Oliver Zimski / 04.02.2017 / 06:15 / Foto: Koetjuh / 14 / Seite ausdrucken

Unter der Käseglocke im La-La-Land

Im Hollywood-Klassiker „Truman-Show“ beginnt das Erwachen des gleichnamigen Protagonisten aus seiner künstlich heilen Welt damit, dass sich eines Tages aus dem falschen Himmel ein Scheinwerfer löst und ihm vor die Füße kracht. Obwohl es Truman bisher in seinem rundum betreuten Leben an nichts zu mangeln schien, gibt er keine Ruhe, bis er das Lügengebäude um sich herum zertrümmert und die schmerzhafte Wahrheit herausgefunden hat. Doch in der Realität sind nicht alle Menschen so mutig wie Truman.

Im Jahr 1943 erhielt mein Großvater, der wegen einer Gehbehinderung nicht kriegstauglich war, Besuch von seinem Schulfreund Karl. Dieser kam auf Heimaturlaub von der Ostfront und hatte beunruhigende Neuigkeiten mitgebracht, die er Großvater nur im Flüsterton mitzuteilen wagte: Dort weit hinten im Osten würden systematisch Juden umgebracht, durch Massenerschießungen und Gas, und zwar von „Unseren“. Da schlug mein Großvater auf den Tisch und rief Karl ein donnerndes „Nein!“ entgegen: „So viel Schlechtigkeit gibt es nicht! Nein, das will ich nicht hören!“

Seitdem sind fast 74 Jahre vergangen. Großvater ist längst tot, ebenso wie Großmutter, die mir als Jugendlichem, nachdem ich intensiv gebohrt hatte, diese Episode aus unserer Familiengeschichte berichtete. Dabei waren die Großeltern keine Nazis gewesen, sondern normale Bürger, Mitläufer wie Millionen andere, Mitschwimmer im damaligen Mainstream. Ihr Bestreben war, sich selbst und die eigene Familie heil durch Krieg und Diktatur zu bringen. Wozu auch gehörte, nicht zu viel zu wissen von Dingen, die nicht nur das eigene Gewissen belasteten, sondern einen schlimmstenfalls auch den Kopf kosten konnten. Dass Juden „abgeholt“ wurden, war allgemein bekannt; was danach mit ihnen geschah, wollte man lieber nicht erfahren. Das war die unsichtbare Wand. Jeder wusste, wo sie verlief und dass man sein Leben riskierte, wenn man sie durchschritt.

Die unsichtbare Wand überragte die Mauer zwischen Ost und West

In den achtziger Jahren teilte die unsichtbare Wand verfeindete Lager voneinander. Ich selbst erlebte sie erstmals als junger Student an West-Berliner Hochschulen. Zwar fühlte ich „links“, hatte aber enge Freunde in der DDR, die ich regelmäßig besuchte, und war so naiv, bei politischen Diskussionen von den Schwierigkeiten einer solchen mauerübergreifenden Freundschaft zu erzählen. Doch von Zwangsumtausch, Stasi-Spitzeln, gescheiterten Fluchtversuchen oder gar den menschenverachtenden Zuständen in DDR-Gefängnissen wollte niemand etwas hören. Alt-68er-Dozenten würgten das Thema mit ekelverzerrter Miene ab, als wäre ich von einer ansteckenden Krankheit befallen. Auch die meisten Kommilitonen winkten ab. „Wir kehren besser vor der eigenen Tür, bevor wir die Situation in anderen Ländern kritisieren.“ So sprachen sie über das, was wenige Kilometer von ihnen entfernt geschah. Dass sie sich gleichzeitig für Nikaragua und Südafrika engagierten, war für sie kein Widerspruch, denn die dortigen Konflikte passten ja ins vertraute Rechts-Links-Schema: „US-Imperialismus“ und Apartheidsystem auf der einen, unterdrückte Massen auf der anderen Seite.

Die unsichtbare Wand überragte die Mauer zwischen Ost- und West-Berlin. Über die DDR und die Verhältnisse im gesamten Ostblock wollten ausgerechnet die nicht reden, die sich selbst als aufgeklärte, kritische Intellektuelle empfanden. Sie schwiegen auch zu Polen, obwohl sich dort die Arbeiterklasse in Gestalt der Gewerkschaft Solidarność gegen die Herrschenden erhoben hatte, wie aus dem kommunistischen Lehrbuch. Aber nein, weil die Springer-Presse darüber schrieb, waren das alles „rechte“ Themen und damit tabu. Wer sie dennoch ansprach, spielte „Reaktionären“ und „Ewiggestrigen“ in die Hände, störte Entspannungspolitik und friedliche Koexistenz.

Viele Angehörige der politischen und medialen Eliten und mit ihnen große Teile der westdeutschen Bevölkerung hatten es sich hinter der unsichtbaren Wand bequem gemacht und wurden daher von der politischen Wende in der DDR, die zum Fall der Mauer und zur deutschen Wiedervereinigung führte, total überrascht. Ihre Ignoranz und das Ausblenden von Fakten, die nicht ins eigene Weltbild passten, verhinderten, dass sie sich auf die politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen einstellen konnten.

Die Rollen von Gut und Böse eindeutig verteilt

Fast 30 Jahre später reicht die unsichtbare Wand höher denn je, wölbt sich schützend über denjenigen, die noch immer ihr schlichtes, dichotomisches Weltbild mit einem „fortschrittlichen“ Anspruch verbinden. Unter der geschlossenen Käseglocke der politischen Korrektheit sind die Rollen von Gut und Böse eindeutig verteilt. Der US-Präsident mit der blonden Tolle ist der neue Hitler. Flüchtlinge und Migranten sind eine Art moderner Engelwesen, die den alten weißen heterosexuellen Männern deren historische Schuld ins Bewusstsein rufen. Islam bedeutet Frieden, und die weltweit diskriminierten und verfolgten Muslime sind die neuen Juden. Alle guten Menschen, egal welcher Herkunft, Kultur und Religion, könnten permanente Multikulti-Feste feiern, wenn sich nicht dumpfe Nazis und Pegida-Deutsche wie Zombies aus ihren muffigen Gräbern erheben würden.

Derart plätschert der Mainstream dahin, angetrieben von Politikern, Kirchenführern, Medienschaffenden und Künstlern. Seitdem Angela Merkel vor anderthalb Jahren die Weichen in Richtung unkontrollierte Massenzuwanderung gestellt hat, frönen auch bis dahin unpolitische Menschen kritiklos der linksextremistischen „No border – no nation“-Ideologie: keine Grenzen oder Kontrollen mehr im La-La-Land, kein Mensch ist illegal (außer Rassisten und Rechtspopulisten)! Da fühlt sich auch der letzte Spießer endlich „weltoffen“. Die Konsequenzen dieser Ideologie – eine Verlagerung der äußeren Grenzkontrollen bis auf die letzte Dorfkirmes, das endgültige Auseinanderbrechen jedes gesellschaftlichen Zusammenhalts – überblickt er nicht. Doch auch wenn er Grenzen jeder Art für überholt hält – den Verlauf der unsichtbaren Wand respektiert der links angehauchte Spießbürger unbedingt, hält sich peinlich genau an ihren Verlauf: bloß nichts Unkorrektes sagen, nur keinen Beifall von der falschen Seite, immer schön im Hauptstrom bleiben!

Sie wollen nicht raus aus ihrer „Truman-Show“

Seltsamerweise reagieren viele von denen, die schon damals den Blick über die Mauer scheuten, weil die dort vorgefundenen unangenehmen Wahrheiten ihr Weltbild bedroht hätten, heute ähnlich „verstört“, wenn sie etwa mit Kritik am Islam konfrontiert werden. Von der Christenverfolgung in islamischen Ländern wissen sie nichts und wollen sie nichts wissen. Dass Einwanderung ohne klare Regeln schwerste soziale Verwerfungen nach sich zieht; dass die muslimische Massenmigration viele problematische Seiten hat; dass die islamistische Gewalt im Koran angelegt sein könnte, wegen der Verachtung der „Ungläubigen“ und des Verbotes der Apostasie – „Nein, soviel Schlechtigkeit gibt es nicht! Nein, das will ich nicht hören!“ Sie wollen partout nicht herausgerissen werden aus ihrer „Truman-Show“.

So schließt sich der Kreis der Generationen. Die Enkel, die alles anders machen wollten als ihre Großväter, die glauben, auf der sicheren Seite zu sein, nur weil sie nicht „rechts“ sind, erweisen sich als ähnlich verführbar und in die eigenen Lebenslügen verstrickt, als ähnliche Mitläufer, als ähnlich blind und taub für unangenehme Wahrheiten. Einen Unterschied gibt es allerdings: Unsere Großvätergeneration hätte Widerstand leisten müssen unter den Bedingungen einer Diktatur, die nicht zögerte, Menschen wegen eines politischen Witzes erschießen zu lassen. Das Risiko der Enkelgeneration beim Durchschreiten der unsichtbaren Wand ist ungleich geringer: es erforderte lediglich ein wenig Zivilcourage, nicht mit der Herde mitzublöken, der eigenen Wahrnehmung zu trauen und das eigene Denken zu aktivieren.

Oliver Zimski ist Übersetzer, Sozialarbeiter und Autor. 2015 erschien sein KriminalromanWiosna – tödlicher Frühling“.

Foto: Koetjuh via Wikimedia

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Bengt Quade / 05.02.2017

... sehr gut beobachtet! Und so lässt sich auch erklären, warum man immer wieder auf junge Menschen trifft - vorwiegend Studenten, die das historische Ereignis nicht selbst miterlebten - die in Bezug auf die Wiedervereinigung von “Flüchtlingen” sprechen. Ich habe selbst 18 Jahre meines Lebens in der DDR verbracht und mein Leben riskiert, diesem Unrechtssystem zu entkommen und kann solchen wohlstandsverwahrlosten Spinnern nur vor die Füße spucken. Menschen, denen quasi über Nacht eine Mauer vor die Nase gesetzt wurde, die man hinter Beton und Stacheldraht einsperrte und die Freiheit nahm, deren Familien plötzlich getrennt in zwei unterschiedlichen Welten leben sollten, deren Pech es nur war, sich zu diesem Zeitpunkt auf der falschen Seite aufzuhalten - diese Millionen Ostdeutschen werden von den verzogenen Schreikindern verhöhnt. Und noch etwas: Viele werden es selbst schon erlebt haben. Das Denunziantentum, das wir jetzt erleben “dürfen”, übertrifft bei weitem alles, was es während der Nazi-Diktatur und unter der Stasi gegeben hat. Interessanterweise mahnen gerade diejenigen am lautesten, dass man aus der Geschichte lernen sollte, die taub und blind durchs Leben trampeln.

Elmar Schlürscheid / 05.02.2017

Gratulation Herr Zimski, auch ich war Sozialarbeiter, bis mir die Augen aufgingen. Warum soll der Bürger nachdenken? In der Trumanshow ist es doch so schön bunt, und die deutschen Autos glänzen doch so toll.

Dr. Axel Robert Göhring / 05.02.2017

Volltreffer, versenkt. Das ist die beste Beschreibung für den derzeit andauernden Zustand der politischen Korrektheit. Wären unsere pseudointellektuellen Eliten nicht derart verbohrt und ideologisch, wären die Grenzen längst dicht und die Millionen falscher Flüchtlinge einschließlich der Vergewaltiger, Sozialkriminellen und IS-Fans auf dem Heimweg. Wohlgemerkt: Nur die Eliten, vielleicht 20% der wohlgenährten deutschen Bevölkerung sind so. Aber die sitzen leider am Hebel. Was muß passieren, damit sie aus ihrer Truman-Show aufwachen? Es muß ihnen selbst immer mehr passieren. Ich fürchte, es braucht noch Hunderte oder Tausende von Terror-Toten, bis es so weit ist.

sepp-michael Drescher / 05.02.2017

Die altachtundsechziger sind eben selbsternannte intellektuelle und bei diesen Themen wird es sichtbar

Karl Mallinger / 05.02.2017

Man kann über das Trump-Dekret die Muslime betreffend sicher streiten, aber NIRGENDWO sind Andersgläubige und Andersdenkende solcher Verfolgung ausgesetzt wie im islamischen Kulturkreis. In mehrheitlich islamischen Ländern muss man sogar mit seiner Ermordung rechnen, nur(!), weil man vom Islam zum Christentum konvertiert ist, solche Morddrohungen gegenüber Konvertiten vom Islam zum Christentum gibt es sogar in westlichen Ländern. Die “goldene Regel”, nämlich genau die gleiche Toleranz zu zeigen, die man umgekehrt erwartet, scheint kaum irgendwo so wenig verbreitet zu sein wie bei Muslimen. Und TROTZDEM sollen Muslime immer nur die “Opfer” sein? Dieses ewige jammernde Selbstmitleid der Muslime kann einem schon auf die Nerven gehen. Warum wohl betrifft das Trump-Dekret denn nicht Buddhisten,  Hindus, Schintoisten oder Konfuzianer? DAS sollten sich Muslime mal fragen.

Roland Schmiermund / 04.02.2017

Voll aufs Auge! Genauso ist es.

Rene Kulmer / 04.02.2017

Einfach ein perfekter Artikel! Ich hatte beim durchlesen wirklich höchste Gefühle des Verstandenwerdens und mehrmals zu mir selbst gesagt: Ja genau so sehe ich es auch. PS: Ich bin übrigens kein Konservativer, sehe die Probleme aber genau so. Ich denke es sollten einige Leute einmal darüber nachdenken warum dies so ist.

Dr. Andreas Dumm / 04.02.2017

Von Ihren stets lesenswerten Beiträgen, Herr Zimski, ist dieser hier m. E. der beste. Die Gründe: Der Treffer ins “Schwarze” (der deutschen Seele) wird auf zwei Seiten Text sowohl umfassend als auch prägnant, dabei einfühlsam, glaubwürdig und überzeugend gelandet. Das ist eine hohe Kunst, die nur wenige beherrschen. Denn das Problem in jedwedem (Streit-) Gespräch zu den brennenden Fragen dieser Zeit (und besonders in Deutschland) besteht vor allem darin, dass nur wenige sich über ihren Bezugsrahmen - und den womöglich anders gearteten Bezugsrahmen des Gesprächspartners - im klaren sind. Man muss einfach wissen: Das Unrealistische kommt heute stets als “das (alternativlos) Gute” daher, welches es einhüllt und schützt wie ein dick wattierter Wintermantel. Die Kritik an der Realitätsferne wird dann als Angriff auf das Gute interpretiert und verpufft, während der Kritiker sich ins gesellschaftliche Abseits befördert. Fortan gilt er als Sympathisant des Bösen. Ist doch logisch, oder?

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