Walter Krämer / 30.06.2017 / 15:31 / 3 / Seite ausdrucken

Unstatistik des Monats: Mehr Parkinson durch fettarme Milchprodukte

Die Unstatistik Juni ist die Warnung, dass die als gesund gelobte fettarme Milch und der magere Joghurt das Risiko erhöhen, an der Parkinson-Krankheit zu erkranken. So berichtet web.de über zwei Beobachtungsstudien in der Fachzeitschrift Neurology: „Unter den Personen, die drei oder mehr Portionen fettreduzierter Milchprodukte pro Tag konsumiert haben, war die Rate derer, die die Nervenkrankheit Parkinson entwickelten, 34 Prozent höher.“ Auch bei einer Portion täglich sei das Risiko „merkbar erhöht.“

34 Prozent höheres Risiko! Heißt das, dass von je 100 Personen welche fettarme 1,5-Prozent-Milch trinken, 34 später Parkinson-Symptome bekommen? Nein. Hier wurde mit einem altbekannten Trick gearbeitet: Man berichtet den relativen Risikoanstieg, nicht aber den absoluten Anstieg. In absoluten Zahlen sieht das Risiko so aus: Von den Personen, die keine (beziehungsweise weniger als eine Portion pro Tag) fettarme Milchprodukte zu sich nahmen, erkrankten rund 25 Jahre später 0,6 Prozent an Parkinson, bei drei oder mehr Portionen stieg diese Zahl auf 1 Prozent. Der absolute Risikoanstieg ist also 0,4 Prozent.

Damit kann man keinen großen Eindruck schinden. Mit relativen Zahlen schon: Demnach steigt das relative Risiko um 34 Prozent. Die Zahl entstand nach dem Einrechnen von Kontrollvariablen wie dem Rauchen; ohne diese Faktoren wäre der Anstieg von 0,6 auf 1 dann 66 Prozent mehr. Im Abstrakt des Originalartikels (Hughes et al., Neurology 2017) wird auch nur der relative Anstieg des Risikos berichtet – mit relativen Zahlen große Gefahren zu suggerieren hat eine lange Tradition in medizinischen Fachzeitschriften.

Die gute Nachricht ist, dass anders als web.de die meisten Medien-Berichte die absoluten Zahlen genannt haben, wie etwa aerzteblatt.de. Auch wurde regelmäßig berichtet, dass es sich um Beobachtungsstudien und keine experimentellen Studien handelte, was bedeutet, dass man mit kausalen Schlüssen – fettarme Milch bedingt Parkinson – sehr vorsichtig sein muss. Wir haben insgesamt den Eindruck, dass sich die Berichterstattung nach 5 Jahren „Unstatistik“ merkbar verbessert. Auch das ist allerdings eine Korrelation und kein kausaler Beweis.

Soll man nun Vollmilch statt fettarmer Milch trinken, wenn man sich um Parkinson sorgt? Da die kausale Frage ungeklärt ist und der absolute Effekt – wenn es ihn gibt – klein ist, sollte man sich keine großen Sorgen machen und einfach entspannt trinken, was einem schmeckt.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de .

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Leserpost

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Bertram Scharpf / 30.06.2017

Der Trick ist sehr anschaulich zu entlarven: Wenn die Wahrscheinlichkeit, an Parkinson zu erkranken von 0,6% auf 1,0% gestiegen ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, es nicht zu bekommen, von 99,4% auf 99,0% gesunken, also relativ (fast gleich wie absolut) um 0,4%.

Frank Müller / 30.06.2017

Web.de zitiert allerdings auch eine beteiligte Wissenschaftlerin: “Da Morbus Parkinson insgesamt relativ selten auftrete, soll auch die potenzielle Gefahr durch den Verzehr von fettarmen Milchprodukten nicht überbewertet werden, betonte Hughes außerdem.”

Karla Kuhn / 30.06.2017

Fettarme Milch soll auch den Körper übersäuern, Ich kümmere mich um solche Aussagen nicht, ich trinke nur fetthaltige Milch, die schmeckt auch viel besser. Nur die Anwendung von Doppelblindstudien würden einigermaßen verlässliche Zahlen hervorbringen.  Haben Forsche schon erforscht, daß das Risiko beim überqueren der Straße überfahren zu werden höher ist, als wenn man zu Hause im Sessel sitzt ? ( Wenn man nicht gerade im Parterre wohnt und ein Auto rast in die “gute Stube.”)

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