanken, auch wenn ich nicht mit jedem übereinstimme (aber überwiegend). Mögen Ihnen allen Ideen und “Tinte” nicht ausgehen. Auf ein gutes Jahr 2017! Mit bestem Dank Hans Merx

Matthias Nowack / 28.12.2016

Danke. Es ist vielleicht etwas zu kurz, aber dieses eine Wort bringt meine Gefühlslage, welche sich in mir nach dem lesen dieses Kommentars ausbreitete, auf den Punkt. Daher an dieser Stelle ein weiteres Mal. Danke!

Heinz Gruber / 28.12.2016

Inhaltlich lohnender Beitrag. Auf die Gefahr der Korinthenkackerei (aber ich denke von einem Literaturwissenschaftler und Publizisten Jahrgang 1962 darf man das erwarten): es heißt nicht katharisch - es hat nämlich nix mit den Katharern zu tun sondern kathartisch. (Und O.k. “Emotuionen” ist sichtlich ein Flüchtigkeitsfehler ohne Verständnisverlust) Es geht dabei darum, daß inhaltlich gute Beiträge durch solche Schludereien immer auch ein Stück weit entwertet werden..

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Alexander Mayer, Gastautor / 07.02.2020 / 06:18 / 121

Das große Thüringen-Rätsel: Machen Sie mit!

Der Machtkampf in und um Thüringen wächst sich aus. Nicht absehbar, wie die Historiker dereinst diesen in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Vorgang analysieren und…/ mehr

Alexander Mayer, Gastautor / 09.03.2017 / 12:00 / 0

„Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen“

Von Alexander Mayer. Von Wolfgang Neuss stammt die Parole: „Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen“. Dies entbot er Richard von Weizsäcker bei…/ mehr

Alexander Mayer, Gastautor / 13.06.2016 / 14:00 / 3

Orlando und die Medien: Die steile Karriere einer dummen Frage

Von Alexander Mayer Seit gestern höre ich immer wieder die Frage: War Omar Mateen, der Massenmörder von Orlando, islamistisch oder homophob? Oder womöglich sogar beides?…/ mehr

Alexander Mayer, Gastautor / 06.02.2015 / 10:53 / 10

Zentralrat der Muslime: Eine Wahrheit für euch und eine für uns

Von Alexander Mayer Was für ein Sturm der Entrüstung! Abscheu und Empörung! Frauenfeindliche Predigt eines Imams in Berlin! Der hatte ja gepredigt, Frauen dürften sich…/ mehr

Alexander Mayer, Gastautor / 17.09.2014 / 18:09 / 4

Forsa-Chef Manfred Güllner: Der Tiefseeforscher

Alexander Mayer Meiner Meinung nach….. ...ist doch ein Meinungsforscher einer, der Meinungen erforscht. Aber nach Meinung von Forsa-Chef Manfred Güllner heute in BILD hängt die…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com