Henryk M. Broder / 20.11.2016 / 16:22 / 5 / Seite ausdrucken

Waigels Erzählungen: Der Euro und ich

Nun, da die quälende Zeit der Ungewissheit vorbei ist und wir alle wissen, dass Angela Merkel antreten wird, können wir uns wieder den wirklich wichtigen Dingen zuwenden. Haben Sie vielleicht noch eine Telekom-Aktie? Vor zwei Tagen feierte die "Volksaktie", die einige Anleger reich und sehr viele arm gemacht hat, den 20. Jahrestag ihrer Markteinführung. War das ein Zirkus! Der damalige Finanzminister, Theo Waigel, strahlte wie eine Laterne an St. Martin: "Das war ein großartiger Tag für den Börsenplatz Deutschland, für die Aktienkultur in Deutschland und für den Standort Deutschland!" Wie es weiter ging, wissen wir. Wie gewonnen, so zerronnen.

Macht aber nix. Waigel war nicht nur bei der Einführung der Telekom-Aktie ganz vorne dabei, er hat auch den Euro erfunden, oder - wie der stern schreiben würde: Er gilt als der Erfinder des Euro. Zehn Jahre später gab er dem Focus ein Interview, in dem er sich selbst feierte: "Der Name ist einfach genial – da muss ich mich selbst loben. In Euro stecken die Anfangsbuchstaben von Europa." Wer hätte das gedacht? Und wer wäre ohne Waigels Hilfe darauf gekommen? Nur wenn einer oder eine daherkommt und sagt, die Währungsunion war ein Flop ("falsch und zu früh"), dann wird der Erfinder des Euro ungehalten und spinnt sich was zurecht. Die Währungsunion werde "seit 1946 propagiert", "die demokratischen Parteien wollten sie alle, die Europäer wollten sie alle, und die jungen Leute wollten sie alle".

So wie eine Mutter nichts auf ihren depperten Sohn sagen lässt, so besteht Waigel darauf, dass sein Euro die wichtigste Erfindung seit der Eieruhr ist. Noch im Juni dieses Jahres behauptete er: "Der Euro steht da wie die D-Mark in ihren besten Zeiten." Und man müsse "endlich mal wieder über Europa positiv reden", wenn es ein Problem gäbe, dann wäre es "die Situation in einigen Ländern Europas", die natürlich nichts mit dem Euro zu tun habe.

Ja, so reden sie, die Experten, gestern über die Telekom-Aktie, heute über den Euro und die Einwanderungsgesellschaft. Alles wird gut. Und wenn nicht, dann haben eben die anderen Pech gehabt. Waigels Rente ist jedenfalls sicher. Da hatte der Blüm ausnahmsweise recht.

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Leserpost

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Walter Haller / 21.11.2016

Diese Starrköpfigkeit einiger der selbsternannten «Bauherren» von Europa ist bisweilen nicht nachvollziehbar: Natürlich war die Währungsunion eine gute Idee, allerdings kann diese nicht funktionieren solange sich die Mehrheit der Länder (inkl. Deutschland mit der unsäglichen Schwarzen-Null-Politik) nicht an die vereinbarten Konventionen hält.

Franck Royale / 21.11.2016

Friedrich Merz ist mit dem Krug der Erkenntnis da schon weiter gelaufen. Bitte nicht drängeln, es ist genug Erkenntnis für alle drin!

Prof. Dr. Otto Jastrow / 21.11.2016

Sie zitieren Waigel mit der Erklärung, der Name Euro sei eine geniale Erfindung, weil die Anfangsbuchstaben von Europa darinstecken. Sein Statement ging aber noch weiter, und dabei wurde es noch genialer. “Und außerdem”, so erinnere ich mich noch heute, “wird er überall gleich ausgesprochen.” Daraus läßt sich erkennen, daß Waigel außer Deutsch keine einzige europäische Sprache beherrschte, denn in Wirklichkeit wird der Name Euro ja überall verschieden ausgesprochen: in Frankreich als öró, in England als juro, in Deutschland als oiro, in Italien als äuro, in Griechenland als evró usw.  Schöner läßt sich die Sachkompetenz der Politik kaum illustrieren.

Matthias Haus / 20.11.2016

Wie immer treffender Kommentar Herr Broder So sind die sogenannten politischen Eliten, was kümmert mich mein Geschwätz von gestern. Aber dafür werden diese Witzfiguren wenigstens vom Steuerzahler fürstlich bis ans Ende Ihrer Tage versorgt. Danke,weiter so

otto regensbacher / 20.11.2016

Lieber Herr Broder, der “selbsternannte Vater des Euro”, der werte Herr Waigel, hat immer noch nicht erkannt, dass der Euro ein “totgeborenes Kind” war. Eine einheitliche Währung funktioniert eben nicht im Konstrukt EU, weil die wirtschaftlichen Leistungen der Mitgliedstaaten total unterschiedlich sind. Das lernen schon Studenten der Volkswirtschaft in den ersten Semestern. Herr Waigel kann es sich als Politiker genauso erlauben - wie Frau Merkel - Fehlentscheidungen zu treffen und darüberhinaus total beratungsresistent zu sein. Demokratie funktioniert jedenfalls ein klein wenig anders!

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