Cora Stephan / 21.03.2007 / 11:25 / 0 / Seite ausdrucken

Universum Holzschnitt

Wir vergreisen, erzählen sie uns immer mal wieder, die netten jungen Damen und Herren aus der meinungsprägenden Klasse, die in Presse, Funk und Fernsehen die Deutungshoheit innehaben. Irrtum, sage ich. Wir leben, im Gegenteil, in einer zunehmend infantilen Gesellschaft. In Legoland, wo die Überraschungseier auf den Bäumen wachsen. Im Reich von Gut und Böse, von Verdammnis und Erlösung, von Schwarz und Weiß. Im Universum Holzschnitt, mit anderen Worten.
Erwachsen war gestern. Statt reifer Menschen mit einem gewissen Quantum an Vernunft und Lebenserfahrung scheinen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2007 jede Menge Unmündige zu hausen, die von den wenigen Durchblickern an die Hand genommen werden müssen. Mal mit freundlicher Nachsicht, mal unerbittlich: mit Mahnen und Warnen, mit Zurechtweisung und Andenprangerstellen, mit Strafen und Verboten. Noch bevor irgendjemand sagen kann: „Laß uns mal nachdenken, bevor wir darüber reden“ oder „Ich möchte mir erst ein Bild machen, bevor ich eine Meinung habe“, haben die Erzieher der Nation das Problem bereits griffig auf den Punkt gebracht und den richtigen moralischen Schluß daraus gezogen. Die Welt der Phänomene dient ihnen nur zu einem einzigen Zweck: aus ihnen ein weiterer Erziehungsziel zu generieren.
Ein Jugendlicher hat sich mit geschätzten 50 Gläsern Tequila ins Koma getrunken? Schon weiß man in den Medien, daß Komatrinken neuer Trend ist bei der Jugend. Und was schließen wir daraus? Natürlich! „Alkoholverbot für Jugendliche!“

Auch beim bloßen Nichtraucherschutz möchte es manch einer nicht belassen und fordert konsequenterweise Rauchverbot selbst im eigenen Privatauto. Was ist uns schon die Privatsphäre, wenn es doch um höhere Werte geht? Das gleiche gilt für die Meinungsfreiheit. Wir Deutschen möchten die eigenen Denkgebote am liebsten mindestens europoaweit verankern, auch in Ländern, wo man es traditionsgemäß den Einzelnen freistellt, sich mit grobem gedanklichen Unfug zu blamieren. Die Liste könnte endlos fortgesetzt werden: aus der absurden Forderung nach einer „Strafsteuer für Kinderlose“ spricht die Lust am Verbieten und Strafen ebenso wie aus dem mächtigen, immer wiederkehrenden Wunsch nach Einschränkungen für Autofahrer und Flugreisende.
Uns stehen also heitere Zeiten bevor, seit stündlich von einer dräuenden Klimakatastrophe die Rede ist. Kein Zweifel ist da mehr erlaubt, weder daran, daß es einen Klimawandel gibt noch daran, daß dieser katastrophal ausfallen wird. In diesem Universum gibt es keine Möglichkeiten, noch nicht einmal Wahrscheinlichkeiten. Hier herrschen Gewißheiten. Denn wer verzichtet schon auf die Chance, aus einer Katastrophe als moralisch überlegener Krisengewinnler hervorzugehen?
Wer noch immer glaubt, ein Problem sei dazu da, es möglichst effektiv und geräuschlos zu beheben, hat die neue Welt nicht begriffen. Sie ist eben nicht die Welt der mündigen Bürger, sondern die der Kinder, die erzogen werden müssen, wofür jedes Problem recht kommt, weshalb seine Lösung nachrangig ist, achwas: sogar schädlich. Denn aus einem gelösten Problem lernt man ja nichts mehr, oder?
Nehmen wir die Mülltrennung. Die Deutschen sind Meister darin, weshalb sie sich kei-eswegs davon irremachen lassen, daß es längst technische Möglichkeiten zum Müllsortieren gibt, die selbst der deutschen Meisterschaft überlegen sind. Begründung vom ehemaligen Umweltminister Trittin: das eigenhändige Sortieren sei nunmal ein wichtiger Beitrag zur ökologischen Bewußtseinsbildung.
Ähnlich wird mit der Kernenergie verfahren. Zwar sei einerseits nichts drängender als energiesparende Maßnahmen in klimakatastrophenabwendender Absicht, aber über weitere Nutzung oder gar Ausbau von Atomkraftwerken darf nicht nachgedacht werden, egal, wie hoch die Sicherheitsstandards gerade im deutschen Bereich auch sein mögen. Auch das ein Beispiel für die volkspädagogische Strategie des Tabuisierens – so, als ob den Deutschen die Wahrheit oder auch nur der Zweifel und das Abwägen nicht zumutbar seien. Wer dem journalistischen Trend zum radikalstmöglichen Zuspitzen nicht folgen mag, verharmlost und arbeitet der Katastrophe in die Hände. Und wer will das schon?
Es ist, als ob uns mit dem Diskriminierungsverbot auch die Fähigkeit zur Differenzierung abhandengekommen sei. Eine Untersuchung aus Berlin belegt, daß die jugendliche Gewaltkriminalität zwar insgesamt abnimmt, daß aber 70 – bis 80 Prozent der jungen männlichen Intensivtäter einen sogenannten Migrantenhintergrund haben. Ist die Erwähnung dieser Tatsache Diskriminierung? Oder ist sie womöglich doch Aufklärung in der Absicht, ein Problem zu lösen, statt es im pädagogischen Nebel verschwinden zu lassen?
Entscheiden Sie selbst. Das ist der einzige Weg aus dem kindlichen Universum Holzschnitt mit seinen einfachen Botschaften.
Erwachsenwerden.
Signale, DeutschlandRadio, 18. März 2007

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