Walter Krämer / 26.02.2018 / 14:09 / 3 / Seite ausdrucken

Unstatistik des Monats: Die gefühlte Gesundheitskompetenz

Die Unstatistik des Monats Februar ist eine der zentralen Aussagen des Nationalen Aktionsplans Gesundheitskompetenz, der am 19. Februar dem Bundesminister für Gesundheit vorgestellt wurde. Demnach haben 54 Prozent der Bevölkerung in Deutschland eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz. Das hat der „Health-Literacy Survey auf europäischer Ebene“ herausgefunden.

Das klingt, als ob diese Studie sich die Mühe gemacht hat, zu testen, wie kompetent die Deutschen tatsächlich sind. Aber: Niemand wurde getestet. Vielmehr wurden 47 Fragen zu verschiedenen Kompetenzen gestellt und die Probanden schlicht gebeten, selbst subjektiv zu beurteilen, wie hoch ihre Kompetenz wäre. Ein Beispiel: „Wie einfach/schwierig ist es, die Packungsbeilagen/Beipackzettel Ihrer Medikamente zu verstehen?“ Das fanden 41 Prozent der Befragten ziemlich einfach und 22 Prozent sehr einfach. Wir wissen aber von wirklichen Tests, dass Beipackzettel selbst von Ärzten nicht verstanden werden. Jedem, der nicht weiß, was er nicht weiß und fälschlicherweise angibt, Beipackzettel leicht zu verstehen, wurde hier hohe Gesundheitskompetenz zugeschrieben. 

Dann wurde gefragt, wie schwierig es ist, zu verstehen, warum man Vorsorgeuntersuchungen braucht. Das finden 80 Prozent ziemlich einfach oder sehr einfach. Die Frage unterstellt, dass Vorsorge (Früherkennung) unbestritten mehr nützlich als schädlich sei, was für jeden, der sich mit deren Vor- und Nachteilen wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, höchst fragwürdig ist.

Eine im „Journal of the National Cancer Institute“ veröffentlichte repräsentative Studie hat das wirkliche Wissen der Deutschen getestet und zeigte dagegen, dass 98 Prozent der Frauen den Nutzen der Früherkennung von Brustkrebs und 94 Prozent der Männer jenen der Früherkennung von Prostatakrebs weit überschätzen. Diese erstaunlich hohe Fehleinschätzung liegt wahrscheinlich an der jahrzehntelang üblichen, irreführenden Information, welche den Nutzen übertrieben und den Schaden heruntergespielt hat. Wenn man aber nicht weiß, dass man falsch informiert worden ist, wird man im Health-Literacy Survey als gesundheitskompetent eingestuft.

Es wird die gefühlte Gesundheitskompetenz ermittelt

Die Zahl 54 Prozent bezieht sich also nicht auf den Anteil der Deutschen, welche eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz haben, sondern auf den Anteil, welche das glauben. Die Vorsitzende des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin kritisierte die Studie bereits im „Ärzteblatt“. Verteidigt wurde die Studie mit dem Argument, dass in anderen europäischen Ländern die gleiche subjektive Befragung durchgeführt worden sei. Wenn aber andere den Unterschied zwischen gefühlter und tatsächlicher Kompetenz nicht kennen, dann müssen wir diesen Fehler nicht auch noch nachmachen.

Mangelnde Gesundheitskompetenz ist ein wirkliches gesellschaftliches Problem, und es ist an der Zeit, mehr dagegen zu unternehmen. Dazu könnte der Nationale Aktionsplan beitragen. Es fällt nicht leicht, uns zu einem Thema kritisch zu äußern, das uns selbst am Herzen liegt. Die Kritik betrifft alleine die vorgestellte Studie. Nach deren Logik bräuchte man keine aufwendigen PISA-Studien mehr durchzuführen, sondern könnte einfach die Schüler fragen, was sie denn meinen, wie gut sie in Mathematik und Deutsch sind.

Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de.

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Leserpost

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Joe Haeusler / 26.02.2018

Bei solchen Umfragen geht offenbar darum, den Erfolgsgrad der Untertanenkonditionierung zu testen. Mit Panzerschokolade funktionierte dies noch besser.

Steffen Knossalla / 26.02.2018

90 Prozent aller Autofahrer glauben, sie können besser als der Durchschnitt fahren.

Rainer Nicolaisen / 26.02.2018

” Kompetenz” hat für mich inzwischen den Rang eines Unwortes. Denn allenthalben wird es es als Gummibegriff dort verwendet, wo es um Wissen , Fähigkeiten, Können, also Faktenbezug gehen sollte. Und diejenigen, die den Begriff so gern im Munde führen, wissen i.d.R. vor allem selbst nicht um seine Bedeutung ( Typen: “ich mein mal so”;” ja, auch und so…”...) So lautet denn meine Forderung: Schluß mit der “Kompetenz"huberei !

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