Günter Ederer / 26.05.2013 / 18:25 / 0 / Seite ausdrucken

Unendliches Vertrauen in den Staat

Je näher der Wahltermin rückt, umso mehr beschleicht mich das Gefühl, die politischen Debatten werden über ein mir völlig unbekanntes Land geführt. Die Bundesrepublik, ein Staat in dem Arm und Reich kurz davor sind, im Klassenkampf zu versinken. Dazu Bildungsnotstand, Ausbeutung und Klimakatastrophe. Natürlich kann nicht alles, was im Wahlkampf aufgebauscht wird, auf die Goldwaage gelegt werden. Aber wenn die Rhetorik auf den Marktplätzen all zu sehr von der Wirklichkeit entfernt ist, darf sich der verwunderte Bürger schon fragen, ob die Politiker, die sich da empfehlen nicht erst einmal in eine psychologische Reha-Anstalt zur Realitätserkennungstherapie gebracht werden müssten.

Da wird freudestrahlend in den Nachrichten berichtet, dass Mainz in seiner spanischen Partnerstadt Valencia 300 ausgebildete Pädagogen für seine Kitas angeworben hat, die kein Wort Deutsch sprechen. Ein Halbjahreskurs wird ihnen von der rheinland-pfälzischen Pleitestadt bezahlt. Die Propaganda für die staatliche Kinderbetreuung wurde bisher auch damit begründet, dass die frühkindliche Sprachentwicklung besser in den Betreuungseinrichtungen gefördert wird als zu Hause. Dazu reicht jetzt ein halbes Jahr Deutschunterricht? Si, si, Señora, für happ, happ reicht’s schnell – und spanische Kinderlieder haben auch einen schönen Klang.

Gleichzeitig beschweren sich junge Menschen mit Recht darüber, dass sie nur noch Jahresverträge bekommen, mit Praktika abgespeist werden und sogar Ausbildungsstätten Bewerbern für Erzieher und Erzieherin absagen, weil die Kapazitäten nicht ausreichen. Doch die Kurzzeitverträge und der Praktikamissbrauch sind nicht nur auf die Lehrberufe beschränkt. Sie prägen flächendeckend das Bild für die Berufschancen der Generation, die jetzt ins Arbeitsleben eintritt. Wie passt das zusammen mit Klagen der Unternehmen und Behörden, sie fänden keine qualifizierten Mitarbeiter? Bevor wir leichtfertig den Einwanderungshype mitmachen, muss erst einmal ein Arbeitsmarkt sichtbar werden, der ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herstellt. Davon sind wir noch weit entfernt.

Genauso widersprüchlich ist die Debatte um den flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro. Wird die Nachfrage nach Arbeitskräften steigen, steigen auch die Löhne – auch für Geringqualifizierte. Geht der Faktor Arbeitskraft aber gegen unendlich, hat diese keinen Preis. Doch darin sind sich die staatsgläubigen Deutschen einig: Bevor der Markt seine segensreichen Kräfte entfalten kann, verlangen sie lieber Staatseingriffe. Die einen rufen nach Einwandereroffensiven, die anderen nach Mindestlohn. Aber wenn dem Staat mehr Macht übergeben wird, verlangt dieser mehr Geld. Also brauchen wir trotz Rekordeinnahmen noch mehr Steuern. Die Frage, ob der Staat diese Mehreinnahmen auch effizient einsetzt, wird dann nicht mehr gestellt. Selbst himmelschreiende Verschwendungen, wie sie in den peinlichen Listen der Rechnungshöfe aufgelistet werden, ändern daran nichts. Das Vertrauen der Deutschen in den Staat ist unendlich.

Aber wer ist dieser Staat? In allen Umfragen stellt sich immer wieder heraus, dass keine Berufsgruppe so schlecht angesehen ist, wie die der Politiker. Sie gilt als nicht vertrauenswürdig. Auch wenn es um die Einschätzung der Beamten und Angestellten in den Behörden geht, ist das Bild überwiegend negativ – egal ob es sich um Kommunal-, Landes- oder Bundesbedienstete handelt. Wenn also weder die Politik noch die Behörden das Vertrauen der Bevölkerung genießen, wer ist dann der Staat, von dem die Deutschen die Lösung ihrer Probleme erwarten? Liegt hier nicht eine gewisse kollektive Schizophrenie vor?

Und so erklären sich die Widersprüche zwischen Realität und Wahlkampfaussagen: Nicht nur die Politiker unterliegen zumindest in Wahlkampfzeiten einer gewissen Bewusstseinsspaltung, nein, alle die, die an den Staat als Allheilmittel glauben, gehören dringend auf die Couch.

Zuerst erschienen in der Fuldaer Zeitung

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