Verstehe einer die amerikanische Demokratie! Warum können sie, um Henry Higgins zu variieren, nicht so sein wie wir? Also Parteien wählen, die in geschlossener Gesellschaft Personen aufstellen, von denen keiner weiß, wie sie da hin gekommen sind, und die dann eine Koalition aushandeln, die vorher nicht klar war, die dann eine Regierung bildet, die man so nicht gewollt hat?
Nein, die Amerikaner müssen zuschauen, wie sich Männer und Frauen Monate lang in aller Öffentlichkeit um die Kandidatur für das Präsidentenamt bewerben; und wie sie dann öffentlich nominiert werden; und wie sie erst dann in den eigentlichen Wahlkampf gehen, gegen einen Gegner, der sich genauso durch die Mühlen der Öffentlichkeit gequält hat.
Kann so viel Öffentlichkeit gut gehen? Die Personen, die auf dieser harten Route unter den Augen von Millionen Wahlbürgern ins Weiße Haus gelangen, bringen den deutschen Zuschauer immer wieder in einen Aufruhr der Gefühle. Diese Leute sind so anders als unsere Trockenbeerenauslese.
Die aktuelle Bedrohung für den deutschen Seelenfrieden heißt Donald Trump. Am 1. Februar ist Vorwahl in Iowa und die Umfragen sehen bei den Republikandern einen Sieg des großsprecherischen und politisch total unkorrekten Immobilien-Tycoons voraus. Ja kann das denn wahr sein? Sollte es tatsächlich wahr werden, versteht der ordentliche Deutsche die Welt nicht mehr.
Wie war es in Washington doch vordem mit Barrack Obama so schön. Auch dieser hochgebildete Schwarze brachte die deutschen Seelen in Wallung. Aber in was für schöne. Yes we can! Amerika, dieses Land der kalten Kapitalisten wurde fast über Nacht zum himmlischen Gefilde. Ein Engel im Weißen Haus. Wie war das nur möglich! In Amerika!
Oder nehmen wir Ronald Reagan. Den habe ich damals als Korrespondent in Washington selber miterlebt. Diesen Mann dem deutschen Publikum näher zu bringen, war so unmöglich, wie einem Wal das Tanzen beizubringen. Ein mittelmäßiger Schauspieler als Präsident im Weißen Haus? Spinnen die Amerikaner? Dass er vorher Gouverneur von Kalifornien war, also eine Art Seehofer, nur wichtiger, machte diesen Makel nicht wett. Und als er gemeinsam mit Michail Gorbatschow eine neue Weltordnung vorbereitete, gaben wir Deutschen alle Lorbeeren dem Russen, und nur ein beiläufiges Nicken in Richtung Reagan, ohne den das alles nicht gelaufen wäre.
Was verbindet diese drei so unterschiedlichen Männer? Ganz einfach: die Faszination.
Trump fasziniert, weil er wie ein Motorrad-Prolet auf einem Opernball auftritt und den ganzen feinen Laden rockerhaft durcheinanderwirbelt. Da muss man einfach hin. Eintrittskarten zu seinen Shows werden zu Höchstpreisen gehandelt.
Barrack Obama faszinierte als wortgewaltiger Überbringer einer liberalen und sozialen Hoffnungsbotschaft. Er versprach mit großer Überzeugungskraft ein schönes neues Amerika, das außen und innen im Frieden lebt, Rassen und Klassen einander näher bringt. Er machte den amerikanischen Traum zum deutschen Traum, weshalb ihm unsere Herzen so entzückt entgegen schlugen.
Ronald Reagan faszinierte, weil er scharmierte. Dieser Mann der einfachen Worte und einfachen Botschaft eroberte die Herzen der Amerikaner, auch die Herzen vieler Demokraten, mit seiner Art, seiner Stimme, seiner lässigen Selbstsicherheit. Lauter Dinge, die in der Übersetzung komplett verloren gingen. Darum nahmen die Deutschen Ronald Reagan auch dann nicht ernst, als er ihren Traum, das Ende des Kalten Krieges, gemeinsam mit Gorbatschow Wirklichkeit werden ließ.
Ja, Reagan half in der Tat, einen Traum wahr werden zu lassen. Barrack Obama, dessen Bilanz besser ist, als man es heute in der Ernüchterung sehen will, hat seinen und unseren Traum nur ansatzweise in Wirklichkeit umarbeiten können. Und Donald Trump, der ja eher einen Alptraum verkörpert, wird hoffentlich nie Wirklichkeit werden.
Das Schlüsselwort ist in jedem Fall Faszination über eine Langstrecke vor großem Publikum. Auch das viele Geld, das für diesen Marathon notwendig ist, kommt ohne Faszination nicht zusammen. Trump hat das Geld selber, aber Geld allein hätte ihn nie zum politischen Star gemacht.
Natürlich gibt es auch faszinationsferne Gegenbeispiele. George Bush senior gewann, weil sein Gegner Michael Dukakis noch langweiliger war. George Bush junior gewann, weil man in Florida nicht zählen konnte und weil sein Gegner Al Gore die Niederlage brav eingestand, bevor er überhaupt verloren hatte.
Diesmal liegt die Hoffnung des liberalen Amerika auf einer Frau, die deutlich weniger faszinierend ist als ihr Mann, der frühere Präsident Bill Clinton, und als der Rabauke Trump. Hillary Clintons spröder Charme ähnelt eher dem unserer Kanzlerin.
Seit langem sieht es mal wieder so aus, als könnte in Amerika eine solide Fachlichkeit über eine allzu wilde Faszination siegen. Für das deutsche Gemüt (und in diesem Fall auch für die Weltpolitik) wäre das ein Segen.