Udo Pollmer / 08.01.2007 / 20:20 / 0 / Seite ausdrucken

Verändert Fastfood die Esskultur?

Ich habe mich mit der Heilbronner Stimme im McDonald’s an der örtlichen Autobahn getroffen und über Klischees, vorschnelle Urteile und den Film „Supersize me“ unterhalten. Hier das Ergebnis….

Heilbronner Stimme:
Der Mc Donald‘s in Fürfeld ist so gut wie immer voll - und das nicht nur wegen der Gäste, die von der Autobahn kommen. Wird Fürfelds Esskultur zur Fresskultur?

Udo Pollmer:
Davon, dass irgendwo auf freiem Feld ein Restaurant aufmacht, geht die Esskultur nicht unter. Früher fürchtete man einen Verfall der Sitten, wenn ein Freibad eröffnet wurde…

HS:
Aber es gibt Eltern, die es stört. Dass ihre Kinder hier mehr Zeit verbringen als am Esstisch daheim.

Pollmer:
Wenn man sich hier umschaut, sieht man, dass die allermeisten Kinder mit ihren Eltern da sind. Außerdem müssen auch Kinder an der Kasse bezahlen. Wo haben sie bloß das Geld her, um sich hier Tag für Tag zu verköstigen? Und was würden sie sonst damit machen? Müsli kaufen?

HS:
Was gefällt den Kindern so sehr an McDonald’s?

Pollmer:
Kinder werden hier als vollwertige Kunden akzeptiert. Und es ist ein Essen, das Kinder mögen. Vielleicht schmeckt es ihnen ja besser als die aufgewärmten Fertiggerichte aus der heimischen Kühltruhe.

HS:
Das ist aber pauschal.

Pollmer:
Mag sein, aber dies kommt viel häufiger vor, als man denkt. Wenn Sie in ein gutbürgerliches Restaurant gehen, bekommen Sie dort doch auch tiefgekühlte Fertigmenüs aus der Fabrik, die in der Mikrowelle „frisch zubereitet“ wurden. Und in der Spitzengastronomie, die mit den diversen Sternen, greift man zu Fertigprodukten, die mit der Sous-vide-Technik vorproduziert sind. Was soll diese ganze Heuchelei? Bloß weil die Fastfood-Etablissements keinen Hehl daraus machen, glauben sich manche Menschen moralisch darüber erheben zu dürfen.

HS:
Es gibt Leute, die empfinden es als verwerflich, wenn Eltern mit ihren Kindern zum Mc Donald gehen.

Pollmer: Vor mir aus. Es gibt auch Sekten, die feiern mit ihren Kindern nicht Weihnachten. Die Frage ist doch nicht, ob die Industrie Lebensmittel herstellen darf oder nur die Hausfrau sondern: Wie muß ich die Produkte herstellen, damit was anständiges bei rauskommt? Es geht doch heute auch niemand mehr her, braut Bier selber, betreibt in der Küche eine Versuchskäserei und schlachtet im Schlafzimmer hin und wieder ein Schwein, um Leberpastete goutieren zu können.

HS:
Aber man kann ja wohl sagen: Wenn ich drei Wochen in ein bürgerliches Restaurant gehe, stehe ich am Ende besser da als Morgan Spurlock in seinem fastfoodkritischen Film „Supersize Me“.

Pollmer:
Dieser Bursche ist ja ein kurioser Vogel. Er behauptet, er habe mit dem Fastfood besagter Firma innerhalb von 30 Tagen zwölf Kilo zugenommen. Das bedeutet eine Mastleistung von 400 Gramm am Tag. Das schafft ein frohwüchsiges Bioschwein, aber kein ausgewachsener Amerikaner. Das geht allenfalls mit Anabolika. Die haben aber zwei unangenehme Nebenwirkungen: Sie machen impotent und ruinieren die Leber. Genau das ist dem Herren passiert. Würde man von McDonalds impotent, wären die Amis längst ausgestorben.

HS:
Aber wenn man das im Film sieht, wirkt das halt sehr glaubwürdig

Pollmer:
Ja. Ich warte auf die Zeit, in der man im Biologieunterricht Riesenaffen behandelt, nur weil der Lehrer „King Kong“ gesehen hat.

HS:
Ist es etwa ein Vorurteil, dass zu viel Mc Donald‘s ungesund ist?

Pollmer:
Wir teilen heute die Welt in Gesund und Ungesund ein. Meist nach einem sehr einfachen Prinzip: Wenn Kinder etwas mögen, ist es ungesund. Wenn sie es nicht mögen, ist es gesund. Essen sie gerne Pizza, dann ist sie ungesund. Ich habe mir mal den Spaß gemacht und überprüft, welche Studien sich mit dem Verzehr von Pizzen und dem Gesundheitszustand der Kundschaft befaßt haben. Insgesamt gibt es deren drei. Keine fand irgendetwas Verdächtiges. Bei einer kam sogar heraus, das viele Pizzen den besten bisher bekannten Schutz vor Herzinfarkt darstellen. Zumindest statistisch. Da wird selbst die Diätmargarine blaß.

HS:
Kommt es vielleicht nur auf das richtige Maß an?

Pollmer:
Es kommt auf die Qualität an. Menschen sind sehr unterschiedlich, und sie haben nicht nur unterschiedliche Schuhgrößen, sondern auch Verdauungstrakte. Es kann kein Lebensmittel geben, dass für alle gesund ist. Damit eine Kost gesund sein kann, muss sie bekömmlich sein. Einfach weil eine unbekömmliche Kost nicht gesund sein kann.

HS:
Im Umkehrschluss: Isst ein Jugendlicher 20 Burger, weil es ihm schmeckt, ist das etwa gesund?

Pollmer:
Naja. Mit 20 Burgern können sie fast im Zirkus auftreten. Zeigen Sie mir die Jugendlichen mal, das schafft keiner. Nebenbei bemerkt handelt es sich bei einem Burger um Hackfleisch mit einem vorproduzierten Brötchen. Früher hieß das Boulette – Hack mit altem Brötchen. Beim Burger hängt halt noch ein ein lästiges Salatblatt drin. Wenn einer glaubt, dass hausgemachte Klopse gesund sind, kommt er nicht umhin zu sagen: Es können auch Burger okay sein. Wenn die vorproduzierten schlechter sein sollen, brauch ich dafür Belege. Ich hab ja vor zwei Jahrzehnten selbst gegen den Verfall der Eßkultur durch eben diese Firma gewettert.

HS:
Und warum hat sich das geändert?

Pollmer:
Inzwischen bin ich etwas bescheidener geworden. Denn irgendwann ist man für seine Aussagen beweispflichtig. Genau diese Beweise habe ich bisher – auch bei kritischer Durchsicht der Datenlage – nicht gefunden. Das bedeutet keinen Freispruch erster Klasse. Es ist ein Freispruch mangels Beweises. Dies ist nicht für McDonalds eine Blamage sondern für die Experten und Besserwisser.

Erschienen in der Heilbronner Stimme, 3. Januar 2007, Seite 29

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