Wieder eine neue Woche in der nicht enden wollenden Eurokrise. Es gibt Gerüchte über einen weiteren griechischen Schuldenschnitt noch vor dem Jahresende. Die EZB übt Druck auf das Bundesverfassungsgericht aus, ihre Anleihenkäufe nicht für rechtswidrig zu erklären. Zudem hat Frankreichs Präsident François Hollande sage und schreibe (erneut) die Eurokrise offiziell für beendet erklärt. Hoffen wir nur, dass die Eurokrise das auch weiß.
Es wäre momentan recht verführerisch, die politischen Komplikationen im Umfeld dieses griechischen Haircuts, die verzwickten Details des deutschen Verfassungsrechts oder sogar die Zurechnungsfähigkeit des französischen Präsidenten zu diskutieren. Aber ich werde mich mit keinem davon beschäftigen – zumindest nicht heute.
Statt dessen möchte ich über ein Zitat des österreichischen Ökonomen Friedrich August von Hayek sprechen, das über 76 Jahre alt ist. Nachdem er gerade in seinem berühmten Vortrag Economics and Knowledge im London Economic Club die Grundlagen der modernen Informationsökonomie gelegt hatte, beschloss Hayek seinen wegweisenden Beitrag mit einem erstaunlichen Understatement: „Vielleicht haben Sie sogar den Eindruck, dass der größte Teil meiner Ausführungen ganz banal war. Doch von Zeit zu Zeit ist es wahrscheinlich notwendig, sich von der rein formellen Beweisführung zu lösen und sich ganz naiv zu fragen, worum es bei alledem eigentlich geht.“
Diese Worte begegneten mir erstmals bei den Recherchen zu meiner Dissertation und sie haben mir seither stets Gewissheit und Orientierung gegeben. Für mich bedeuten sie: Wenn eine Analyse insbesondere bei komplexen Zusammenhängen schwierig ist und sich kaum Lösungen finden lassen, zahlt es sich oft aus, ein wenig Abstand zu gewinnen und das Problem nüchtern und unvoreingenommen zu betrachten.
Ein solcher Ansatz kann bei einem Blick auf unsere weltwirtschaftlichen Herausforderungen tatsächlich hilfreich sein – auf die Eurokrise ebenso wie auf Japans über zwei Jahrzehnte andauernde wirtschaftliche Misere. Ganz naiv gefragt: Worum geht es bei dieser „Großen Rezession“ eigentlich?
Wenn Sie lieber den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen wollen - nun, in unseren derzeitigen Krisen haben Sie die Auswahl zwischen reichlich Bäumen. Die letzten Jahre waren voller Ereignisse und Probleme - von der Subprime-Krise bis zur Euro-Krise, von Lehman bis Griechenland, von Target2 bis QE3, von TARP bis LTRO. Weniger klar dagegen ist der gemeinsame Nenner hinter all diesen scheinbar unzusammenhängenden Themen.
Soweit dieser gemeinsame Nenner überhaupt existiert, bestand die Erbsünde der letzten Jahre darin, strukturelle und fundamentale wirtschaftliche Probleme mit monetären Mitteln zu behandeln.
In der heutigen Weltwirtschaft gibt es kaum ein Problem, das nicht vorgeblich in der Geldpolitik seine Antwort findet. Dieser Glaube an monetäre Lösungen wurde inzwischen jedoch bereits fast bis zur Belastbarkeitsgrenze getestet und je länger er propagiert wird, desto deutlicher zeigt sich sein Aberwitz: Die Geldpolitik ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung.
Um zu veranschaulichen, was ich meine, gibt es kein besseres Beispiel als Japan und sein ‘Abenomics’-Experiment. Die Strategie des japanischen Premierministers Shinzo Abe, die Märkte mit frischem Zentralbankgeld zu fluten in der Hoffnung, die Inflation anheizen, den Yen abwerten und die Exporte steigern zu können, stellt die extremste Manifestation des Glaubens an die Macht der Geldpolitik dar. Trotz einiger kurzfristiger Erfolge bei der Ankurbelung des Wirtschaftswachstums im ersten Quartal dieses Jahres ist diese Politik letztlich zum Scheitern verurteilt.
Der Grund für das vorhersehbare Fiasko von Abenomics ist der, dass der Zustand, der mit diesem Konzept geheilt werden soll, einen fundamentalen Schwachpunkt der japanischen Wirtschaft darstellt, jedoch allein durch die Geldpolitik beseitigt werden soll.
Japan hat mindestens drei strukturelle Probleme. Das erste ist das vergiftete Erbe aus über zwei Jahrzehnten staatlicher Konjunkturprogramme. In dem Versuch, nach dem Platzen der Immobilien- und Nikkei-Blase im Jahre 1991 die Wirtschaft neu zu beleben, versuchten die folgenden japanischen Regierungen, das Wachstum durch Konjunkturpakete wieder in Gang zu bringen - und ließen dabei lediglich eine grotesk aufgeblähte Infrastruktur und eine gigantische Staatsverschuldung zurück.
Das zweite Problem Japans ist seine bevorstehende demographische Katastrophe. Das Land hat bereits heute die älteste Bevölkerung der Welt, doch aufgrund einer Kombination aus zunehmender Langlebigkeit, sich verringernder Geburtenzahl und minimaler Migration wird die japanische Bevölkerung von heute 128 Millionen auf 87 Millionen im Jahre 2060 schrumpfen. Im gleichen Zeitraum wird sich der Bevölkerungsanteil im erwerbsfähigen Alter nahezu halbieren.
Das dritte Problem in Japan ist sein stark regulierter Arbeitsmarkt, der die Lohnstückkosten in die Höhe getrieben hat. Für Japans größte Unternehmen ist eine Umstrukturierung schwierig, da die Entlassung von Beschäftigten fast unmöglich geworden ist.
Diese drei Probleme – Staatsverschuldung, Demographie und eine unflexible Wirtschaft – sind quälend real. Ihre sinnvolle Lösung würde harte Maßnahmen, Opfer und politischen Mut erfordern. Statt dessen verheißt dank Abenomics die Geldpolitik, sie zu lösen.
Monetäre Maßnahmen können jedoch bestenfalls für vorübergehende Entlastung sorgen. Man kann Krebs nicht mit Schmerzmitteln behandeln. Der Patient mag sich zwar im Augenblick besser fühlen, doch die Medizin leistet keinen Beitrag zur Bekämpfung der Grunderkrankung.
In Europa sieht es ganz ähnlich aus. An der Wurzel der europäischen Probleme finden wir strukturelle Kernpunkte, von denen viele mit Japan vergleichbar sind. Der Staat ist inzwischen zu groß und zu hoch verschuldet; die demographische Umstellung der europäischen Gesellschaft ist in vollem Gange; die Regulierung der europäischen Wirtschaft hat die globale Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents geschädigt.
Der Euro - im Prinzip ein System fester Wechselkurse - hat diese Schwächen der europäischen Volkswirtschaften gnadenlos aufgedeckt. Die Reaktion darauf war jedoch erneut weitgehend eine geldpolitische. Die EZB hat versucht, über erfindungsreiche Programme die europäischen Regierungen zu entlasten, indem sie ihnen bei der Refinanzierung ihrer Schulden half. Dadurch wurde allerdings die Bewältigung der zugrunde liegenden eigentlichen, realwirtschaftlichen Probleme erfolgreich vermieden.
Wenn wir uns von den rein formellen Aspekten unserer globalen Krisen lösen, ist deutlich erkennbar, dass diese weitgehend durch reale strukturelle Probleme verursacht wurden. Als vorherrschende Methode zu ihrer Lösung wurde jedoch die Geldpolitik gewählt. Da mag man sich durchaus fragen, ob die laxe Geldpolitik der Vergangenheit nicht eine der Ursachen der Probleme ist, die wir heute feststellen.
Die naiven Fragen, die ich mir gegenwärtig zunehmend stelle, sind: Werden die Menschen schließlich erkennen, dass die Druckerpresse kein Ersatz für gute Politik ist? Wohin wird diese Erkenntnis die Weltwirtschaft führen? Und was geschieht mit der Währungsordnung?
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.
‘Why the global monetary makeover is wearing off’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 13. Juni 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).