Josef Hueber, Gastautor / 19.05.2017 / 06:00 / Foto: Alex Grech / 9 / Seite ausdrucken

Vorwarnungen hatte es gegeben

Von Josef Hueber 

Sein Name war vielleicht sein Verhängnis. Zweisilbig, gut skandierbar und sich rein reimend mit dem Wort Hering. Wir brauchten kein Facebook, um uns per Flashmob spontan zu versammeln und eine verbale Treibjagd auf ihn zu beginnen. Der große Studiersaal unseres Schülerheims, meist unser bevorzugter Aufenthaltsraum in der Freizeit, war das geeignete Gelände, um in seiner Anwesenheit aus dem Nichts heraus einen Zweizeiler zu skandieren und ihn damit als Hering zu karikieren. Was die Aufsicht führenden Präfekten betraf, so kann ich mich nicht erinnern, dass sie davon irgendwelche Kenntnis hatten, und deswegen war es auch ganz logisch, dass von deren Seite aus niemals eingegriffen wurde. Das Opfer war, wie wir, etwa 12 Jahre alt. Ich kann mich noch an seinen verstörten, ratlosen Schreckensblick erinnern, wenn er zu einer Art Flucht ansetzte, aber es gab keine Türe, durch die er in eine von uns nicht erreichbare Freiheit hätte fliehen können.

Ob er davon seinen Eltern erzählte, weiß ich nicht. Es war damals, in den frühen 60er Jahren des letzten Jahrtausends, nicht üblich, dass sich Eltern über Vorgänge in einem Schülerheim beschwerten, die ihre Kinder in eine bedrängende Lage versetzten und ihnen seelischen Schmerz zufügten. Da konnte es leicht passieren, dass bei der allgemeinen Versammlung zum Abendgebet während pflichtgemäßen Stammelns Ohrfeigen bekam, weil man sich nicht andächtig ruhig verhalten hatte. Eine Beschwerde der Eltern darüber wäre undenkbar gewesen.

Dabei war er gar kein Jude. Wie etwa der harmlose Kleine in der Friedenauer Gesamtschule Berlin, wo man ihn hinausgeekelt hat. Besser gesagt: Wo die Eltern ihren 13-jährigen jüdischen Jungen von der Schule nahmen, um das Konzept des gelingenden  Multikulturalismus nicht zu gefährden.

Judenmobbing gehört zum kommunikativen Tagespensum

Was war geschehen? Die erwähnte Berliner Bildungsanstalt sieht sich geprägt durch die Teilnahme an dem Programm "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage". Nun war man plötzlich konfrontiert mit dem Umstand, dass Judenmobbing auf dem Schulhof offenbar zum kommunikativen Tagespensum nicht weniger Mitschüler gehörte (75 Prozent der Sekundarstufe sind  nicht-deutscher Herkunft, davon mehr als 50  Prozent Türken und Araber). Beleidigungen bis hin zu körperlichen Gewalt in Form von Würgeübungen am Objekt und fingierter Schusswaffenbedrohung an der Bushaltestelle waren selbstauferlegtes Pflichtprogramm der Mitschüler, nachdem sich das Opfer unangepassten Verhaltens im Ethikunterricht zu seinem jüdischen Glauben bekannt hatte.

Die Angelegenheit traf die Schule hart. Hatte sie sich das Image der Weltoffenheit mühevoll erkämpft, da sie, anders als andere gutbürgerliche Schulen in der Umgebung, weitaus mehr Kinder mit Migrationshintergrund zu menschlichem Verhalten erzieht, sah sie sich nun einer Rufschädigung ausgesetzt, welche die mühevolle Integrationsarbeit zunichte machen könnte. Verständlich, dass sich die Eltern der Schule in einem Leserbrief anklagend an den „Tagesspiegel“ wandten, der ihrer Meinung nach nicht fair über den Vorgang an der Schule berichtet hatte. „Wir befürchten, dass die Schule in ein völlig falsches Licht gerückt und der Ruf, den sie sich hart erkämpft hat, zunichte gemacht wird.“

 Fiat justitia. Der Schulleiter Uwe Runkel, das wird man wohl noch sagen dürfen, hatte es an vorauseilender Umsicht nicht fehlen lassen. Er hatte die Eltern des kleinen Juden gewarnt. Lassen wir ihn selbst sprechen: „Bei der Anmeldung des Schülers habe ich die Mutter darauf hingewiesen, dass wir keine Erfahrung mit jüdischen Schülern haben, die wie der 14-Jährige offen mit der Religion umgehen.“ Na, wenn das kein Warnschuss war!

Bunt und ängstlich

Trotz einer regional überdurchschnittlichen Quote von ethnisch bunter Schülerschaft muss man sich leider bei der Integration eines Judenjungen als inkompetent und ängstlich warnend geben? Freilich, wenn dieser mit seinem Glauben „offen umgehen“ will, ist dies wieder etwas anderes.

Ralph Giordano, selbst Halbjude und zuletzt vor den Nazis Zuflucht suchend in einem Rattenkeller bis zur Befreiung durch die Briten, erzählt  in seiner Autobiographie  Erinnerungen eines Davongekommenen , wie er, obwohl beliebt bei seinen Mitschülern, ein Erlebnis hatte, das ihn bis ins hohe Alter nicht loslassen wollte. Eines Tages in den Sommerferien 1935, kommt eine Gruppe von Klassenkameraden auf einem Blockwagen, den er ihnen zum Spielen überließ, daher gefahren. Unter ihnen sein bester Freund, der ihn anherrscht: „Ralle, mit dir spielen wir nicht mehr, du bist Jude!“  Worauf sie „johlend“ weiterziehen.

 Das Kind hatte ein Gefühl von „Hinrichtung“, das für Giordano ein lebenslang wirksames Trauma bedeutete.

Besorgt wegen "islamfeindlicher Tendenzen"

Die Eltern der Schule in Berlin sind gottlob nicht ratlos. Das „offene Miteinander“ vor Ort muss wegen dieses Einzelfalles nicht gefährdet sein.  „Zusätzliche finanzielle Ressourcen“ und „zusätzliches Personal“ sowie ein „Journalismus, der nicht voreilig verurteilt“, sind Teile ihres einleuchtenden Forderungskataloges, der auf Erfolg hoffen lässt. Gerade auch im Hinblick auf die Gefahr „islamfeindlicher Tendenzen“, was eine vorrangige Sorge der Elternschaft ist.

Ein paar Randbemerkungen zum Schluss seien noch erlaubt.  Wir wissen, dass der Nahostkonflikt in Zeiten des Internets und globaler Zugänglichkeit von Bildern vor unserer Haustür nicht Halt macht. Gewalt, wie sie in der betroffenen Region ausgeübt wird, dringt bis Berlin. Man darf sich also nicht wundern, so der Subtext des besorgten Elternleserbriefs, wenn sich dieser Konflikt zwischen Arabern und Juden in Berliner Schülerfäusten Luft macht.

Und im Übrigen: Vorwarnungen hatte es ja gegeben. Das wird man wohl noch sagen dürfen. Der junge Jude hätte im Unterricht nicht bekennen sollen, dass er Jude ist. Das musste bei seinen nicht-jüdischen Mitschülern das Gefühl der Diskriminierung hervorrufen. Zugegeben: Es ist nicht richtig, wenn ein jüdisches Kind, gerade wegen unserer Vergangenheit, heute in Deutschland gemobbt wird.  Aber ...

Die Textverweise und Zitate, mit Ausnahme des Zitats von Ralph Giordano, sind entnommen aus „Jüdische Rundschau“, Mai 2017.

Josef Hueber, Germanist und Anglist, war Leiter der Fachschaft Englisch an einem Gymnasium in Bayern.

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Leserpost

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Gunther Bartelt / 19.05.2017

Der jüdische Schüler und seine Eltern haben im Gegensatz zu Ralph Giordano immerhin das Glück gehabt, nicht gleich als Nazis beschimpft worden zu sein. Ralph Giordanos Kritik an einem überdimensionierten Moschee-Neubau und kritische Bemerkungen zum Islam führten dazu, dass er von Politik und Mainstream Medien in die rechte Ecke gestellt und zuletzt gar als Nazi geschmäht wurde. Ich ahne, wie Deutschland nach vier weiteren Jahren ‘Wir schaffen das’ aussehen wird. Vor allem habe ich nicht vergessen, dass in Berlin radikale Hamas-Unterstützer bei Demonstrationen ungestraft ‘Juden ins Gas’ skandieren durften und Mörder bejubelten, die in Israel arglose Menschen mit Messern angegriffen und erstochen haben. Darüber haben die MSM übrigens NICHT berichtet…

Sebastian Laubinger / 19.05.2017

Es geht schon wieder los. Das Wegschauen, banalisieren, dem Opfer die Schuld in die Schuhe schieben. Diesmal unter dem Deckmantel des Multikulturalismus—Deckmantel, wohlgemerkt, denn wessen Kultur hier bevorzugt wird, sollte eindeutig erkennbar sein. Wie war das noch mit je suis Charlie? Verlogenes Gebrabbel. Jetzt wird sich wieder angebiedert. Nicht mehr lange, und es wird wieder heissen, “Die Juden sind unser Unglueck.” Bei solchen Vorfaellen MUSS hart durchgegriffen werden, und es darf ueberhaupt nicht interessieren, um wen es sich handelt. Ob Aus- oder Inlaender, ob Moslem oder Christ—so etwas DARF nicht ungeahndet bleiben. Aber, wie in solchen Faellen: Die Opfer sind schuld. Zumindest dann, wenn es sich nicht um muslimische Fluechtlinge handelt.

Florian Bode / 19.05.2017

Und doch warnt der Zentralrat der Juden eindringlicher vor der AfD als vor den Neuangesiedelten und den Problemen, die wegen ihrer großen Zahl zu erwarten sind.

Bernhard Freiling / 19.05.2017

Offensichtlich gibt es schützenswerte Minderheiten und solche Minderheiten, die unseres Schutzes nicht bedürfen. Das sind dann diejenigen, mit deren Schutz “wir keine Erfahrung” haben. Mit dem Wort “anti” habe ich mittlerweile die allergrößten Schwierigkeiten. Der überwiegende Teil derer, die “das anti” in ihrer Bezeichnung führen, erweisen sich zunehmend als das genaue Gegenteil von dem, was sie zu Sein vorzugeben.

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