Peter Grimm / 24.06.2016 / 15:21 / Foto: Gorilla Jones / 6 / Seite ausdrucken

Wagenburg Brüssel: Adieu Jean-Claude

Kann man sich als Kontinentaleuropäer über das Brexit- Ergebnis freuen? Überall zeigen sich die Verantwortungsträger geschockt. Unsicherheiten gibt es allüberall. Die EU-Granden hatten sich eigentlich darauf vorbereitet, dass es ein knappes Ergebnis für den Verbleib in der EU geben würde. Nach einem solchen knappen Ergebnis wären die Herren Jean Claude Juncker und Martin Schulz heute morgen vor die Kameras getreten, hätten selbstgefällig vom Sieg der Vernunft gesprochen und es als Bestätigung für den bevormundenden Institutionenfilz, zu dem sich weite Teile des EU-Apparats inzwischen entwickelt haben, gewertet. Kaum einen Halbsatz wäre es den Herren aus Brüssel, aber auch der deutschen Kanzlerin wert gewesen, dass sie allenfalls die Hälfte der Stimmberechtigten mit dem Schüren vielerlei Ängste hinter sich bringen konnten. Bis heute Nacht galt das als das wahrscheinliche Szenario. Und nun hat sich selbst diese knappe Mehrheit nicht mehr gefunden. Die Gewissheit der EU-Granden, sich immer irgendwie eine Legitimation für das eigene abgehobene Handeln zusammenschustern zu können, wenn nötig auch mit so dehnbarer Rechtsauslegung, die nach normalen Maßstäben als Rechtsbeugung und Rechtsbruch gelten würde, hat einen entscheidenden Schlag bekommen. Darüber kann man sich durchaus einen kurzen Moment freuen. Und dann?

Es ist natürlich schade, dass es so weit kommen musste, dass nur noch ein Beschluss zum Austritt aus der EU in der Lage ist, diesen Apparat zu erschüttern. Aber das ist nun gelungen. Ist das nun ein Abschied von den Briten, wie es aus Brüssel, aber auch aus Berlin nun allenthalben zu hören ist? Vielleicht sind sie nur Vorreiter. Denn es ist ja nicht die einzige Abstimmung, bei der es die vertrauten Eliten auch mit größter Kraftanstrengung nur noch auf die Zustimmung von ungefähr der Hälfte ihrer Stimmbürger bringen. Die österreichische Bundespräsidentenwahl zeigte das gleiche Bild.

Ihre ganze Sorge gilt der Abwehr künftiger Bürger-Voten

Es ist ja bezeichnend, wenn politische Verantwortungsträger jetzt betonen, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU dem Land wehtun müsse, um Nachahmereffekte zu vermeiden. Wie unpopulär die EU in Europa inzwischen geworden ist, scheint den politischen Eliten also durchaus bewusst zu sein. Doch statt den eigenen Kurs in Frage zu stellen, kümmern sie sich eher darum, wie störende demokratische Bürgervoten abgewehrt werden können.

Das Problem sind ja nicht die Briten, die plötzlich mehrheitlich EU-skeptisch geworden sind. Das Problem ist eine EU, die es geschafft hat, eine Mehrheit der Europäer gegen sich aufzubringen und damit eigentlich zur größten Gefahr für die richtige, wichtige und eigentlich unerlässliche europäische Idee entwickelt hat. Ist dieses institutionell verfilzte Konstrukt überhaupt noch reformierbar? Die Frage muss man sich leider gar nicht stellen, weil niemand im Apparat derzeit ernsthaft reformwillig ist. Also nehmen wir das britische Votum doch als Weckruf, am neuen Europa zu bauen. Schaffen wir so viele vom Brüsseler Apparat unabhängige europäische Verbindungen und Vernetzungen, wie nur möglich. Der Zerfall der alten EU hat begonnen. Dieser Apparat ist unrettbar verloren, auch wenn der Zerfallsprozess noch lange dauern kann. Bevor der Kontinent einfach nur in seine nationalen Puzzleteile zerfällt, sollten neue Bande geknüpft sein. Wenn uns die Briten heute auf diesen Weg getrieben haben, dann ist es ein guter Tag für Europa. Dann ist es kein Tag, an dem der Kontinent “Good bye britain” sagt, sondern eher “Adieu Jean Claude”.

Zuerst erschioenen auf Peter Grimms Blog Sichtplatz hier. Sehr schön ist auch dieser Text zum Thema.

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Leserpost

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Klaus Wenzel / 25.06.2016

Aussenministerdarsteller und Reserve-Staatspräsident Steinmeier hat ja seit gestern - zunächst im ZDF-Interview - klar gemacht, dass ein Plebiszit in Deutschland zu den Fragen, welche die Wähler und Staatsbürger derzeit umtreiben, in etwa so wahrscheinlich ist wie die Besiedelung des Planeten Pluto im nächsten Jahr. Leider findet auch keine ernst zu nehmende Opposition in diesem, unserem Lande mehr statt, sondern Königin Angela, die Erste kennt keine Parteien mehr, sondern nur ihrer Politik ergebene Gruppierungen und halt die anderen, die es leider nicht verstehen wollen. Es ist genau diese zutiefst arrogante und abgehobene Einstellung, welche wahrscheinlich auch die knappe Mehrheit der Briten gegen die Brüsseler Juncker, Schulz und soweiter EU aufgebracht hat. Ein überbürokratisiertes Gebilde, das den Kontakt zu den europäischen Bürgern weder sucht noch findet. Schade, denn die Erfahrung zweier Kriege liess die Idee einer europäischen Einigung eigentlich wünschenswert erscheinen. Was daraus geworden ist, gefällt vermutlich nicht nur den Briten nicht….aber Deutschland bleibt sicher, bis das Licht ausgeschaltet, wird Mitglied… alternativlos

Tom Hess / 25.06.2016

Dier Artikel spricht mir aus der Seele. Ich bin ein glühender Europäer. Und das bedeutet automatisch, dass ich gegen die EU sein muss. Sie ist undemokratisch, bevormundend, herablassend, regelwütig. Nur Konzerne bekommen, was sie wollen. Dass ausgerechnet die EU-Befürworter den Kritikern vorwerfen, antieuropäisch zu sein, ist Zynismus pur. Denn ich will ein Europa der Menschen. Nicht eins, in dem der hart erarbeitete Wohlstand der einen an die verteilt wird, die weniger haben und lieber Schulden machen. Ich will ein Europa, in dem jeder die gleichen Chancen hat, mit harter Arbeit Wohlstand zu erlangen.

Karla Kuhn / 25.06.2016

Es ist unglaublich, mit was für einer Chuzpe die führende Kaste der EU Politiker aber auch viele andere Politiker versuchen, die demokratisch gewählte Abstimmung in den Schmutz zu ziehen.  Mit all den Äußerungen haben sie den kleinen Rest Glauben völlig verspielt. Anstatt in sich zu gehen und zuzugeben, dass sie völlig am Bürger vorbeiregiert haben, in jeder Form, uns wurde wirklich jeder Mist aufs Auge gedrückt und sofort zurückzutreten, versuchen sie auch noch die Schuld uns in die Schuhe zu schieben. Juncker, Schulz und Co. sind einfach nicht mehr tragbar.  An die Spitze der EU gehören absolute Spitzenkräfte, die sich nicht nur durch enorme Kompetenz, sondern auch durch Bodenständigkeit auszeichnen. Und vor allem durch regelmäßige Bürgernähe.  Die Aussage, keine Volksabstimmungen mehr zuzulassen, entmündigt die Bürger restlos. Alle Politiker sollten sich immer bewußt sein, dass es die Bürger sind, die ihnen ihr schönes Leben finanzieren. Abgesehen davon, dass die EU inzwischen viel zu groß geworden ist. Es gibt viel zu wenig Länder die zahlen und viel zu viel Länder, die nehmen.

Peter Radtke / 25.06.2016

Die nationale Idee ist nicht meine. Ich bin kein Deutscher. Ich bin Niederrheiner und Europäer. Meine Steuergroscher sollen nicht nach Dresden, Heidenau und Freital gehen. Lieber Griechenland, Spanien und Portugal sind die Ziele meiner Steuergroschen. Souveränität für meine Steuern!

Wolfgang Kaufmann / 24.06.2016

Vielleicht sollte man das Wahlalter noch weiter herabsetzen. Denn nur wohlbehütete Jugendliche ohne jede Lebenserfahrung lassen sich so schlicht für eine kollektive Trunkenheit vereinnahmen.

Johannes Fritz / 24.06.2016

Die “richtige, wichtige und eigentlich unerlässliche europäische Idee ” ist nicht meine. Sie darf sehr gerne in der Versenkung landen, besser gestern als heute. Mein Steuereuro soll nicht nach Griechenland gehen Erkennen wir die Chancen der Souveränität.

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