Vera Lengsfeld / 04.01.2009 / 22:08 / 0 / Seite ausdrucken

Vierter Januar 1989/2009

Vor zwanzig Jahren geriet in der BRD der damalige Minister Haussmann (FDP)bei Tempo 160 auf Blitzeis ins Schleudern. Ähnlich verantwortungslos waren heute manche Fahrer auf der A 9 bei dichtem Schneetreiben und eisglatter Fahrbahn unterwegs. Die Übrigen krochen streckenweise unter 60 km/h über die Autobahn. Ich kroch mit und kam heil in Berlin an, weil glücklicherweise keiner der Raser neben mir ins Rutschen geriet.
Während das Neue Deutschland ungerührt titelte „ Kollektive im Wettbewerb zum Wohle des Volkes“ und damit signalisieren wollte, dass sich in der heilen sozialistischen Welt nichts ändert, waren die Journalisten-Kollegen jenseits der Oder-Neiße- Friedensgrenze schon viel näher an der Realität. Die Wochenzeitung der Polnischen Kommunistischen Partei „Polytika“ interviewte erstmals den Vorsitzenden der verbotenen Gewerkschaft „Solidarnocs“ Lech Walensa. Das war eine offizielle Anerkennung des Einflusses, den die Gewerkschaft und ihre Anhänger trotz der Repressalien während des Kriegsrechts gewonnen hatten. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass die polnische Solidanocs ebenso gestärkt aus dem Kriegsrecht hervorging, wie seinerzeit die deutschen Sozialdemokraten aus den Verfolgungen des Sozialistengesetztes. Das Interview von Walensa wirkte weit über Polen hinaus Der Text wurde übersetzt und in vielen Ländern des Warschauer Paktes verbreitet. Anders als viele friedensbewegte Oppositionelle der DDR ließ sich Walensa niemals auf eine pauschale Verdammung des Nato-Doppelbeschlusses ein, sondern . er formulierte als Ziel von Solidarnosc klar eine rechtsstaatliche Demokratie, keinen verbesserten Sozialismus. Der entschiedene Antikommunismus der Solidarnocs verwirrte etliche Bürgerrechtler. Gleichzeitig half das polnische Vorbild über manche Zögerlichkeiten der DDR-Oppositionsbewegung hinweg. Die SED erkannte sehr genau, welche Gefahr ihr aus dem Nachbarland drohte.
Ihr Zentralorgan das „Neue Deutschland“ scheute sich nicht,  offene Hetze gegen die Polen zu betreiben, die nur in die DDR kämen, um den Bürgern alles wegzukaufen. So wurden aus Sicht der SED zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die polnischen Nachbarn wurden diskreditiert und zum Sündenbock für die immer häufiger auftretenden Versorgungsmängel der späten 80er Jahre gemacht.
Geholfen hat das freilich nicht viel. In der Herbstrevolution orientierten sich die in schneller Folge gegründeten Bürgerrechtsparteien der DDR an den Aktionen der polnischen Oppositionellen. Nach deren Vorbild riefen sie den „Runden Tisch“ ins Leben, der die letzten Tage der SED-Regierung begleitete und auf dessen Beschluss die ersten und letzten freien Volkskammerwahlen stattfanden.

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