Gastautor / 26.05.2018 / 18:00 / Foto: Ed Brambley / 3 / Seite ausdrucken

„Wann bist du angekommen?“ – „Morgen. Vielleicht.“

Von Erwin Javor.

Anlässlich einer Fotoausstellung im Jüdischen Museum hat man neben anderen auch mich zu „meiner Identität“ befragt. Ich wollte keine langwierige akademische Antwort formulieren, und so erzählte ich diese Geschichte, um es auf den Punkt zu bringen:

Wenn Sie ein Zebra fragen „Was ist Ihre Identität?“, wird es sagen: „Was soll die dumme Frage? Ich bin ein Zebra! Mein Vater war eins, meine Mutter war eins, meine Großeltern auch, sogar meine Frau ist ein Zebra, also raten Sie einmal, was meine Kinder sind?“ Ich bin in der Herde groß geworden und kannte nur Zebras. Anfangs waren auch alle meine Freunde Zebras. Mit der Zeit habe ich auch andere Tiere kennengelernt. Jetzt mag ich nicht mehr zwangsläufig alle Zebras. Manche machen es einem auch wirklich schwer, sie zu mögen. Aber: Wenn ein Löwe ein Zebra bedroht, dann bin ich auf der Seite des sogar widerlichsten Zebras und helfe ihm. Denn ich werde immer ein Zebra bleiben. Meine Streifen sind vielleicht andere, aber auch ich habe Streifen. Und das ist auch gut so. 

Ich schreibe über Dinge, die mich bewegen und es ist mir bewusst, dass ich eigentlich immer nur über zwei Themen schreibe. Erstens darüber, was gewisse Nichtjuden den Juden antun. Zweitens darüber, was gewisse Juden den Juden antun. Manchmal denke ich mir, es muss doch noch ein drittes Thema geben. Drittes Thema. Dritter Mann, Dritte Welt, Dritte Zähne, Drittes Lager, Drittes Reich. Themenwechsel! 

Aber welches Thema? Es muss doch irgendetwas geben, das nichts mit Juden zu tun hat! Ja, genau. Weihnachten. Da wird zwar die Geburt eines Juden gefeiert, aber wir wollen ja nicht kleinlich sein. Das berühmte Lied „White Christmas“, die meistverkaufte Single aller Zeiten, hat übrigens Irving Berlin geschrieben, der eigentlich Israel Isidore Beilin hieß.

Also gut, ich gebe auf. Es gibt kein drittes Thema.

Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an meine verstorbenen Eltern und ganz besonders an meinen Vater, weil ich dank ihm noch Zeuge der Reste einer heute verlorenen Welt bin. Ich möchte die Erinnerung an die untergegangene Welt der Ostjuden, die ich noch in mir trage, am Leben erhalten. Sie setzt sich in meinem Leben auf meine Weise und im Leben meiner Kinder auf ihre Weise fort.

Was gibt es in diesem Buch zu lesen? Jüdische Witze? Ja, auch, aber nicht nur. Für mich sind die essenziellen Elemente, die den jüdischen Witz zu dem machen, was er ist, zunächst einmal seine Kraft als Vehikel des Widerstands gegen Antisemitismus und Verfolgung, aber auch gegen alle anderen widrigen Umstände des Lebens. Gegen übermächtige Gegner und Umstände lässt es sich nur gewitzt kämpfen, mit Selbstironie, aber auch Selbstzweifeln und Selbstkritik.

Wer soll dieses Buch lesen? Ich stelle mir ganz unterschiedliche Leser vor, die Freude daran haben könnten: Nicht-Juden, die sich für die jüdische Kultur interessieren und wenig Gelegenheit haben, Juden kennenzulernen. Ich gehe auch davon aus, dass Juden sich für dieses Buch interessieren, obwohl ich schon ein mulmiges Gefühl habe, wenn ich an deren Reaktion denke. Zuerst werden sie behaupten, sie kennen viel bessere Witze, Anekdoten und Typen. Ich höre sie schon: „Den hättest du schreiben sollen!“ Dann werden sie mir erklären, was ich alles falsch erzählt habe. Aber was soll’s? Juden sind sowieso schwer zu unterhalten: Ein Zirkusartist steht auf dem Kopf am Sattel eines Einrads, ohne Netz auf dem Hochseil, und spielt dabei Geige. Das Publikum ist verzückt und begeistert. Aber nicht alle. Voller Herablassung sagt der Blau zum Grün: „Yehudi Menuhin ist der keiner!“

Im Übrigen ist es das beste Buch, das ich je geschrieben habe, aber Yehudi Menuhin bin ich keiner. 

Men kennt lejbn, ober men losst nischt

Man könnte gut leben, aber man lässt uns nicht. Eine Schlüsselstelle der Haggada – vehih sche amda – besagt, dass es zu jeder Zeit in jeder Generation jemanden gegeben hat, der uns Juden vernichten wollte. Für mich bedeutet diese Stelle eine Erinnerung, eine Mahnung, zu keiner Zeit zu vergessen und aufmerksam im Auge zu behalten, was um uns herum vorgeht, und wehrhaft zu bleiben. 

Ledor va dor, von Generation zu Generation. Mein Großvater hat es im Schtetl meinen Vater gelehrt, mein Vater mich und ich habe es auch meinen Kindern weitergegeben und hoffe, dass sie diese Mahnung zur Wachsamkeit auch den ihren vermitteln werden. Ich wünschte, ich könnte daran zweifeln, aber alles bleibt ein Kampf, alles bleibt beim Alten. 

Dennoch halte ich es mit Ben Gurion, dem ersten Ministerpräsidenten Israels. Auf eine völlig unlogische, logische Weise bin ich wie er ein Optimist: „Jeden Tag denke ich mir, der gestrige Tag war besser, als der heutige sein wird.“

Ledor va dor auf den Flügeln des Humors.

Treffen sich ein Pfarrer, ein Imam und ein Rabbiner zum ökumenischen Austausch über die Sintflut. „Wenn heute wieder eine Sintflut käme“, fängt der Pfarrer an zu philosophieren, „was würdet ihr tun, um das Unheil abzuwenden? Wir würden inbrünstig beten!“ Der Imam sieht das anders: „Das wäre Kismet. Wenn Allah das so will, würden wir unser Schicksal annehmen. Und was würdet ihr tun?“ fragt er dann den Rabbiner? – „Wir würden lernen unter Wasser zu leben.“

Auszug aus dem Buch „Ich bin ein Zebra – Eine jüdische Odyssee“ von Erwin Javor über ostjüdische Identität im Lauf der Generationen. Die Tragikomik der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fügen sich in ein Mosaik aus jüdischem Witz, Geschichte und erlebten Geschichten.

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Leserpost

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Esther Burke / 26.05.2018

Ich würde gerne verstehen, WARUM (welche Gründe ?) Juden so lange (2000 Jahre Diaspora) angefeindet wurden und ergo “nicht angekommen” sind . “Leading role” ?  “Chosen people “?  ( “Should you become part of the tapestry of the main culture you are in, that equals harmony.  Or should you set yourself apart and claim that you are different and better   :  a permanent target.” J,B. )    ??? Gibt es Forschung zu diesem Themenkomplex ?

Rolf Menzen / 26.05.2018

Mazel Tov

Peter Zentner / 26.05.2018

Lieber Herr Javor, als Student war ich jahrelang der Schabbes-Goi einer liebenswerten, orthodoxen jüdischen Familie in Wien, vier Minuten von der Alma Mater Rudolphina entfernt. Einfache Tätigkeiten: Briefkasten leeren, Licht, Gasherd anzünden und ausmachen (beides eigentlich verboten), den betagten Tora-Gelehrten (Papa) über viereinhalb Stockwerke rauf und runter stützen, die paar Schritte zur Synagoge zu begleiten, natürlich unentgeltlich. Und Mama des Nachts, wenn er schlief,  bei meiner Tante im selben Haus vor die Glotze zu schmuggeln. || Selten hab’ ich mehr fürs Leben gelernt als damals, und mit Friedrich Torberg (Kishon-Übersetzer, Autor von “Die Tante Jolesch”) hab’ ich noch im Kaffeehaus während seiner letzten Lebensjahre parlieren dürfen. || In das bildschöne Töchterchen des Tora-Gelehrten hab’ ich mich natürlich verliebt, aber außer zwei, drei Busserln im Treppenhaus ging nichts. Lea wurde dreimal nach Israel geschickt, um einen der von Papa als passend auserkorenen Ehemännern zu wählen, kehrte aber stets, weil ihr keiner gefiel, als Jungfer zurück.. Was sie heute noch ist. || Wir telefonieren und what’s-appen heute noch ab und zu, und sie ist nach wie vor süß, wenn auch einsam, aber wir teilen ein Kapitel unserer Jugend. || Die Erfahrung dieser Jahre in Wien würde ich nicht mal für eine Million Shekel eintauschen!

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