Ulli Kulke / 05.01.2018 / 06:29 / Foto: Pixabay / 36 / Seite ausdrucken

Volksempfinden wird Statistik – und die Medien gehen baden

Wer immer noch nicht versteht, warum eine Partei wie die AfD im Land so stark geworden ist, und warum ihr innere Querelen, rechtsextreme Kandidaten und peinliche Ausrutscher nichts anhaben können, der erlebt gerade jetzt, im neuen Jahr, wieder mal ein Lehrstück. Vor allem darüber, was die Medien im Land damit zu tun haben. Der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer hat in einer Studie den Zusammenhang von Gewaltkriminalität und Flüchtlingsströmen untersucht.
 
Damit bricht soeben ein bequemes, wohlfeiles Zerrbild in sich zusammen, das (okay, ein abgeschmacktes Bild, aber hier passt es) wie eine Monstranz im Diskurs über Flüchtlinge jahrelang hochgehalten wurde. Von allen. Weil es alle anderen ja auch taten. Und weil die Wahrheit ja auch so geklungen hätte, dass niemand sie aussprechen wollte. In welche Ecke wäre man denn da gerückt worden? Und: Sie hätte ja nur den Rechten geholfen. Jetzt wird sich herausstellen: Das Gegenteil ist der Fall. Die Rechten lachen sich ins Fäustchen – und zwar zu Recht, muss man in dem Fall hinzufügen.
 
Seit Beginn der Flüchtlingskrise galt es als heilige Weisheit, dass Flüchtlinge in keinem Fall überproportional an der Gewaltkriminalität im Land beteiligt sind. Niemals. Undenkbar, etwas anderes zur Kenntnis zu nehmen, oder dieses gar weiterzugeben. Niemand, keiner wagte es, das längst evidente auszusprechen, das Gegenteil nämlich. Das wachsende Problem dabei: Die Lebenswirklichkeit, die sich aus der täglichen Zeitungslektüre ergab, entfernte sich immer weiter von der in den Medien streng durchgehaltenen Linie, immer deutlicher. Jedenfalls in der Summe der Einzelfälle.

Seit mutige Zeitungen sich von den Vorgaben des Presserates emanzipierten und Vornamen und/oder die Herkunft von mutmaßlichen oder überführten Tätern nannten, wurde es – vor allem, wenn Stichwaffen im Spiel waren – immer absurder zu behaupten, dass die Kriminalitätsrate bei Migranten beziehungsweise Flüchtlingen kein Jota von denen der „Biodeutschen“ abweiche. Doch jede Feststellung in diese Richtung wurde als Rassismus abgetan.

Die Sache ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten

Unterschwellig sorgte diese Diskrepanz – die Ignoranz – für gewaltige, wachsende Wut, die sich nicht zuletzt und nachhaltig auf dem Stimmzettel niederschlug. Dennoch blieb der Zusammenhang unter dem Teppich, und war er auch noch so offensichtlich.

Den Widerspruch und die eklatante Summe von Einzelfällen zur Sprache zu bringen, hätte ja nach „gesundem Volksempfinden“ gerochen, das gegen die neutralen, wissenschaftlich untermauerten Fakten stehe. „Populismus“, „Rassismus“, „Fremdenfeindlichkeit“ – mit all dem wurde derjenige in Verbindung gebracht, der offen Zweifel angemeldet hatte. Gegen Statistiken, die längst auf tönernen Füßen standen.

Man darf gespannt sein, welche Konsequenzen die jetzt veröffentlichte Studie des niedersächsischen Kriminologen Christian Pfeiffer nach sich zieht. Pfeiffer hat ermittelt: Die Zahl der polizeilich registrierten Gewalttaten in Niedersachsen sei zwischen 2014 und 2016 um 10,4 Prozent gestiegen und zu 92,1 Prozent sei diese Zunahme Flüchtlingen zuzurechnen. Obwohl die Flüchtlinge für alles andere als einen zehnprozentigen Bevölkerungszuwachs gesorgt haben. Punkt. Das sind die Fakten.

Die Sache ist an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Es klingt blöd, aber es sieht jetzt ganz so aus, als würden die Fakten in dem Fall dem so sehr gescholtenen „gesunden Volksempfinden“ nachlaufen. Pfeiffer gehörte schließlich selbst zu denen, die jede Überproportionalität hierbei lange hartnäckig abstritten und damit manches Stirnrunzeln bewirkten. Doch diese Reihenfolge – vom Volksempfinden hin zur Statistik – ist nicht nur peinlich und lächerlich, als Treppenwitz abzutun. Sie ist katastrophal, sie riecht im Nachhinein nach hartnäckig aufrecht gehaltenen Fake News. Und sie wird in einer – ganz gewiss – sträflichen Art und Weise bestätigen, dass angebliche Weisheiten, nur weil sie ins gewollte gesellschaftliche Bild passen, genau das Gegenteil bewirken, wenn sie sich als falsch herausstellen.

Dies gilt ganz besonders dann, wenn der Irrtum längst augenscheinlich ist, er aber abgestritten wird – so wie es einst die Kirche mit der Erkenntnis tat, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Sie hat heute noch daran zu knabbern.

Daraus lernen? Die Medien zu allerletzt.

Dabei hätte man lernen können. Haben denn sämtliche gutmeinenden Autoren, Essayisten und Kommentatoren vergessen, wie schnell und mit welchen fatalen Wirkungen die Behauptung der Kölner Oberbürgermeisterin, es sei schlicht „unzulässig“, mit den sexuellen Massengrapschereien und Raubzügen zu Silvester 2015/16 auf der Domplatte womöglich Flüchtlinge in Verbindung zu bringen, komplett in sich zusammengebrochen ist?

Alle hatten ihre Aussage für bare Münze genommen, weil es ja auch so wohlig klang und es ja auch alle anderen nachplapperten. Doch dann war die Glaubwürdigkeit der Politikerin aus falsch verstandenem guten Willen über Nacht zusammengebrochen. Ein Schaden, der sich über mehrere Wahlgänge in ganz Deutschland dramatisch niedergeschlagen hat. Der immer noch nachwirkt, und sich jetzt mit den neuen Wahrheiten zusammen potenzieren wird. Offenbar kann und will niemand daraus lernen. Die Medien zu allerletzt.

Eines sollten gerade sie wissen: Der absehbare öffentliche Schaden wird sicher nicht dadurch zu begrenzen sein, indem jetzt nach halbgaren Entschuldigungen gesucht wird. Etwa nach der Lesart: Es seien eben alles junge Männer, die prügeln eben und stechen gern mit dem Messer, wie alle in dem Alter. Bei den Tätern habe sich eben Frust breit gemacht, weil sie hauptsächlich unter denen zu finden seien, die keine Bleibeperspektive haben. Und eigentlich seien ja wir selbst an allem schuld. Weil nämlich wir bei denen, die absehbar wieder ausreisen müssten, die Mami nicht nachkommen ließen, die die Kids natürlich auf den rechten Pfad gebracht hätte. Klar. Diese Argumente werden gewiss die Ängste und Zweifel in der Bevölkerung beschwichtigen, und vor allem die Wut.

Leute wie Boris Palmer werden an den Rand gedrängt

Was das alles heißt, welche Konsequenzen aus Pfeiffers Erkenntnissen zu ziehen sind, ist eine ganz andere Frage. Darüber kann man dann reden, wenn die Öffentlichkeit über die wahren Fakten und Zahlen informiert und nicht mehr verblendet wird. Nur so kann den übelsten Hetzern, vor allem jenseits der AfD, die im Grunde wollen, dass alles nur noch schlimmer wird, das Wasser abgegraben werden. Aber nicht durch Lebenslügen einer offenen Gesellschaft.

Niemand, der feststellt, dass unter Flüchtlingen die Kriminalitätsrate höher ist, stellt nur deshalb einen Generalverdacht gegen alle, die aus dem Nahen Osten oder Afrika zu uns kommen. Diese Gleichsetzung ist – in dem Fall wirklich – unzulässig. Und sie ist allzu durchsichtig, wenn sie als Argument gegen die Wahrheit ins Feld geführt wird. Es gibt keinen Grund, Wahrscheinlichkeiten und Disproportionalitäten zu negieren. Wer sie als Rassismus abtut, spielt ein falsches Spiel. Und wer solche Ignoranz auch von der Polizei einfordert, der behindert sie bei der Arbeit.

Solche Wahrscheinlichkeiten müssen und dürfen auch niemand an einem friedlichen Zusammenleben mit Flüchtlingen und anderen Migranten hindern. Die Augen vor ihnen zu verschließen, verhindert das Gelingen einer sinnvollen Einwanderungspolitik. Wer übrigens genau hinhört, findet mit die lautesten Klagen gegen gewaltbereite und kriminelle Ausländer bei den hier lebenden Ausländern selbst.

Manchen aus dem für selektive Wahrnehmung im Sinne des Guten besonders anfälligen linksgrünen Lager könnte es ja zu denken geben, dass einer von ihnen, der grüne Oberbürgermeister Tübingens, Boris Palmer, hierbei in letzter Zeit besonders lautstark den Realismus einklagt. Zu befürchten ist allerdings, dass Menschen wie Palmer an den Rand gedrängt werden.

Doch dann sollte sich niemand mehr beklagen über die Spaltung der Gesellschaft. Schon gar nicht in billigen Neujahrsansprachen.

Foto: Pixabay

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Gisela Tiedt / 05.01.2018

Man wird erst mal versuchen, weiter zu lügen. Weil, so schließt man messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf. Danke, Christian Morgenstern. Sogar “messerscharf” passt.

Tom Hess / 05.01.2018

Man muss der Linken echtes Lob aussprechen. Denn dieses Gutachten ist geschickt. Und Sie sind ihm auf den Leim gegangen. Dieses “Gutachten” ist nur der Weg zu noch mehr Migration (Nachzug von Familienangehörigen, denn die jungen Männer sind so einsam) und Legalisierung von Migranten aus Staaten, für die es keinen Asylgrund gibt (Nordafrikaner werden nur kriminell, weil sie keine legale Perspektive haben). Von wegen, die Linke kann nix. Das war echt ein geschickter Schachzug. Und die haöbe Republik wirds ihr abkaufen

Karl Rudolf / 05.01.2018

Vermutlich ist es ein Merkmal einer Demokratie, dass negative Entwicklungen erst dann korrigiert werden, wenn deren (negative) Auswirkungen eine Mehrzahl der Wähler direkt und persönlich betreffen. Wenn es so ist (was ich befürchte) dann muss eigentlich jemand, der so eine Entwicklung möglichst schnell korrigieren will, hoffen, dass die negativen Auswirkungen sich möglichst schnell verbreiten. Es muss erst viel schlimmer werden, bevor es sich bessert. Ich fürchte, genau so ist die Realität, leider.

Rudolf George / 05.01.2018

Ich wundere mich schon lange über all jene in den sich seriös wähnenden Medien, die sich gutmeinend dem Kampf gegen Rechts verschrieben haben und zu diesem Zweck ihre Berichterstattung danach ausgerichtet haben, niemals etwas zu melden, das „den Rechten nützen könnte“. Glauben sie wirklich, dass sie die Wirklichkeit außer Kraft setzen können? Noch wichtiger: erkennen sie nicht, dass sie genau jenen Kräften, die sie bekämpfen wollen, Legitimität und Glaubwürdigkeit verleihen, da letztere sich als Verkünder der „unterdrückten Wahrheit“ aufspielen können? Mir scheint, dass zu viele in den etablierten Medien die einfache Weisheit vergessen haben, dass wer versucht andere zu täuschen, am Ende selbst das Opfer der Täuschung sein wird, gerade und vor allem, wenn man glaubt im Sinne einer guten Sache zu handeln.

Andreas Günther / 05.01.2018

Erschreckend ist aber, dass bei der Bundestagswahl nur 12,6 % der Wähler durch ihr „gesundes Volksempfinden“ veranlaßt wurden, ihr Wahlverhalten entsprechend auszurichten. Die anderen haben „weiter so“ gewählt. Ich bin Patriot in einem Land, das es so nicht mehr zu geben scheint. Wachen die anderen irgendwann einmal auf? Ich habe nicht viel Hoffnung, denn die meisten üben sich in Diskursverweigerung.

Michael Himpelmann / 05.01.2018

...und genau (unter vielem Anderem) deshalb ist der Begriff “Lügenpresse” für unsere Staatsmedien überaus zutreffend!

Robert Krauthausen / 05.01.2018

Wenn es denn noch echte, ideologiefreie Journalisten, gerade bei den Öffentlich-Rechtlichen, geben würde, dann hätte man längst mal drei Fragen näher erläutert, die das Volk bestimmt interessieren würde: 1. Was ist der Unterschied zwischen einem Bürgerkrieg in Syrien oder dem Irak und dem damals in Bosnien? Wieso konnten damals nach Ende der Kämpfe nahezu alle Bosnier wieder in ihre zerstörte Heimat problemlos zurückgeschickt werden und heute ist nicht einmal ein Hauch einer Rückkehrdiskussion im Gange, nicht mal beim Irak, obwohl der IS dort als endgültig vertrieben ausgerufen wurde und der Ministerpräsident seine Landsleute im Ausland zur Rückkehr aufgefordert hat? 2. Warum erklärt man nicht mal klipp und klar, was denn jetzt beispielsweise zukünftig mit anerkannten syrischen und irakischen Asylbewerbern geschieht, die auch schon den Familiennachzug erreicht haben? Laufen die jetzt alle – je länger sie hierbleiben – automatisch in eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung hinein, sodass wir sie nie mehr loswerden, egal wie sie hier individuell integrierbar sind? 3. Warum wurden eigentlich Asylanten aus Eritrea – gerade zu Beginn der Flüchtlingskrise – so bevorzugt von den Medien behandelt? Dort ist überhaupt kein Krieg, Teile der Haupstadt wurden gerade zum Weltkulturerbe erklärt, ausländische Reporter können von dort durchaus stressfrei berichten und manche Einwohner vergleichen ihr Land eher mit Kuba als mit Nordkorea. Unsere Mainstream-Medien haben uns in den letzten Jahren so dermaßen hinters Licht geführt, dass selbst wohlmeinende Leser und Zuschauer jeden journalistischen Stein umdrehen und diesen Geist werden die Medien auch nicht mehr in die Flasche zurückbekommen.

Carlos Permann / 05.01.2018

Herr Pfeiffers Äußerungen sind schon interessant, vor allem wenn man bedenkt, dass er noch vor wenigen Wochen in Interviews, das was er nun sagt, vehement abgestritten und geleugnet hat…..

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Ulli Kulke / 24.02.2024 / 06:05 / 119

Herr Fratzscher fühlt sich nicht wohl

Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hat ein Interview gegeben und erzählt zum Thema Migration unglaublich dummes Zeug. Präsident Marcel Fratzscher und sein…/ mehr

Ulli Kulke / 20.02.2024 / 06:00 / 77

Als die Grünen jenseits der Brandmauer saßen

Der neueste Hit gegen die AfD heißt: Zielführendes Regierungshandeln, etwa in der Migrationspolitik, nutze nur der radikalen Opposition! Hätte man sich früher daran gehalten, gäbe…/ mehr

Ulli Kulke / 23.01.2024 / 06:00 / 208

Wem helfen die Massen-Demonstrationen?

Es gibt Massendemonstrationen „gegen rechts". „Wir sind mehr“, stand auf den hochgehaltenen Spruchbändern. Aber repräsentieren sie alle wirklich die Mehrheit der 81 Millionen Deutschen? Was erreichen…/ mehr

Ulli Kulke / 30.11.2023 / 12:00 / 45

Beim Thema Klimawandel kühlen Kopf bewahren

Heute beginnt die Weltklimakonferenz in Dubai. Ein guter Anlass, das Buch „Der Mensch-Klima-Komplex“ vorzustellen. Der Autor Hans von Storch ist Insider, hat selbst an Berichten des UN-Klimarates IPCC…/ mehr

Ulli Kulke / 22.11.2023 / 06:00 / 70

Kein EU-Verbot von Glyphosat

Harte Zeiten dürften auf Cem Özdemir zukommen. Die EU hat ihm – und seiner grünen Partei – nicht wie erhofft den Gefallen getan, dem in…/ mehr

Ulli Kulke / 27.09.2023 / 06:15 / 59

Gendern in Thüringen: Große Mehrheit dagegen, CDU traut sich selbst nicht

Demokratie Paradox in Thüringen, mal wieder. Was zählt Volkes Stimme, was soll sie zählen? Vor allem aber: Was darf sie zählen – und was darf…/ mehr

Ulli Kulke / 16.09.2023 / 06:15 / 81

Die Sirenen der Brandmauer-Profiteure

Warum reagieren die linken Parteien so hysterisch auf ein mit CDU, AfD und FDP-Mehrheit beschlossenes Gesetz in Thüringen? Ganz einfach: Sie – vor allem die Grünen…/ mehr

Ulli Kulke / 23.08.2023 / 06:00 / 43

Die Zwei im irren Germanistan

Henryk M. Broder und Reinhard Mohr liefern in ihrem neuen Buch „Durchs irre Germanistan. Notizen aus der Ampel-Republik“ eine Momentaufnahme des Öffentlichen Raums zur Halbzeit…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com