Revolutionen erzeugen immer auch Verlierer. Gilt auch für Umwälzungen in der öffentlichen Kommunikation. Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern brachte zusammen mit Luthers Bibelübersetzung die Erklärungshoheit des im lateinischen Geheimjargon murmelnden Klerus zu Fall. Seit dieser Zeit wurden Bücher in allgemein verständlicher Sprache gedruckt, später kamen Zeitungen auf. Die Londoner „Times“ erschien erstmals 1788.
Das Radio wiederum - in Deutschland ab 1920 - klaute den Pressezaren Marktanteile. Nach dem Krieg mischten „Rowohlts Rotations Romane“ (rororo) den Goldschnitt-Muff des Buchbürgertums auf. Und Bertelsmanns „Lesering“ aus Gütersloh bot den Abonnenten wohlfeiles Lesefutter, schadete aber natürlich den Buchhandlungen.
Die massenhafte Verbreitung des Kopierers ab den 1950ern – to xerox war mal ein generischer Begriff – sorgte im Nebeneffekt für Transparenz. Was kam nicht alles ans Licht durch Kopien, die man sich unter der Hand ziehen konnte! Der Kopierer knickte ungezählte Karrieren.
In den 1970ern entstand der Fotosatz. Er löste den aufwändigen Bleisatz ab. Dank Fotosatz erblühten nun jede Menge alternative Medienpflanzen, hauptsächlich linke. Stadtmagazine wie das Hamburger „Oxmox“ zum Beispiel, das bundesweit Nachahmer fand und den Kleinanzeigenteilen der überkommenen Blätter reichlich Erlöse abgrub. Aber auch die „taz“ wäre ohne die Erfindung des billigen Fotosatzes wohl nicht auf den Markt gekommen. Was ein Jammer wäre, ist dieses Presswerk doch als linker Dachschadensanzeiger unverzichtbar.
Worin der Schmäh im Begriff Staatsfunk wohl liegt?
Das Internet überbietet spielend alles, was seit Gutenberg ersonnen wurde. Jeder Mensch ein potenzieller Self-Publisher, Kommentator, Rechercheur, Gegendarsteller - das bringt Verhältnisse zum Tanzen. Groß sind die Verluste an Auflage, Reichweite, Werbeertrag und Bedeutsamkeit, die das Netz den etablierten Medien zufügt. Entsprechend heftig fällt deren Lamento aus. Sie vergattern den Bürger, nur ja dem fiesen, dummen Internet nicht zu vertrauen. Ein hysterischer Alarmton ist neuerdings zu vernehmen.
Das Netz sei „hässlich geworden, feindselig, erregt“. Und „jetzt kommt ihm auch noch die Wahrheit abhanden“, denn „Lügen im Internet spannen ein Netz der Verwirrung“. So tönt es aus der FAZ, und die „Zeit“ fährt einen Prof auf, der was mit Medien macht. Er will einen „Stimmungswandel in Richtung des großen Verdachts“ bemerkt haben. Als Beispiel für die „allmähliche Ausbreitung pauschaler Medienskepsis“ nennt er „Schmähvokabeln wie "Staatsfunk’“.
Worin der Schmäh im Begriff Staatsfunk wohl liegt? Schon der flüchtigste Blick auf die Zusammensetzung der Gremien im öffentlich-rechtlichen Sendebetrieb zeigt ja, dass diese Formulierung nichts anderes darstellt als eine korrekte Zustandsbeschreibung. Klar ist dagegen, was die Dresche der Mainstreammedien bewirken soll. Indem „das Netz“ pauschal als Tummelplatz von Bosheit, Humbug und Verschwörungstheorien abgewertet wird, erfolgt, so die Hoffnung, implizit ein Upgrade der überkommenen Medien zu fairen, nur der Wahrheit verpflichteten Faktencheckern und Nachrichten-Nannys. Erfahrene Spreu-vom-Weizen-Trenner versus Aluhüte und Quarkschreiber. Die Welt von vorgestern, so hätten’s manche gern.
Dem Internet vorzuhalten, dass es unter anderem viel Dreck und Stupidität enthält, gleicht einer Klage über Gutenberg, weil ohne seine Erfindung Hitlers „Mein Kampf“ nicht hätte gedruckt werden können. Das ist traurig und dumm. Es mag ja Menschen geben, die alles für echt halten, was im Netz steht. Die kommen aber im Verhältnis mutmaßlich nicht häufiger vor als Leute, die alles für bare Münze nehmen, was in „Bild“, im „heute-journal“ oder in der „Süddeutschen“ verbreitet wird. Solchen Rezipienten ist sowieso nicht zu helfen.
"Systemimmanente Kritik" nannten das die 68er
Dem Rest bringt das Netz manchmal richtige Genugtuung. Wunderbar, wie es den Mainstream ins Schwitzen zu bringen vermag. Für einen Sender, ein Magazin oder eine Tageszeitung ist es viel schwerer geworden, mit regelrechten Fake News durchzukommen. Okay, Zahlen und Statistiken kreativ in eine gewünschte Richtung zu biegen (ZDF: „67 Prozent der Deutschen sind für Familiennachzug bei anerkannten Asylbewerbern und Flüchtlingen“), das klappt weiterhin ganz gut. Kriegt aber auch Gegenwind im Netz.
Am besten funktioniert die Volkserziehungsmasche der Mainstreammedien mittels Auswahl und Platzierung von Themen. Gaunereien in Versicherungen, Pharmafirmen, Autokonzernen? Gern, jede Woche rauf und runter, vom „Tatort“ bis zur „tagesschau“. Die ungezählten Betrügereien des ökologisch-industriellen Komplexes? Werden mal irgendwo klein-klein eingestreut. Nur als Ausreißer selbstredend, welche der Akzeptanz der ansonsten famosen Energiewende schaden. "Systemimmanente Kritik" nannten das die 68er.
Was die sogenannte Energiewende und den angeblich vollrohr menschengemachten Klimawandel angeht, so befände man sich ohne Internet im tiefen Tal der Ahnungslosen. Die Staatssender lassen bei diesen Themen so gut wie nie eine fundamental andere Position zu als die vom Trio Rahmstorf/Latif/Kemfert vorgesungene. Dass man die Stromversorgung eines Industriestaates nicht einfach wenden kann wie eine Bomberjacke, liegt offenbar jenseits des Glaubenshorizontes von Empfängern der "Demokratieabgabe".
In privaten Medien findet sich gelegentlich das eine oder andere EEG-skeptische Stück, etwa von Axel Bojanowski auf „Spiegel online“ oder von Daniel Wetzel bei „Welt online“. Im Übrigen: Fehlanzeige. Auch die unübersehbare, in vielen Regionen bereits flächendeckende Verwüstung jahrhundertealter Kulturlandschaften ist erstaunlicherweise kein öffentlich breit verhandeltes Thema. Und das in einem Land, wo jede Holzhütte im Außenbereich abgerissen werden muss, wenn für ihren Bau nicht diverse Genehmigungen eingeholt wurden.
Grassrootsmäßig viele neue Abrissbirnchen
Widerstand regt sich hauptsächlich in der digitalen Öffentlichkeit. Und nein, die Frage stellt sich nicht, ob und was dieser Protest konkret bewirkt. Einspruch gegen größenwahnsinnige Unterfangen gebietet schlicht die Selbstachtung. Man muss ab und zu in den Spiegel schauen können, ohne schamrot zu werden.
Jeder frische Blog, jede Webseite, die fragwürdige Gewissheiten mit unbequemen Fakten konfrontiert, ist ein neues Abrissbirnchen gegen den real existierenden Hokuspokus. Und der Maschinenpark wächst! Der interessanteste Neuzugang der letzten Zeit heißt „Publico“, ein angenehm gestaltetes Internetmagazin für „Politik, Gesellschaft & Übergänge“, das wie gerufen zum Ende der bleiernen Merkelzeit kommt.
Der „Focus“-Redakteur, Achse-Mitarbeiter und Buchautor Alexander Wendt betreibt es mit der ihm eigenen Rührigkeit. Schon das erste "Publico"-Stück – die fassungslose Bilanz des langjährigen Müncheners Wendt, den der Beruf in die Barbarenhauptstadt Berlin verschlagen hat - war ein Volltreffer. Es folgten eine wuchtige Abrechnung mit den Lutherfestspielen der EKD und Stücke über öffentlich-rechtliche Umfrageschiebereien sowie über die Hatz auf einen „rechten“ Schwulen.
Das kam gut an. Schon in den ersten neun Tagen besuchten 37.341 Leser das neue Forum, riefen fast 115.000 mal Seiten auf. Scheint, dass Wendts Internet-Motto („Lasst tausend Blumen blühen“) auf fruchtbaren Boden gefallen ist. Schauen Sie mal bei "Publico" über den Zaun!