Beda M. Stadler, Gastautor / 19.01.2007 / 08:13 / 0 / Seite ausdrucken

Und jetzt tief Luft holen

Text von Beda M. Stadler, erschienen in DIE WELTWOCHE, Nr. 03/07 am 18.1.2007:

Die schädliche Wirkung des Passivrauchens gilt als erwiesen. Wissenschaftlich gesehen ist der Zusammenhang aber längst nicht eindeutig.
Auf der Packung steht: «Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu.» Als Raucher möchte ich so etwas nicht glauben, als Wissenschaftler weiss ich, die Packungsaufdrucke stimmen meistens. Aber füge ich den Menschen in meiner Umgebung wirklich einen erheblichen Schaden zu, nur weil ich im Bahnhof rauche?
Lange bestand für mich kein Anlass, herauszufinden, wie ernst diese Art von Warnung gemeint war, geschweige denn, auf was für einer Art von medizinischer Forschung sie basiert. Belustigt habe ich früher sogar eine Packung Zigaretten aus England aufbewahrt mit dem Aufdruck: «Smoking kills!» Raucher sollten als Abschreckung zu Selbstmördern gestempelt werden. Nachdem der Demoralisierungsversuch nicht einmal bei Jugendlichen funktioniert hat, greift die neue Form der Anti-Raucher-Kampagne nun zu drastischeren Mitteln: Raucher sollen als Killer gebrandmarkt werden. Der Unterschied zwischen Rauchen und Passivrauchen soll sich in Zigarettenrauch auflösen. In den Bundesämtern und Organisationen, die von der Anti-Raucher-Kampagne leben, steht zweifelsfrei fest: Passivrauchen ist fast so schädlich wie Rauchen.
Die Anti-Passivraucher-Kampagne wurde 1993 in Amerika mit einer Studie der Environmental Protection Agency gestartet. Harte Daten wurden damals keine geliefert, wohl aber «Hochrechnungen». Und die wurden prägnant zusammengefasst: «Passivrauchen tötet Tausende!» Sind also auch in der Schweiz in den letzten Jahren Tausende von Menschen von Rauchern umgebracht worden? Die Hochrechnungen sind in Wahrheit Interpretationen aus Metastudien. Solche Analysen fassen Primäruntersuchungen mit quantitativen statistischen Mitteln zusammen. Damals wurden nur elf Studien ausgewertet. Metastudien sind langweilig zu lesen, und man muss Begriffe wie «Odds Ratio» oder «Relatives Risiko» aus der deskriptiven Statistik mögen. Ich habe mich durch einen Wald von Untersuchungen gelesen und war bass erstaunt. Selbst in neueren Studien zu Krebs- oder Herzerkrankungen bei Passivrauchern findet man meistens bloss Odds Ratios um 2 herum. Das bedeutet ein doppeltes Risiko für einen Passivraucher, beispielsweise an Lungenkrebs zu erkranken, verglichen mit einem Menschen in rauchfreier Umgebung. Eine Verdoppelung tönt nach viel, aber die absoluten Zahlen sind hier so klein, dass nüchterne Forscher eine Odds Ratio von 2 als unbedeutend betrachten.
Weil das Eis langsam dünn wurde, hat das amerikanische Department of Health and Human Services 2006 einen 700-Seiten-Bericht, «The Health Consequences of Involuntary Exposure to Tobacco Smoke», nachliefern müssen, um die Passivrauch-Angst weiter zu schüren. Der Leiter der amerikanischen Gesundheitsbehörde hat seinen Bericht den Medien mit den Worten vorgestellt: «Die Passivrauch-Debatte ist vorbei!» Die schädigende Wirkung des Passivrauchens sei mit diesem Bericht ein für alle Mal bewiesen.
Fehlen die Beweise, ist der Effekt «klein»
Etwas eingeschüchtert habe ich mir die grösste im Bericht zitierte Studie aus dem British Medical Journal zu Gemüte geführt. Diese prospektive Studie umfasste einen Zeitraum von 39 Jahren und betraf 118094 Kalifornier. Genauer analysiert wurden 35561 Nichtraucher mit einem rauchenden Partner. Wahrscheinlich wird diese Megastudie nie mehr in einem solchen Umfang wiederholt werden, weil zu teuer, und vor allem, weil kein kausaler Zusammenhang zwischen Passivrauchen und Sterblichkeit nachgewiesen wurde. Nimmt man die Resultate dieser Studie ernst, ist das relative Risiko für Passivraucher, an Lungenkrebs zu sterben, gar einen Viertel geringer als für Nichtraucher. Der Leiter der amerikanischen Gesundheitsbehörde zitiert diese Studie trotzdem hemmungslos, weil die Autoren behaupten, ein «kleiner» Effekt durch Passivrauchen könnte dennoch vorhanden sein, obwohl sie dazu keine Daten haben. Erstaunlich.
Viele Arbeiten über Passivrauchen in neuerer Zeit stammen aus skandinavischen Ländern. Mit einer ungeheuren Akribie werden Krankheiten und Normwerte gesucht, die möglicherweise durch Passivrauchen beeinflusst sein könnten. So berichtete eine dänische Forschergruppe, dass Passivrauchen zu Hause und bei der Arbeit während der Schwangerschaft das Geburtsgewicht um 78,9 Gramm verringert – der statistische Zusammenhang ist allerdings nur schwach. Passivrauchen ausschliesslich zu Hause oder ausschliesslich am Arbeitsplatz ergab überhaupt keine signifikante Auswirkung auf das Geburtsgewicht. Die Autoren forderten indes, Schwangere per Gesetz vor Zigarettenrauch zu schützen. Die wissenschaftliche Anti-Passivrauch-Gilde äussert sich übrigens in der Literatur öfter auch politisch, was einen im Grunde schon misstrauisch machen sollte.
Die Faktenlage ist zurzeit so, dass niemand bezweifelt: Rauchen ist für die Raucher gefährlich. Dass aber auch Mitraucher ernsthaft bedroht sind, scheint wissenschaftlich kaum zu erhärten. Die Frage bleibt, ob diese magere Faktenlage genügt, um den Schutz der Nichtraucher noch weiterzutreiben. In der Zwischenzeit ducken sich die Raucher vor jeder noch so blöden Behauptung. Akzeptiert wird selbst die Behauptung, die räumliche Trennung von Rauchern und Nichtrauchern bringe nichts, wird akzeptiert. Dem sicheren Aus der Zigarette an der Theke folgt wohl bald ein Rauchverbot in Mehrfamilienhäusern.
Rauchen ist derart verpönt, dass niemand über die positiven Aspekte des Rauchens zu reden wagt. Jeder, der es in Ansätzen versucht, wird in einen Topf mit den Tabak-Industriellen geworfen. Nun, ich habe keine Beziehungen zu diesen Wüstlingen und wage es trotzdem. Man weiss, Rauchen verringert die Monoamid-Oxidase – ein Enzym, das man bei Depressiven und Schizophrenen in erhöhtem Mass findet. Dazu ist die Datenlage übrigens besser als zum Passivrauchen. Zu überprüfen wäre, ob die Todesanzeigen auf den Zigarettenpackungen die Raucher nicht sogar dazu animieren, mehr zu rauchen, um eine aufkeimende Depression abzuwenden.
Rauchen kann vor Krebs schützen
Sollte das Rauchen bald gänzlich verboten werden, sind nicht nur psychiatrische Dienste betroffen, sondern auch ganz normale Spitäler. Im Juli 2006 erschien eine Arbeit in Neurology, die zusammenfasste, was man längst weiss. Prospektive Studien, retrospektive Studien und Zwillingsstudien belegen: Rauchen senkt das Risiko, an Parkinson zu erkranken. Neu konnte man zeigen, dass sogar Passivrauchen vor Parkinson schützt, und zwar umso besser, je intensiver der Qualm. Welche Angsthasen soll unser Staat nun mehr schützen? Diejenigen, die sich vor den relativ geringen Risiken des Passivrauchens fürchten, oder diejenigen, die einen Horror vor Parkinson haben?
Paradoxerweise wirkt Tabak manchmal sogar gegen Krebs. Raucher erkranken weniger häufig am schwarzen Hautkrebs, wie diesen Monat im British Journal of Dermatology berichtet wurde. Je öfter und je mehr geraucht wurde, umso geringer fiel das Risiko aus, an diesem tödlichen Krebs zu leiden. Trotz all dieser Studien: Die Anti- Raucher-Lobby wird weiterhin die Rosinen aus der wissenschaftlichen Literatur picken, um auf uns Rauchern herumzuhacken.

Beda M. Stadler ist Professor an der Universität Bern und Direktor des Instituts für Immunologie. 
Podcast: http://www.weltwoche.ch/audio/mp3/Weltwoche_170107_Stadler.mp3

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