Sie versuchten auszusprechen, zu diskutieren, was es denn nun eigentlich heißt: „Deutsch sein.“ Es wurde mehr ein Stammeln, in der Phoenix-Runde "Ja, wer sind wir denn? - Debatte um Leitkultur". Keiner, auch Roland Tichy nicht, hatte eine Antwort. Hier und da wurde ein Aspekt beleuchtet, lauter Puzzleteile, die kein Gesamtbild erahnen ließen. Es lag nicht an den Diskutanten, sie gaben sich Mühe, freilich ein jeder mit seinem Wunschbild im Kopf. Es lag an der Unmöglichkeit, diese Frage zu beantworten. Zumindest in einer für jeden gültigen Beschreibung. Obwohl nicht einmal klar ist, was "deutsch sein" bedeutet, wird dies noch mit dem Begriff Kultur verknüpft, der ja ebenfalls Raum für unendliche Interpretationen lässt. Es bleibt das gedankliche Chaos. Jeder kann nun nach Gutdünken seine Zutaten in den Topf werfen, am Ende kommt ein ungenießbarer Eintopf heraus. Nur eines war schnell klar: Der sogenannte Verfassungspatriotismus taugt am wenigsten dazu, zu erklären, was Deutsch ist, oder Leitkultur.
Ich werde einen Teufel tun, und nun noch meine Interpretation von »deutsch sein« dazugeben. Erstens ist mir das sowenig klar wie den Teilnehmern der Sendung, zweitens empfinde ich mich nicht als typisch deutsch (schöner Widerspruch, nicht wahr? Ich weiß nicht, was deutsch ist, aber ich bin nicht typisch deutsch!). Zusätzlich wurde dies meiner Frau auf den Philippinen bescheinigt, indem ihr Landsleute sagten: „Dein Mann ist gar nicht so wie die meisten Deutschen.“ Ich gebe da nicht viel drauf, wahrscheinlich lässt auch das sich über jeden sagen, kommt bloß darauf an, wie, wann und wo.
Wie soll also nun eine Debatte geführt werden, wenn die Begrifflichkeiten derartig schwammig oder undeutlich sind? Gar nicht, würde ich vorschlagen. Es geht auch nicht um Leitkultur oder "deutsch sein", das ist Wahlkampfgedöns, de Maizière wollte halt mal den Merz, besser den Koch, machen, deren hemdsärmlige Äußerungen, heute würde man populistische sagen, waren ja mal ganz erfolgreich. Außerdem muss der AfD irgendwie das Wasser abgegraben werden.
„Macht euch mal keine Angst“, will der Innenminister wohl sagen, „wir verstehen eure Sorgen schon.“ Nur, tut er das wirklich? Haben die Menschen wirklich Angst um Deutschland und seine Kultur? Sind es diese Sorgen die die Menschen umtreiben? Nein, sicher nicht. Wenn die Begrifflichkeiten schon so schwammig und unklar sind, können sie nur stellvertretend stehen.
Was soll in der Beschreibung der Heimat denn anstößig sein?
In Wirklichkeit geht es um Heimat, das Zuhause, und um Identität. Diese drei Begriffe lassen sich zwar auch nicht verallgemeinern, jeder empfindet sie ganz verschieden, aber sie sind glasklar für den Einzelnen. Er will sein wie er ist, an einem Platz leben, an dem er sich dazugehörig empfindet. Heimat und Zuhause geben ihm die Sicherheit, für die Zukunft zu planen, für sich und die Kinder. Und der Blick in die Vergangenheit der Heimat hilft ihm, seine Identität zu verstehen. Diese eigentlich simple Betrachtung hilft sogar, wenn das Zuhause nicht in der Heimat ist, sie muss nur ein wenig ans Individuum angepasst werden.
Alle weiteren Begriffe, wie Nation oder Nationalität, Verfassungs- oder sonstiger Patriotismus, sowie die Kultur, bauen erst auf der Selbstbetrachtung des Individuums in seiner Umwelt auf, in seiner Heimat oder seinem Zuhause. Wichtig ist nur der identitätserklärende Charakter. Auch schön an der Äußerung der Kanzlerin zu sehen, als sie die Kritik an ihrer Asylpolitik mit dem Satz konterte: "Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land." Und dabei von ihrer imaginären Heimat sprach.
Geht die Rede von der Leitkultur darauf ein? Eher nicht, und wenn, dann nur partiell auf die kollektivistischen Aspekte, oder die ideologischen - siehe Kanzlerin. Das Individuum wird nur zur Illustration gebraucht, um ein Bild von der Ideologie, welche angestrebt wird, entstehen zu lassen. Doch welche Bilder entstehen beim Begriff Leitkultur? Es sind Bilder der Heimat, nicht einer Ideologie. Aber wenn diese Bilder schon automatisch entstehen, warum wird dann der Begriff Heimat so selten erwähnt? Es erinnert an eine Verklemmtheit, die sonst eher beim Thema Sexualität zu finden ist. Was soll in der Beschreibung der Heimat denn anstößig sein?
Wir sollten uns das ganze Gedöns sparen, versuchen zu erklären, was "deutsch sein" bedeutet, oder (Verfassungs)Patriotismus, oder gar Leitkultur, und besser damit beginnen, einen gemeinsamen Nenner für den Begriff Heimat zu finden, denn sie ist der Boden für unsere Verwurzelung, und somit für unsere Identität maßgeblich.
Wer den Begriff Heimat verschämt vermeidet, hat sie im Grunde schon aufgegeben. Sich selbst damit auch. Oder er weiß, welche Gefühle und Gedanken entstehen, nämlich solche die eng mit der Identität des Individuums zu tun haben, und meidet deshalb den Begriff und verwendet lieber so was wie "Leitkultur". Nebenbei kann damit in pädagogisierender Weise gearbeitet, der Topf mit Inhalten gefüllt werden, die gerade opportun erscheinen. Hauptsache weg vom Individuum und seinen Empfindungen und Bedürfnissen und den Blick auf die Kollektive gerichtet.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Quentin Quenchers Blog Glitzerwasser.