"Fast drei Viertel aller SRG-Journalisten sind links", titelte die SonntagsZeitung und bezog sich auf Ergebnisse einer vom Nationalfonds geförderten Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, ZHAW.
Die Forscher Vinzenz Wyss und Filip Dingerkus hatten im Rahmen einer internationalen Untersuchung zwischen 2014 und 2015 rund 800 Journalisten in der Schweiz befragt – über viele Dinge, über Einkommen oder Ausbildung, über Recherchegewohnheiten und Arbeitsbedingungen, aber auch über ihren eigenen politischen Standort.
Nicht ganz überraschend tendierte die Mehrheit nach links, und wenn auch die SonntagsZeitung diesen Befund etwas zuspitzte und obwohl die Studie nicht bloss von den öffentlich-rechtlichen Journalisten sprach: Seither ist in der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) Feuer unter dem Dach.
Wenige Monate vor der Abstimmung über die No-Billag-Initiative (Die No-Billag-Initiative möchte unter anderem alle Gebühren für die SRG abschaffen) herrscht in diesem staatsnahen Betrieb ohnehin eine ungesunde Panik, unverständlicherweise, denn dass diese sehr weitgehende Initiative angenommen werden wird, halte ich für sehr unwahrscheinlich.
Wie manche wissen, bin ich befangen, da meine Frau bei der SRG arbeitet, dennoch sympathisiere ich unabhängig davon mit den Sorgen der SRG. Dass nämlich ihre Journalisten besonders links sein sollen – im Vergleich etwa zu den Journalisten in den privaten Medien –, bleibt ein unbestätigtes Gerücht. Es war unfair, die SRG derart in den Fokus zu nehmen.
Der Linksdrall ist nicht auf die Öffentlichen beschränkt
Wenn man die Zahlen der Studie nämlich betrachtet, ist der Unterschied so gering, dass er statistisch bei dieser Stichprobe keine Rolle spielt: 68 Prozent der SRG-Mitarbeiter verorten sich links der Mitte, in den privaten Verlagen sollen es 62 Prozent sein. Mit anderen Worten, das sind keine Welten, sondern es verdeutlicht vielmehr, wie allumfassend das Problem ist – es ist keines, das allein auf die SRG beschränkt wäre.
Warum ist es überhaupt ein Problem? Natürlich kann mir als bürgerlichem Journalisten das nicht gefallen, dürften manche meinen, doch das griffe zu kurz: Das Problem der Journalisten ist weniger, wo sie stehen, sondern warum sie dort alle am gleichen Ort stehen. Es ist der Konformismus von Leuten, die sich für besonders selbstständig und mutig halten, was uns Bürgern zu denken geben sollte.
Vinzenz Wyss, der darüber erschrocken sein dürfte, wie viel Zunder in seiner wissenschaftlichen Studie steckte und der seither ganz verzweifelt die vielen Feuer auszutreten versucht, die sich entzündet haben, wiegelte ab, es sei ja auch verständlich: Der Journalismus mache auf gesellschaftliche Konflikte aufmerksam, er stelle herrschende Machtverhältnisse infrage, das entspreche nun einmal eher "linkem gesellschaftspolitischem Gedankengut"; womit er uns sagen wollte, es gehe wohl in Ordnung, wenn die Mehrheit der Journalisten deutlich linker urteilt als ihre Leser oder als die Bevölkerung, über die sie berichten.
Angesichts der Verwerfungen in den europäischen Ländern, auch bei uns, wo seit Jahren eine rechte Opposition die Politik prägt, hat Wyss’ Aussage etwas rührend Antiquiertes, man erhält den Eindruck, er habe seit Jahren keine Zeitung mehr gelesen. Die meisten Regierungen Europas stehen ebenfalls leicht links der Mitte, nicht formell zwar – manche Regierungen halten sich sogar für "konservativ", wie etwa die deutsche –, doch wenn man jene Fragen meint, die wirklich zu reden geben und wo die Regierungen sich einer zunehmenden Kritik von rechts ausgesetzt sehen, dann auf jeden Fall.
Ob Immigration, europäische Einigung, Klimapolitik, Euro, Steuern oder Grösse des Staates und seiner Bürokratie, hier finden wir kaum eine etablierte Partei in Europa, ob sie sich nun für bürgerlich hält oder sozialdemokratisch, die die Meinung der wachsenden rechten Opposition teilt oder wenigstens schätzt. Auch unser Bundesrat, formell mit bürgerlicher Mehrheit, macht meistens eine ähnliche, also "linksliberale" Politik: Man tut sich schwer, die Immigration wirklich zu steuern, wie das wohl Mehrheiten der Bevölkerung wünschten, man hat einen ausgesprochenen linken Ehrgeiz in der Klimapolitik entwickelt, man glaubt nach wie vor daran, dass die EU eigentlich das Beste wäre auch für die Schweiz. Im Zweifelsfall glaubt man an internationale Lösungen und misstraut den eigenen Stärken.
Auch Journalisten sind Menschen – also Opportunisten
Bezeichnenderweise sind das genau die gleichen Positionen, die die meisten Journalisten in der Schweiz unterstützen; mit anderen Worten, wenn Wyss meint, dass Journalisten links stehen, weil sie die Mächtigen, die Regierungen kontrollieren und ihnen widersprechen wollten, dann irrt er oder die Journalisten halten sich nicht an seine Theorie. Sie stehen links, aber keineswegs weil sie damit zu den Regierungen in Opposition gerieten, das ist nicht der Fall, sondern weil es so bequem ist. Auch Journalisten sind Menschen – also Opportunisten.
Wyss liegt falsch, weil er sich in einer Epoche zu wähnen scheint, die den 1970er-Jahren gleicht, als die politische Opposition vorwiegend links zu verorten war, und die meisten Regierungen in der Schweiz, ob der Bundesrat oder die kantonalen Regierungsräte, eine eindeutig bürgerliche Politik betrieben. Zum Teil ist das heute noch der Fall, kein Zweifel, aber eben nicht in jenen Fragen, die die Menschen wirklich bewegen.
Die AHV bewegt, aber spaltet nie mehr in jenem Masse wie etwa in den 1920er-Jahren; in der Frage des Umweltschutzes wird kaum mehr gestritten, vor allem nicht zwischen der Regierung und den Grünen, sondern oft ist die Verwaltung (und ihre Regierung) fast so grün wie die Grünen, der Konflikt verläuft auch hier zwischen Regierung und rechter Opposition. Und wo stehen bei diesem Thema die Journalisten? Sie denken so linksgrün wie die Beamten, die sie vorgeben zu kritisieren.
Denn das ist der zweite Punkt: Manche Journalisten führen sich zwar nach wie vor so auf, als seien sie ganz kritische Zeitgenossen, sie fordern Rücktritte und decken Skandale auf (meistens bei bürgerlichen Amtsinhabern), sie schwadronieren von Paradise, Panama oder warum nicht von Pampers Papers, tatsächlich entlarven sie angebliche, meist kaum bewiesene Machenschaften, die niemanden mehr erschüttern und vor allem den Regierungen nicht wehtun.
Die Journalisten prangern an, was die Regierungen stört
Böse, böse Offshore Companies? Welche Regierung, die an ihre lieben Steuern denkt, ist nicht empört? Kurz, die Journalisten prangern an, was die Regierungen genauso stört. So werden Journalisten zu Hofschranzen, sie schreiben, was die Regierungen insgeheim schon immer von ihnen erwünscht haben. In einer Zeit, da so viele staatliche Geheimdienste sich der Medien bedienen, indem sie diese füttern, ob mit richtigen oder falschen Informationen, muss sich jeder Journalist bei der Recherche immer wieder diese einfache Frage stellen: Wenn ich das aufdecke, wen treffe ich? Sind es die Mächtigen oder jene, die von den Mächtigen bekämpft werden?
Wenn es eine harte Währung für guten Journalismus gibt, dann doch diese: Dass die Regierung sich in die Defensive gedrängt fühlt, weil wir Journalisten sie eben zu Recht kritisiert haben, weil wir einen Skandal aufdecken, der der Regierung wirklich wehtut. Wie oft schaffen das linke Journalisten noch? Sehr selten, während ein im Zweifelsfall bürgerliches Blatt wie die Basler Zeitung bei den Regierenden sich allgemeiner Unbeliebtheit erfreut, und zwar sowohl in Basel-Stadt als auch im Baselland, und in Bern und Berlin sowieso.
Mut, sich mit den Mächtigen anzulegen: Das zeichnet den wahren Journalisten aus.
Zwei Drittel der Journalisten stehen links der Mitte: Wäre das eine gefährliche, "schampar unbequeme" Position (Helmut Hubacher), dann müssten wir uns wohl gratulieren. Doch es ist nicht gefährlich, die gleiche Meinung wie Angela Merkel, Doris Leuthard, Barack Obama oder Alain Berset zu vertreten, sondern vor allen Dingen bequem.
Journalisten als Sänger und Hofdichter
Guter Journalismus hat etwas Oppositionelles, ob das im Einzelnen aus einer linken oder rechten Haltung heraus geschieht, ist einerlei, entscheidend ist der Mut, den es braucht, auszusprechen, was niemand im Regierungsgebäude hören will. Doch machen wir uns nichts vor, die meisten Journalisten gehörten schon immer zur Sorte der Sänger und Hofdichter, sie preisen die Mächtigen, sie verdammen die Schwachen.
Im Mittelalter verteidigten sie den Kaiser und hielten Luther für unanständig, vor der Französischen Revolution jubelten sie über den König und spotteten über die dummen Bauern, heute schreiben sie feinfühlige Porträts über Flavia Kleiner und befragen händeringend Christian Levrat; umso mutiger schimpfen sie über Rechtspopulisten, Nationalkonservative und andere Aufmüpfige.
Mut, sich mit den Mächtigen anzulegen: Das zeichnet den wahren Journalisten aus. Wenn Sie einen solchen vor sich haben, merken Sie es sofort: Die Mächtigen loben ihn nie und halten seinen Stil für «bedenklich», manchmal sprechen sie auch von einer «Kampagne» – bevor sie zurücktreten. (Basler Zeitung)
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Basler-Zeitung hier.