Thomas Rietzschel / 27.04.2017 / 10:03 / 7 / Seite ausdrucken

Und sie bewegt sich doch!

Unglaublich, aber wahr: Es rumpelt im Kasten der höfisch erstarrten Demokratie, es mehren sich die Anzeichen bürgerlicher Aufmüpfigkeit. Signale der Hoffnung sind zu vernehmen. Nur werden sie nicht von den bisherigen Anteilseignern am politischen Geschäft ausgesendet.

Im Gegenteil, um den Parteien der Macht Dampf zu machen, hat sich jetzt eine weitere Bürgerbewegung formiert. Seit Wochen sammelt sie Stimmen. 95.000 haben die Petition bereits unterschrieben. Sollte die Anzahl der Unterstützer bis zum Samstag auf 100.000 anwachsen, kann „Demokratie in Bewegung“, so der Name, als eigene politische Kraft zur Bundestagswahl im September antreten.

Nach der 2006 gegründeten „Piratenpartei Deutschland“ und der 2013 entstandenen AfD wäre das bereits der dritte Versuch engagierter Bürger, wieder die Oberhand in der Demokratie zu gewinnen. „Es scheint also“, schreibt die FAZ am 26. April 2017, „in Deutschland den Wunsch zu geben, sich eine Alternative zu den bestehenden Parteien zu bilden.“

Dabei opponiert die neue Bewegung keineswegs gegen die Parteien als solche. Was sie aufbringt, ist die Ausgrenzung der Bürger. Ihr Ziel sind basisdemokratische Zustände. „Ein runderneuertes System von Mitbestimmung und Transparenz in der Politik“, heißt es im „Manifest“ der bewegten Demokraten. Denn: „Viele Menschen haben ihr Vertrauen in die Parteien verloren. Politische Entscheidungen sind schwer nachvollziehbar. Politiker/innen sichern vor allem ihre Macht. Vorsitzende fühlen sich nicht ihrer Basis verpflichtet.“

Gerechtigkeit ist auch dabei

Das mag alles so neu nicht sein. Wir haben die Vorwürfe schon vielfach gehört, auch selbst erhoben. Aber sind sie deshalb weniger ernst zu nehmen? Resultiert die Formierung neuer politischer Vereinigungen nicht gerade aus der machtpolitischen Ausplünderung der repräsentativen Demokratie durch die etablierten Parteien? Wurden sie, Linke und Konservative, nicht eben erst in Frankreich krachend abgewählt, zur Bedeutungslosigkeit verurteilt?

Wohin das hierzulande noch führen wird, kann niemand vorhersagen. Auch „Demokratie in Bewegung“, dem neuen Anlauf des bürgerschaftlichen Protestes, muss kein Erfolg von vornherein beschieden sein. Auch das Programm dieser Bewegung entbehrt nicht sozialromantischer Vorstellungen. Wie die „Gerechtigkeit“, von der da vielfach die Rede ist, realpolitisch durchgesetzt werden soll, mag selbst für die Initiatoren noch in den Sternen stehen.

Doch allein die Tatsache, dass solche Versuche politischer Neuordnung in immer kürzeren Abständen unternommen werden, bezeugt den wachsenden Überdruss breiter Schichten an dem politischen Betrieb unserer Tage. Die Parteien, die uns bisher regierten, sind angezählt, sie liegen in Agonie, so dass die Bürger langsam wieder Mut fassen, die politische Geschäfte selbst in die Hand zu nehmen, auch wenn es dabei noch manchen Fehlstart geben mag.

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Leserpost

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Wolfgang Schmid / 27.04.2017

Ist das auch von Scholz & Friends? Wenn ich das Maifest richtig verstanden habe wollen die so eine Art linke Räterepublik. Anscheinend quillt der Prenzelsberg in Berlin gerade über von jungen, politikbereiten Männern, die irgendwas mit IT und Medien machen und die alle nur das Gute und Schöne und Bare wollen.

O. Prantl / 27.04.2017

Ziemlich durchsichtig. das Ganze. Wem nützt es ? Wer hat wohl großes Interesse an der Zersplitterung seiner Gegner. Diese tauchen dann am Wahlabend unter “Sonstige” auf und stabilisieren das Bisherige. Die eigentlichen Gründer und Finanzierer werden wir wohl nie kennen lernen.

Petra Wilhelmi / 27.04.2017

Aber die Demokratie bewegten haben doch schon eine große Lobby. Wieso wieder eine Bewegung, die das gleiche bewegen will, wie diejenigen Kräfte, die schon jetzt dem Mainstream angehören. Ich sehe im Manifest keinerlei Unterschiede, abgesehen von den Volksabstimmungen. Haben wir nicht jetzt grundlegendere Probleme in Deutschland, als die sicherlich vorhandene Probleme einer alleinerziehende Frau? Sollten wir nicht eher fragen, wieso 1000 EUR und mehr für unbegleitete Migranten an Pflegefamilien ausgezahlt werden, mehr als die alleinerziehende Frau für als Kindergeld erhält? Brennt uns die innere Sicherheit nicht unter den Nägeln. Dafür hat das Manifest keinen Platz.  Ich höre nur wieder “soziale Gerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit”.  Und es wird schon wieder von irgendwelchen rückwärtsgewandten, menschenverachtenden und egoistischen Personen geschwafelt. Wem haben diese Leutchen da wohl im Auge? War nur eine rethorische Frage, weil das jeder weiß. Haben Künstler nicht schon genügend ihr Scherflein dazu beigetragen, uns erziehen zu wollen, in ihrem Sinne und im Sinne des Mainstreams? Wollen die mit diesem schwammigen Manifest zur BTW antreten, um anderen Stimmen zu klauen, weil Demokratie von unten so schön klingt, diese aber noch nie gegeben hat und die Ansätze immer gescheitert sind?

Dr. Andreas Dumm / 27.04.2017

Wozu eine neue “Bewegung”? Warum schon wieder, was soll gut daran sein? Es hilft nicht weiter, in Petitionen auf Defizite - oder neuerdings auf allerlei “Lücken” - hinzuweisen. Das Problem besteht doch wesentlich darin, dass nur wenige die Geduld aufbringen, im hin- und herschwappenden Wasser auf die Formierung der Welle zu warten. Auch sie wird sich brechen, gewiss. Aber nur sie wird die Kraft aufbringen, jenes Mindestmaß an Institutionalisierung zu leisten, die nötig ist, um innerhalb des politischen Systems tatsächlich etwas zu bewegen. Wer diese Schwelle nicht (an-) erkennt, wird weiterhin im Fernsehsessel sich empören ... und dann umschalten. Solange der hier erwähnte Überdruss sich in Empörungsgesten am “Establishment” abarbeitet, wird er nichts bewirken. Einen anderen, politisch wertvolleren Ausdruck vermag er sich nur vermittels der Geduld zu verschaffen, die zunächst wartet und den richtigen Augenblick abpasst und danach auch noch die Kinderkrankheiten einer sich “konkretisierenden” Bewegung aushält! Alles andere schwappt nur hin und her und hin und her ...

Marcel Seiler / 27.04.2017

Ich habe mir die Web-Site angesehen: Der Versuch, wieder mehr Menschen dafür zu gewinnen, sich aktiv in die Politik einzubringen, ist gut und unbedingt nötig. Diese “Bewegung” aber sieht wie ein Evangelischer Kirchentag aus, der versucht, sich als Partei zu organisieren, mit viel gutem Willen, aber ohne realitätsbezogene Substanz: “Wir wollen eine demokratische, weltoffene, gerechte und zukunftsorientierte Gesellschaft. Hass und Hetze sind für uns keine Alternativen. Jede und jeder soll sich demokratische Prozesse einbringen können.” Ja, wer will das nicht?! Aber was das konkret bedeutet, wird nicht gesagt. Der Satz: “...vielfältige Gesellschaft ist für uns keine Bedrohung, sondern eher ein Glück”, klingt eher nach Kindergarten als einem realistischen Versuch, sich z.B. mit dem politischen Islam, dem Terrorismus oder der scheiternden Währungsunion auseinanderzusetzen. Wirtschaft kommt höchstens bei “Gerechtigkeit” vor, das Wort “Produktion” existiert nicht.—Diese Bewegung ist für die Teilnehmer bestenfalls eine Möglichkeit, herauszufinden, wie man Politik nicht machen kann, dass nämlich guter Wille nun wirklich nicht ausreicht. Prognose: Bestenfalls wie die Piraten.

Eugen Prinz / 27.04.2017

Wäre es nicht wichtiger Bestandteil der journalistischen Arbeit einmal zu hinterfragen, wer bei „Demokratie in Bewegung“ die “politische Geschäfte selbst in die Hand” zu nehmen gedenkt? Könnte es sein, daß gerade die “„Gerechtigkeit“, von der da vielfach die Rede ist” erste Aufschlüsse darüber geben kann? Mir drängt sich der Verdacht auf, daß *man*, sofern sich die ihrer Entmündigung gewiß gewordenen Staatsbürger nicht für die Altparteien-Einheitsfront zurückgewinnen lassen, diese zumindest nicht die momentan einzige Oppositionspartei wählen sollen, die bei der kommenden BTW mit Sicherheit die 5%-Klausel nehmen wird. Dazu ist dann natürlich auch Machiavellis “Divide et impera” recht bzw. link. ... wenn schon das “U-Boot-Geschwader” - ganz im Sinne der (Zersetzungs-)“Richtlinie Nr. 1-76 zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge (OV)” des MfS - nicht ausreicht, den blauen Dampfer noch rechtzeitig zu versenken.

JF Lupus / 27.04.2017

Ja, neue Impulse in der Politik sind wichtig. Nein, noch eine Partei brauchen wir nicht, das splittert die Kräfte nur auf. Sollte diese Bewegung sich als Partei gründen, werden die Stimmen der Unzufriedenen sich auf AfD und neue Partei verteilen - dass nützt nur denen, die uns jetzt in den Abgrund regieren.

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