Guido Westerwelle ist ein schlechter Außenminister, da sind sich alle einig. Der Liberale sei in seinem Amt überfordert, er habe keine Akzente setzen können und sei blass geblieben. Deutsche Außenminister werden von der Presse „gemacht“. Mögen die Journalisten einen Außenminister, dann wird er über kurz oder lang zum beliebtesten Politiker der Republik. Siehe Joschka Fischer. Bei Westerwelle ist das Gegenteil der Fall: er wird solange für unfähig erklärt, bis es die amerikanischen Diplomaten glauben und nach Washington kabeln. Wodurch die deutschen Journalisten wiederum die offiziöse Bestätigung ihrer Weltsicht bekommen. Aber niemand fragt nach: was ist eigentlich so schlecht an Westerwelles Amtsführung? Gibt es irgendwelche Anzeichen, die uns seine Überforderung zeigen? Ist es sein zugegebenermaßen verbesserungswürdiges Englisch, das ihn für sein Amt disqualifiziert? Oder ist es vielleicht die Affäre um seinen Büroleiter Helmut Metzner, die die Überforderung des Ministers schonungslos offenlegt? Nun, Sprachkenntnisse kann man rasch verbessern, learning by doing. Und Metzner hat den Amerikanern im Grunde genommen nur Details aus den Koalitionsverhandlungen verraten, die jeder Journalist wusste, etwa, dass die FDP von der Union Steuersenkungen verlangt hat. Presse und Opposition wollen einen Abgrund von Landesverrat sehen, aber eigentlich ist die ganze Angelegenheit kein Skandal, sondern eine Posse.
Wie man es auch dreht und wendet, grobe Fehler hat Westerwelle keine gemacht. Blass ist er bis jetzt geblieben, das stimmt. Doch das könnte man auch von seinen Vorgängern Frank-Walter Steinmeier und Klaus Kinkel sagen. Nicht jeder Außenminister hat das Glück, dass er, wie Otto von Bismarck sagte, „den Herrgott durch die Weltgeschichte schreiten“ sieht und die Chance hat, „seines Mantels Zipfel zu ergreifen“. Westerwelles Parteifreund Hans-Dietrich Genscher hatte die deutsche Einheit, die ihm bis heute höchstes Ansehen über die Parteigrenzen hinweg sichert. Dem Grünen Joschka Fischer bot sich die Chance, den Irakkrieg abzulehnen. Ob er damit richtig gehandelt hat oder nicht, darüber kann man streiten. Das wochenlang anhaltende antiamerikanische und linksnationalistische Getöse („Friedensmacht Deutschland“), das Schröder, Fischer und die mit ihnen verbündeten Medien entfesselten, gehört sicher zu den unappetitlichsten Erscheinungen der jüngsten deutschen Geschichte, aber eines ist sicher: Fischer wurde zum Volkshelden - und die Wiederwahl der Regierung war gesichert.
Vergleichbare Gelegenheiten haben sich Westerwelle noch nicht geboten. Und im Alltagsgeschäft kann er sich auch kaum profilieren: wirklich wichtige Außenpolitik ist heutzutage EU-Politik, und die wird vor allem von den Regierungschefs und den Fachministern gemacht. Er kann sich natürlich über Nordkorea oder den Nahen Osten äußern, nur ist Deutschland leider nicht so bedeutend, dass er deswegen von einem breiteren Publikum wahrgenommen würde. Unter diesen Bedingungen muss Westerwelle blass bleiben, aber mit Verlaub, ein überforderter Außenminister sieht anders aus. Zum Beispiel so wie der Österreicher Wolfgang Schüssel, der 1997 den damaligen deutschen Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer vor Journalisten als „richtige Sau“ bezeichnete und über eine Begegnung mit dem weißrussischen Präsidenten Aleksander Lukaschenko berichtete: „Der is‘ dag’sessen wie a Kümmeltürk‘ und hat nix g’redet.“ Von derartigen Aussetzern ist Westerwelle weit entfernt.
Egal, wie Westerwelle agiert, Hoffnungen, wie einige seiner Vorgänger zum Umfragekönig aufzusteigen, sollte er sich keine machen. Der Grund dafür ist einfach: Deutschlands Journalisten mögen die FDP nicht besonders. Man könnte auch sagen, sie hassen die Liberalen aus vollem Herzen. Kurz nach seiner Versetzung in die deutsche Hauptstadt notierte Ulrich Schmid, der Berliner Korrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ fassungslos, ein Bekenntnis zur FDP erfordere in Deutschland heute ähnlich viel Mut wie ein Bekenntnis zur rechtsextremen NPD. Tatsächlich hat man, wenn man die Berichterstattung einiger deutscher Zeitungen, aber auch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verfolgt, den Eindruck, als handle es sich bei der FDP um eine gefährliche, extremistische Partei. Was am Programm der deutschen Liberalen so radikal sein soll, kann allerdings niemand erklären. In den USA würde die FDP zum linken Flügel der Demokraten gehören und Barack Obama, den Deutschlands Medien so sehr lieben, wäre in der FDP ein Rechtsaußen. Gewiss, man muss mit den Zielen der FDP nicht übereinstimmen. Man kann sich mit dem Programm der Partei inhaltlich auseinandersetzen. Schließlich lebt Demokratie vom Wettstreit der Ideen. Aber was ein Gutteil der deutschen Presse macht, ist etwas anderes: man versucht, den Außenminister als Person lächerlich und verächtlich zu machen - ohne dabei ein einziges stichhaltiges Argument vorzubringen.
Hansjörg Müller schreibt auch für die kolumbianische Online-Zeitschrift „El Certamen“ (http://www.elcertamenenlinea.com). Eine vollständige Übersicht über seine Veröffentlichungen finden Sie unter: http://thukydidesblog.wordpress.com/