Henryk M. Broder / 17.07.2016 / 17:59 / Foto: Scott Ehardt / 52 / Seite ausdrucken

Von Prof. Dr. empfohlen: Vergleichgültigung und mürrische Indifferenz

Am 15.7. berichteten die Tagesthemen zuerst kurz über die Lage in der Türkei und dann ausführlich über den Anschlag in Nizza. "Wir fragen nach bei Philipp Glitz in Paris", hub Caren Miosga an, "war das nun wirklich ein Akt des Terrors, gar des islamistischen Terrors, so zumindest hat es der Premiereminister heute erklärt." Worauf der ARD-Mann in Paris antwortete: "Ja, für viele Menschen hier in Franreich fühlte es sich genauso an."

Dieser grandiose Einstieg in eine schwierige Materie wird bestimmt mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet werden. Man muss in einem solchen Fall alle Optionen sorgfältig abwägen. Der Unfall an der Promenade von Nizza, bei dem mindestens 84 Menschen getötet und viel mehr verletzt wurden, muss nicht ein Akt des Terrors, schon gar nicht ein Akt des islamistischen Terrors gewesen sein. Schon möglich, dass ein Fahrschüler die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und dabei Gas und Bremse verwechselt hat. Denkbar auch, dass ein christlicher slowakischer Pfadfinder sich über irgendetwas dermaßen geärgert hatte, dass er einen abgestellten Lastwagen kidnappte, weil grade kein PKW zur Verfügung stand, um mit ihm nach Bratislava zu rauschen. Und falls es doch ein Akt des Terrors war, spricht gegen die Annahme eines islamistischen Terrors, dass der Fahrer kein Schild an die Windschutzscheibe geklemmt hatte, auf dem hätte stehen müssen: "Im Auftrag des IS". Das muss alles bedacht werden.

Es "fühlte sich wie Terror an", muss aber keiner gewesen sein

Deswegen fühlte sich das, was in Nizza passiert war, wie Terror an, es muss aber nicht Terror gewesen sein. Da hat der junge Mann schon recht. Und sollte es ihm passieren, dass er beim Shoppen von einem Laster platt gemacht wird, wird sein letzter Gedanke sein: "Es fühlt sich wie Terror an, aber es könnte auch etwas anderes sein..."

Was es sein könnte, dem versuchte anschließend der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Herfried Münkler auf die Spur zu kommen, nämlich eine "Strategie, die zwischen Krieg und Frieden angesiedelt" ist, also weder Krieg noch Frieden; es sei aber "politisch klug, wenn man nicht von Krieg spricht". Vielmehr sei es naheliegend zu sagen: "Wir reagieren nicht unmittelbar und unter dem Eindruck des Einschlages, sondern nehmen uns einen Augenblick Zeit und analysieren und versuchen zu vermeiden, genau die Reaktionen zu zeigen, welche die andere Seite provozieren will." Als "angemessene Reaktionsweise" empfehle er "mürrische Indifferenz", denn "wir erleben immer wieder Unfälle und Unglücke und werden damit fertig und führen unser Leben weiter".

Worauf Frau Miosga nachhakte: "Ist das der Preis, den wir bezahlen müssen, wenn wir eine freiheitliche Gesellschaft behalten wollen?" Darauf Herfried Münkler, mürisch indifferent:

"Wir leben sowieso mit Gefahren der unterschiedlichsten Art, dass wir uns infizieren, dass wir uns an Haushaltsgeräten einen Schaden zufügen und derlei mehr, und die Statistiker wissen auch, dass die Risiken in diesem Bereich sehr viel größer sind, jedenfalls, wenn wir es auf die einzelne Person rechnen, als einem terroristischen Anschlag zum Opfer zu fallen. Wir müssen eine Form der Vergleichgültigung psychischer Art... hinbekommen, um die Wucht dieses Angriffes herauszunehmen, tendenziell ins Leere laufen zu lassen."

Ich stimme vollkommen mit Prof. Dr. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität, überein. Mürrische Indifferenz ist das Gebot der Stunde. Wenn es z.B. irgendwo brennt, sollte die Feuerwehr nicht gleich ausrücken, sondern sich einen Augenblick Zeit nehmen, die Lage analysieren und versuchen zu vermeiden, genau die Reaktionen zu zeigen, welche der mutmassliche Brandstifter provozieren wollte. So was führt nur zum Chaos.

Ein wenig mürrische Indifferenz würde uns gut tun

Ein wenig mürrische Indifferenz würde uns gut tun. Unser Leben ist voller Risiken, die einen verbrühen sich beim Kaffeekochen die Finger oder fallen von der Leiter, die anderen kommen bei einem terroristischen Anschlag ums Leben, wobei wir wissen, dass die Gefahr, sich beim Kaffeekochen die Finger zu verbrühen oder von der Leiter zu fallen, viel größer ist als die, bei einem terroristischen Anschlag ums Leben zu kommen, jedenfalls wenn wir es auf die einzelne Person rechnen. 

Münkler selbst hat es in der Kunst der Vergleichgültigung psychischer Art weit gebracht. Er redet über das Blutbad von Nizza, als wäre vor seiner Haustür ein Laster voller Paradeiser umgekippt. Nicht schön, aber es gibt Schlimmeres. Die Frage: "Was ist die richtige Antwort auf diese fürchterliche Tat von Nizza?" steht immer noch im Raum, und deswegen übergibt Caren Miosga an Michael Strempel vom WDR. Er überrascht mit der Erkenntnis, dass "nichts" das Attentat von Nizza hätte verhindern können. "Deshalb ist dies ein Appell an unseren Trotz." Und wie schon Scharen von Dummschwätzern vor ihm, sagt auch Strempel, der Trotz sei "das wirksamste Mittel, das eine freie Welt den Terroristen entgegen setzen kann". 

Ja, Trotz kann Berge versetzen und den Terrorismus besiegen. Trotz, trotzer, Tagesthemen. Wie vor ihm Münkler gibt auch Strempel den Zuschauern einen Rat mit auf den Weg: "Wir müssen lernen, mit dieser Art von Lebensgefahr umzugehen, die letztlich viel geringer bleibt als die Gefahr von tödlichen Verkehrsunfällen. Wir dürfen uns den Mördern nicht ergeben, sonst würden wir aus eigentlich gescheiterten Figuren falsche Helden machen."

Statt sich den Mördern zu ergeben, geht der Strempelmann der ARD trotzig auf die Terroristen zu und ruft: "Ihr seid falsche Helden! Der richtige Held bin ich. Denn ich weiß, wie man mit dieser Art von Lebensgefahr umgeht. Ich habe immer einen Taschenrechner zur Hand!"

Wo nehmen Nachtschattengewächse wie Münkler und Strempel ihre Weisheiten her? Würden sie auch so reden, wenn eine Bombe ihnen die Beine unterm Arsch weggerissen hätte? Oder sich so trotzig aufführen wie der Schwarze Ritter bei Monty Python? Hätten sie die Eier, vor die Eltern zu treten, deren Kinder bei einem "erweiterten Selbstmord" getötet wurden, und ihnen zu sagen: "Stellt euch nicht so an, die Wahrscheinlichkeit, ums Leben zu kommen, weil ein Co-Pilot aus dem Leben scheiden möchte, ist doch viel geringer als die, auf dem Schulweg von einem Auto überfahren zu werden!"

Nein, das würden sie nicht machen, nicht einmal daran denken. Und falls doch, kämen sie allenfalls bis zur nächsten Notrufsäule. Aber nicht in die Tagesthemen.

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Leserpost

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Udo Endruscheit / 18.07.2016

Ah ja, jetzt ist mir auch klar, woher das leicht beschädigte Verhältnis Prof. Münklers zu seiner Studentenschaft stammt: Es ist gelebte mürrische Indifferenz.

realdeal / 18.07.2016

Diese ganzen nachträglichen Analysen und Erklärungsversuche - von Herrn Broder hier sehr schön demaskiert - bringen uns sowieso nicht weiter. Mit etwas mehr Pragmatismus und Konsequenz kann man zumindest die Wahrscheinlichkeit derartiger Anschläge reduzieren. Zum konkreten Fall Nizza springen mir zwei Punkte ins Auge: 1. Warum wurde der Attentäter, der sich ja als Tunesier mit Aufenthaltsgenehmigung in Frankreich aufhielt, nicht schon nach seiner ersten Straftat konsequent zurück in sein Heimatland geschickt? So etwas müsste europaweit praktiziert werden, insbesondere in Frankreich, aber auch in Deutschland. Inclusive sämtlicher radikalislamischer “Gefährder”, die ja bislang nur unter enormen Kosten zum Teil rund um die Uhr beobachtet werden. 2. Wenn ich den Berichten glauben darf, passierte der Attentäter die Sicherheitskräfte mit der Angabe, er wolle Eis verkaufen. Wie dämlich kann man sein, jemanden nach den zahlreichen Anschlägen im Vorfeld mit dieser Aussage in einem 20-Tonnen-LKW passieren zu lassen? Zusammengefasst: Schon im Vorfeld eine Null-Toleranz-Strategie fahren reduziert die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen - das ist immerhin schon ein Teilerfolg, wenn man auch nicht jeden verhindern kann.

Werner N. / 18.07.2016

Mich wundert, dass Herr Güllner von FORSA noch nicht Professor wurde; er sondert ähnlich “mürrischen” Stuss ab. Man sollte bei solchen “Experten” bedenken, dass viele Professoren heute nach Parteibuch vor Qualifikation berufen werden.

rüdiger dorsch / 18.07.2016

Ist schon komisch, seit die GEZ-Zwangsgebühren von “unserer” Regierung eingeführt wurden, schaue ich außer Sportsendungen kein Fernsehen mehr. Diese sogenannten freien, unabhängigen Medien sind zu einer Truppe von Lemmingen verkommen. Warum macht die Bundeswehr in Deutschland keinen Putschversuch ? ......... ach ja, die sind wahrscheinlich gerade mit dem Bau von Kindergärten beschäftigt.     :-)

SirHenry / 18.07.2016

Wir sollten jetzt keinesfalls alle LKW-Fahrer pauschal verurteilen.

Lars Bäcker / 18.07.2016

Eigentlich müsste vor jeder Nachichtensendung der Öffentlich-Rechtlichen, analog zu Krimis ab 21:45 Uhr, der Hinweis “Diese Sendung ist für Jugendliche unter 16/18 Jahren nicht geeignet” erscheinen. Soviel geballte Dummheit innerhalb einer relativ kurzen Sendezeit ausgestrahlt zu bekommen, ist ja eigentlich schon eine Leistung an sich. Zur Bildung taugt eine solche Sendung somit nur dann, wenn man, wie Sie, verehrter Herr Broder, auch in der Lage ist, diese Dummheit auch zu erkennen und entsprechend einordnen zu können. Ich möchte keine Jugendlichen, die schulterzuckend, sollte auf der anderen Straßenseite eine Bombe hochgehen sagen:“Shit happens, lässt sich halt nicht ändern. Vom Auto überfahren zu werden ist tausendmal wahrscheinlicher. Hat der Professor in den Tagesthemen gesagt, und der muss es ja wissen, denn sonst wäre er ja nicht Professor…”. Aber ich denke genau das wollen unsere Politiker. Wenn man dem “Pack” erst einmal das Bewusstsein dahingehend vernebelt hat, dass man gegen solche Mörder nichts unternehmen kann, lässt es sich als Politiker sehr gut leben, da man von der Pflicht, etwas zu ändern oder gar sein Weltbild zu korrigieren, faktisch befreit ist. Die Verantwortungslosigkeit in diesem Lande (von Politik, Wissenschaft oder politisch desonteressierten Bürgern), trägt mittlerweile pathologische Züge.

Harald Körner / 18.07.2016

Und wer sich das von Herrn Münkler noch mal ansehen möchte: http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-199933.html Mich macht Berichterstattung dieser Art einfach nur noch wütend. Fühle mich an die Aussagen von Roger Willemsen im Zusammenhang mit 9/11. erinnert.

a.hiermeier / 18.07.2016

Im Dünkeln ist gewissermaßen und ganz gelassen prächtig münkeln! http://www.ndr.de/kultur/Herfried-Muenkler-zu-Anschlaegen-in-Bruessel,journal298.html Zitat daraus: “Münkler: Diese Anschläge sind ja gewissermaßen so gefährlich, weil sie ein Angebot sind, darauf entweder nach dem Modell des Kriminalitätsparadigmas oder nach dem des Kriegsparadigmas zu reagieren. Und de facto handelt es sich um Akte der Kriminalität und nicht des Krieges. Selbst wenn man dort Militär einsetzt, hat das eher symbolische Bedeutung. Und dann muss das Militär nach den Maßgaben der Polizei agieren. Mit schweren Waffen kann man dort sowieso nichts erreichen. Aber natürlich erwartet die Gesellschaft eine starke Reaktion. Und diese starke Reaktion besteht dann darin, wenn Politiker vom Krieg sprechen. Wir sollten klug sein und uns davon fernhalten, denn Krieg heißt, dass man letzten Endes in die Logik von Sieg und Niederlage hineingerät. Es ist klug, wenn man im Auge behält, dass das eine Auseinandersetzung ist, die am Schluss darüber entschieden wird, wer die größere Zeit und die größere Gelassenheit hat. Das sind die strategischen Ressourcen in diesem Konflikt. Wer sich da zu sehr aufregt und sich selbst in ein hysterisches Gegenhandeln hineinredet, wird nicht erfolgreich sein.” Danke, lieber Herr Broder, für den scharfsinnigen Artikel!

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