Roger Letsch / 25.02.2017 / 19:00 / Foto: Uhanu / 5 / Seite ausdrucken

Zum Geburtstag von Karl May: Warum wir keine edlen Wilden sein dürfen

In meinem letzten Artikel bin ich über eine eigenartige Spaßbremsenaktion „Ich bin kein Plakat“ gestolpert: „Ich bin kein Kostüm“ heißt es  bei der Plakatkampagne in Köln. Haremsdame, Geisha, Othello…alles nicht witzig, alles diskriminierend, meinen die Plakatfinanzierer von der Moralfront".  Mittlerweile haben sich  auch andere Kritiker mit diesem Phänomen befasst.  Stefan Laurin geht bei den Ruhrbaronen auf den Aspekt der „kulturellen Aneignung“ ein und diagnostiziert bei den Initiatoren und Unterstützern der Aktion die letzten Zuckungen der Empörungsindustrie:

"Also eigentlich eine ganz wunderbare Sache: Menschen übernehmen von anderen traditionelle Kleidungsstücke, Gerichte oder Verhaltensweisen, mischen sie mit den eigenen, entdecken dabei neues, entwickeln sie weiter und haben ihren Spaß: Chinesen essen in Peking Weißwurst, aber natürlich mit Stäbchen. In Italien gibt es Spaghetti Würstel, unsere heutige Pizza kommt aus den USA... Man kann sich daran stören, wenn man dem Irrglauben anhängt, es gäbe so etwas wie eine stabile, ethnische Kultur, die seit Jahrhunderten bestand hat. Menschen waren immer im Austausch miteinander und haben sich ständig gegenseitig beeinflusst. Und klar: Vieles ist dabei unter gegangen. Ist das schlimm? Nein....Muss man sich jetzt Sorgen machen, dass wir in Zukunft häufiger mit solchen abstrusen Kampagnen belästigt werden? Ich glaube nicht. Wir erleben gerade das letzte Zucken der Empörungsindustrie."

Ich kann nur hoffen, dass er recht behält. Wobei ich einerseits seiner Diagnose einige Aspekte hinzufügen möchte, andererseits aber auch befürchte, dass das geistige Gift, welches von den Protagonisten der Empörungsindustrie nun schon seit einigen Jahren in die Köpfe der Menschen geträufelt wird, langsam zu wirken beginnt.

Wie es der Zufall so fügt, ist an diesem Wocheende  ausgerechnet der Geburtstag von Karl May (25.2.1842), dem literarischen Urvater der „kulturellen Aneignung“ in der Literatur im Sinne der Political Correctness. Geben wir dem feinen Herrn Schriftsteller mal zu kosten, das Wikipedia über diesen Begriff zu sagen hat:

„Kulturelle Aneignung (engl. cultural appropriation) ist ein Begriff aus der US-amerikanischen Critical Whiteness- Bewegung, die zur Reflexion von Macht- und Diskriminierungsverhältnissen aufgrund von Hautfarbe anregen will. Bei der kapitalistischen Aneignung werden traditionelle Gegenstände der materiellen Kultur verschiedener Ethnien zur Ware erklärt und ihres Kontextes beraubt.“

Karl May würde, weil er natürlich seine weißen Privilegien nicht checkt, antworten, dass er lediglich eine Phantasiewelt schaffen wollte, in der er sich selbst Heldengeschichten auf den Leib schreiben konnte. Er schrieb sich in eine Traumwelt, in der es klare Grenzen zwischen Gut und Böse gab – interessanterweise waren die Schurken in seinen Geschichten stets „kapitalistische Weiße“, die sich „traditionelle Gegenstände“ der Indianer aneignen wollten. Meist irgendein Schatz oder eben Land. Ansonsten waren die Geschichten frei von „materieller Kultur“, es ging vielmehr um Geschichten von Freundschaft, Verrat, Fortschritt und Traditionen, von Schurken und edlen Helden – und da keiner aus seinem Publikum damals den „Wilden Westen“ kannte und in der Lage gewesen wäre, Mays Geschichten zu verifizieren, boten sich als Plots Gegenden in Arabien oder Nordamerika geradezu an. Hätte er stattdessen über Abenteuer im Stadtrat von Radebeul geschrieben, wäre er als Schriftsteller sicher verhungert.

Cowboy- und Indianerkostüme sind eine direkte Folge von Karl May

Die lange und nicht nur deutsche Tradition, sich beim Fasching als Cowboy und Indianer zu verkleiden, ist eine direkte Folge der Geschichten von Karl May, nicht der Schlacht am „Little Big Horn“ oder dem Siegeszug des Kapitalismus über traditionelle Stammeskulturen im mittleren Westen der USA.

Die Initiatoren von „Ich bin kein Plakat“ machen sich übrigens nicht die Mühe, ihr Ansinnen durch eine fundierte Argumentation zu untermauern, die es vielleicht sogar auf sich nähme, Argumente der Gegenseite zu entkräften. Man belässt es bei der moralischen Ohrfeige, was der Aktion die geistige Tiefe der Erziehung von Welpen zur Stubenreinheit gibt. Ich musste jedoch nicht lange suchen, um doch noch belehrendes Material zu finden, denn in einer der Beschimpfungen als „rechtsbrauner Rassist“, die ich nach meinem Artikel bekam, war ein Link zu einem Artikel aus dem Jahr 2015 enthalten, der sich mit dem Thema „Fasching“ und „kulturelle Aneignung“ aus der elterlichen Erziehungsperspektive beschäftigte.

Wenn man den Text zur Gänze gelesen hat, bekommt man einen ziemlich erschreckenden Einblick in die Geisteswelt eines Menschen, der die Ideologien des Genderismus, des Antikapitalismus und der Political Correctness vollständig verinnerlicht hat, aber Quilts näht, die eben auch erst durch kulturelle Aneignung nach Deutschland kamen. Kreuzritter nähten ihre Wämser in dieser Technik, als sie sich das Heilige Land „kulturell aneigneten“. Ob das der Autorin bewusst ist? Jeder Nadelstich in der Patchworkdecke eine Bestätigung der kulturellen Aneignung, jeder Stich ein Stich ins eigene Herz. Für solche Fälle der Inkonsistenz des Weltbildes entwickelt man dann aber Erklärungsmuster zur Selbstvergewisserung, was das Leben am Ende leider komplizierter macht.

Wie Stefan Laurin schrieb, es könnte sich um die letzten Zuckungen eines überdrehten und mit Bedeutung künstlich aufgeladenen Ideologiemixes handeln. Denn dieses Milljöh, welches seine Kinder zu Binnen-I und Bindestrich-Existenzen erzieht und im Eine-Welt-Laden afrikanische Handwerkskunst verkauft (kulturelle Aneignung!), wird früher oder später von ihrer inkonsistenten Argumentationskette zerrissen. Wenn Sie wissen wollen, was ich damit ausdrücken möchte, lesen Sie den Kommentar von Sabine unter dem Ringelmiez-Artikel:

„Wenn es moralisch verwerflich ist, sich als Mitglied einer unterprivilegierten Gruppe zu verkleiden, darf sich ein Junge dann als Mädchen verkleiden? Einerseits haben Frauen immer noch weniger Privilegien als Männer, andererseits sind gegen geschlechtliche Verkleidungen auch ein Ausdruck einer gewissen Queerness und als solche vielleicht wert, nicht unterdrückt zu werden.“

Als Frau oder Transvestit darf Jan-Malte also zum Fasching gehen, als Indianer besser nicht. Die anschließende Diskussion zwischen Mutter und Kinde würde ich gern hören. Ich würde an Mamas Stelle aber nicht damit rechnen, dass Jan-Malte seine Mutter später im Pflegeheim besucht.

Und was machen wir mit dem Begriff der „kulturellen Aneignung“? Blickt man in die globalisierte Welt, ist dieser Begriff eigentlich positiv zu sehen. Wir machen uns im Detail gar nicht mehr klar, dass es gerade dieser Austausch ist, der die Entwicklung vorantreibt. Jede Banane oder Orange die wir essen, jeden Kaffee oder Tee, den wir trinken, jede Jeans, die ein Japaner in Tokyo trägt und jeder Computer, den wir benutzen. Wäre da nicht auch die wirklich dunkle Seite dieser Aneignung, bei der wie Wikipedia es beschreibt, die „Gegenstände ihres Kontextes beraubt werden“. Wenn etwa der nächste Attentäter mittels GoogleMaps sein Anschlagsziel findet oder mithilfe seines Smartphones eine Bombe zündet. Diesen Aspekt des Begriffes werden Sie übrigens weder bei Wikipedia noch bei den Quilts nähenden Ringelmiezen erklärt finden.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog Unbesorgt hier.

Foto: Von Uhanu Eigenes Werk, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Bernd Leber / 26.02.2017

Ein hoffnungsfroh stimmender Bericht von der alemannischen Fasnets-Front: am regionalen Straßenfasnachts-Highlight der Hochrhein-Region, der “Hoorige Mess” in Tiengen, bestand die überwiegende Zahl der Kostüme Ethno-Verkleidungen (Frage: sind Schottenröcke, bayrische Dirndl und Schwarzwälder Bollenhüte auch vom Bannstrahl der offenbar völlig enthemmten Anti-Ra betroffen? Und wenn nicht warum nicht??). Die gute Nachricht: die virtuelle Spaßbremser haben offenbar keinerlei Wirkung in der analogen Fasnachts-Welt. In diesem Sinne ein kräftiges “Hoorig” aus Tiengen.

Andreas Rochow / 26.02.2017

Man kann Ihnen, verehrter Roger Letsch, in ganzem Umfang recht geben. Dann ist es aber verwunderlich, wie Sie zu dem Euphemismus neigen, das geistige Gift der Empörungsindustrie würde in die Köpfe der Menschen “geträufelt” werden. Von Tropfen kann bei diesen immer lauteren moralischen Urteilen der Aktivisten eine unheimlichen Kulturrevolution längst nicht mehr die Rede sein. Mit Raffinesse, “Wissenschaft” und viel Steuergeld wird diese Bewegung gelenkt , Stimmung gemacht und von tagespolitischen Themen abgelenkt. Ich schäme mich übrigens dafür, dass ich mich in meiner Kindheit gern als einen Pirat mit Augenklappe, Holzbein, Holzgewehr, auch mal dunkelbrauner Gesichtsschminke, verkleidet habe. Die “Kultur” der Piraten haben sich mittlerweile Leute angeeignet, die der Empörungsindustrie eher nahestehen oder ihr gar angehören.

Peter Bruder / 26.02.2017

Kommt dabei nicht schlussendlich sowas wie “Ethnopluralismus” heraus?! Gilt das nur für Weisse oder sollten zB Afrodeutsche auch nicht mehr mit Krawatte etc. rumlaufen? Europäer in Bluejeans wäre dann doch auch fragwürdig..

Peter Hilgeland / 26.02.2017

Also, jetzt mal von ganz früher: Sich in der Kindheit als Indianer, Cowboy oder Trapper zu verkleiden bot schlicht die Gelegenheit in Rollen zu schlüpfen. “Gut” und “böse”, “richtig” oder “falsch”. Und wir fühlten uns “frei”, das zu tun, was wir wollten. Ohne (Helikopter-)Eltern. Und das gar auf verlassen Grundstücken oder in angrenzenden Waldflächen. Da ging´s nicht ums Gendern (und ja, Mädchen waren auch dabei und nicht wenige), sondern ums Austesten, es ging ums Spielen, ganz wörtlich. Man kann von Karl May halten, was man will, er war halt auf seine Art ein Spinner. Uns war allerdings schon damals klar, dass seine Geschichten eben nur Geschichten waren und mit der Realität nicht so viel am Hut hatten. Darum ging´s aber auch nicht. Was den Karneval (der Erwachsenen) anbelangt, (und was man auch davon halten mag), so haben wir es halt mit Karneval zu tun. Gibt es da wirklich Erklärungs- oder Deutungsbedarf? Ich denke nicht.    

Wilfried Cremer / 25.02.2017

Die Spirale des Wahnsinns dreht sich immer schneller. So wie am Rande eines schwarzen Lochs, das natürlich keiner sieht.

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