Ich denke, Herr Köppel übersieht aus der Schweizer (Frosch?-)Perspektive und die damit verbundene Fixierung auf das britische Weltreich völlig die rechtsstaatlichen Traditionen der Engländer, die auf die Magna Carta von 1215 zurück gehen. Die immer weiter ausufernde EU, mit ihren zentralistischen Attitüden sowie zunehmender Rechtslosigkeit (z.B. den Schengenraum betreffend oder die No-bail-out-Klausel) ist, was viele Briten abschreckt und über einen Austritt aus der EU nachdenken lässt. Der hobby-psychologische Ansatz bezüglich möglicher Phantomschmerzen das Empire betreffend überzeugt mich nicht; vielmehr frage ich mich, inwieweit Herr Köppel tatsächlich die Britische Seele und deren Vorlieben kennt, bzw. nicht kennt. Die vielseitigen Beziehungen, die sich aus dem Commonwealth ergeben, der angelsächsische Hang zur Individualität als auch zum Pragmatismus tauchen in seinen Gedanken auch überhaupt nicht auf, so dass sie am Ziel vollkommen vorbei gehen. Letztendlich scheint mir persönlich, dass “die Briten” generell weit weniger mit ihrem ehemaligen Weltreich beschäftigt sind als Herr Köppel. Man könnte glatt meinen, hier bräche sich lediglich eine Art Minderwertigkeitsgefühl der ewigen Schweizer Provinzialität und eingeklemmten Kleinstaatlichkeit Bahn. Als besonders weltläufig gelten Schweizer ja grundsätzlich nicht (dagegen hilft eine keine Päpstliche Garde); da können die Briten allerdings auf ein reichhaltigen Erfahrungsschatz zurück greifen.
Auch wenn ich der Analyse zustimme möchte ich anmerken, dass die Schweiz in Brüssel und den Hinterzimmern von SP bis CVP bereits als EU-Mitglied eingepreist ist. Anders kann ich mir den ruppigen und völlig unangemessenen Umgang der Edlen zu EUkratien mit der Schweiz nicht erklären, deren Vertreter (jedenfalls bislang) gerne, oft und mit Verve den Brüssler Anschlussdiktaten unterworfen haben. Nur mit der selben Logik kann auch das vordegründig völlig unlogische, weil interessenverleugnende Verhalten gegenüber der Türkei erklärt werden. Wer nämlich annimmt, dass die (ebenso gescheiterte ehemalige Großmacht) Türkei zur EU gehört, dem leuchten zwei Dinge sofort ein: 1. Weshalb eine umfassende Grenzsicherung in der Ägäis “unmöglich” ist - weil in der EU überall Schengen gilt, also auch in der Ägäis 2. Weshalb die Türkei mittlerweile an ihrem Südostrand (auf syrischem Territorium) eine Grenzmauer baut - weil das die wahre EU Außengrenze ist und die selbstverständlich wie auch in Südspanien ordentlich geschützt werden muss Ich prophezeihe mal, bis 2025 gibt es: - die Skandinavische Union (ggf ohne Schweden) - die Visegraad Union (ggf mit Rumänien und Bulgarien) - die NAFTA mit Großbritannien, Irland und Island - den Großbalkan von Athen bis Calais (und inklusive Schweiz, falls bei der Ausschaffungsinitiative die “Guten” gewinnen) - kanadisches, australisches oder brasilianisches Bier in meinem Kühlschrank
Widerspruch: Nicht “Alkoholiker, die ihre Frauen erschluglen” sondern Alkoholiker, die ihre Söhne erschlugen. Carl Jung
Es stimmt, dass es ein Sprung ins kalte Wasser wäre. Man kann sich fragen, ob es besser wäre auf dem lecken, großen Schiff(die Titanic?) zu auszuharren oder von Bord zu gehen. Anders als Herr Köppel lese aber ich von Verunsicherung auf beiden Seiten des Referendums. Jedenfalls, wenn die Briten auf Grundlage dieses mickrigen Deals, nicht austreten würden, wäre das Thema sofort wieder auf dem Tisch. Denn von jetzt an wird es in der EU eine ernste Krise nach der anderen geben. Die Briten werden auch nicht die einzigen sein, die den Austritt diskutieren werden. Auch wenn die Briten sich knapp (ein deutliches Ja ist nicht vorstellbar) für den Verbleib ausprechen würden. wäre das Ansehen der EU zu stark geschädigt.
Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.