Hans-Hermann Tiedje, Gastautor / 01.04.2011 / 17:16 / 0 / Seite ausdrucken

Wann ist Schluss mit Merkel?

Hans-Hermann Tiedje

„Der CDU-Ministerpräsident als solcher gehört einer aussterbenden Spezies an. Das Ende der Union als Volkspartei naht, die Christdemokraten wandeln auf den Spuren der SPD, mit fünf Jahren Abstand…die Grünen laufen herum wie ein prall gefüllter Luftballon…die eigentliche Tragödie vollzieht sich um die FDP.“ Das schrieb der Autor dieser Zeilen im November 2010. Überschrift: „Die CDU schafft sich ab.“

Dem ist nach dem Desaster der Unionspartei am Sonntag in Baden-Württemberg nichts hinzuzufügen, außer der Frage, wann die Union Angela Merkel als Kanzlerin abschafft. Diese Frau ist, leider, im Amte komplett überfordert. Entweder kennt sie die Voraussetzungen nicht, die ein ernstzunehmender Regierungschef haben sollte, oder sie kennt sie und erfüllt sie nicht. Das einzige, was Frau Merkels Schönredner zur Zeit hinbekommen ist die öffentliche Vermeidung der Frage in Deutschland, wann sie geht.

Den Bundesbürgern ist mit ihrer kollektiven Neurose über die Kernschmelze im 8000 Kilometer entfernten Japan offenbar auch die politische Urteilskraft abhanden gekommen. Wie sonst wäre es zu erklären, dass Angela Merkel ungerügt und ohne öffentliche Empörung auf die Reporterfrage nach ihrer persönlichen Verantwortung und der Lage der Union im ZDF schnippisch antworten konnte: „Wir haben keine Krise in der CDU.“ Persönliche Verantwortung übernimmt die Parteivorsitzende ohnehin nicht, das tun andere wie Landeschef Mappus mit seinem Rücktritt.

„Wir haben keine Krise in der CDU.“ So Merkel wörtlich. Zwar ist die Partei nach 58 Jahren im bestregierten CDU-Land untergegangen und hat ein zweites klassisches CDU-Land (Rheinland-Pfalz) nicht zurückgewonnen, zwar hat die CDU eine Woche vorher in Sachsen-Anhalt verloren und ein paar Wochen vorher die neun Jahre von der CDU regierte Hansestadt Hamburg, und Merkels Christdemokraten werden dieses Jahr auch in Berlin untergehen und in Bremen und in Mecklenburg-Vorpommern und vielleicht sogar in NRW, aber: „Wir haben keine Krise in der CDU.“ Derart viel auf Dummheit des Publikums spekulierende Dreistigkeit in der Erklärung einer Lage war selten.

Die Union ist, sicher auch bedingt durch die Schwäche des Koalitionspartners FDP, im Sinkflug, aber Merkel hat nochmal Glück: Es gibt zwar viele Männer in der CDU, aber die meisten sind politische Dropse. Nach dem Ausscheiden von Friedrich Merz, Roland Koch und Karl-Theodor zu Guttenberg fehlt ein Gegenpol, es sei denn, irgendjemand hielte den graumelierten Umweltminister Norbert Röttgen für eine Alternative. Fraktionschef Volker Kauder ist zwar in zentralen Fragen anderer Meinung als Merkel, traut sich aber nicht den öffentlichen Widerspruch. Und die großen alten Männer der Partei, Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, sind beide körperlich zu schwach, um den Niedergang der Partei aufzuhalten.

Es geht um den Niedergang einer Partei, die sich einmal als Partei der Grundsätze definierte. Heute weiß kaum noch jemand, wofür sie steht. Das war schon im Bundestagswahlkampf 2009 ersichtlich: Deutschland wird nie erfahren, ob der damalige Generalsekretär Roland Pofalla überhaupt imstande war, einen Wahlkampf zu führen – den 2009 konnte er auf Grund der Abwesenheit einer Alternative nicht verlieren. Seither ist er in die Unsichtbarkeit des Kanzleramts abgetaucht – man sieht ihn nicht mehr, man hört ihn nicht. Aber offenbar ist er nicht imstande, Frau Merkel, der es offenkundig nicht um politische Prinzipien, sondern nur um die Macht geht, vom ewigen Lavieren abzuhalten. In der Person Merkel dokumentiert sich: 20 Jahre nach der Wende hat die DDR über die CDU gesiegt, und die Granden der Partei haben es nicht verhindert, ja, sie haben es nicht einmal versucht. Und wenn die Union im Bund untergeht, sollen sie sich nicht beklagen. Schuld ist nicht Frau Merkel allein. Schuld sind alle, die dabei waren und nichts dagegen taten.

Binnen eines halben Jahres hat sich die CDU quasi nebenbei und lautlos unter Merkel von vieren ihrer Grundpfeiler verabschiedet. Erst beseitigte die Partei quasi im Vorübergehen die Wehrpflicht, dann entpflichtete sie sich bezüglich der Stabilität des Euro (die Zeche für Griechenland, Portugal und Co. zahlen ohne Not die Deutschen, Ludwig Erhard würde sich angesichts dieser Politik im Grabe umdrehen), danach wechselte die Partei über Nacht und ohne Widerspruch von der Kernkraft zur Windkraft als Hoffnungstechnologie, und zu guter Letzt trat Deutschland auch noch aus der Nato aus – insofern, dass seit Libyen unsere westlichen Partner wissen: auf diese Deutschen ist kein Verlass mehr.

Dabei hätte man es besser wissen können. Frau Merkel überdauerte die DDR als Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft, schloss sich in Wendezeiten mühelos dem eher moderat-liberalen Demokratischen Aufbruch an, um danach eine stramme Volte zu vollziehen und eine zuverlässige Kohl-Frau zu werden. Noch als CDU-Chefin sprach sie sich für eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) aus, um später das direkte Gegenteil zu verkünden. Auf dem Parteitag 2003 stand sie an der Spitze der neoliberalen Marktwirtschaftler, nach der Bundestagswahl 2005 war das dann plötzlich wirtschaftliches Teufelswerk. Die Dämme, die sie verbal und in aller Öffentlichkeit in der Finanzkrise errichtete, riss sie fast allesamt bei nächster Gelegenheit selbst nieder. Auf Angela Merkel ist Verlass, jedenfalls in der Rolle als Umfallerin, was politische und wirtschaftliche Prinzipien anbelangt.

Ihre Verfahrensweise ist durch Sozialisation angelernt. So wie sie es einst schaffte, über Serien von Parteikonferenzen Widersacher loszuwerden, so ruft sie jetzt, die Kernkraft betreffend, einen Ethik-Rat ins Leben, der nach planwirtschaftlichem Muster, aber ohne großen Sachverstand, so zusammengesetzt ist, dass sein Urteil heute schon feststeht. Danach kann Frau Merkel dann sagen, sie habe mit ihren neuen Bedenken gegen Kernkraft Recht gehabt. Das wird in drei Monaten der Fall sein, aber vorher gibt es, am 22. Mai, bei der Bürgerschaftswahl in Bremen, die nächste CDU-Katastrophe. Fest steht schon heute: in dieser Bundestags-Legislaturperiode regiert die Opposition über den Bundesrat mit, grundlegende Projekte sind nicht zu verwirklichen, aber da es unter Merkel keine grundlegenden Projekte gibt, wird auch das kaum auffallen. Und weil gleichzeitig der SPD nicht nur die Ideen, sondern auch personelle Alternativen fehlen (mit Ausnahme von Peer Steinbrück und Walter Steinmeier, die aber beide in ihrer Partei nicht geliebt werden), wird sie sich bis in den Herbst 2013 durchwursteln.

Und dann ist Schluss mit Merkel.

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