Rainer Bonhorst / 18.01.2017 / 06:25 / Foto: Olivier Luma / 6 / Seite ausdrucken

Überraschung: Die Briten tanzen nach ihrer eigenen Pfeife

Wie prima wäre es für Brüssel gewesen, wenn die Brexit-Briten mit dem Hut in der Hand angeschlichen wären und weiter um Teilnahme am EU-Binnenmarkt gebeten hätten. Man hätte sie schön zappeln lassen, dann ja gesagt, unter der Bedingung, dass sie alle Regeln der EU akzeptieren. Eine wunderbare Loose-Win-Situation: Die Briten hätten alles aus Brüssel hinnehmen müssen, hätten aber nichts mehr zu sagen gehabt. Man wäre einen Störenfried los gewesen und hätte ihn gleichzeitig noch im Griff.

Tja, und jetzt hat Theresa May klar gemacht, dass sie gar nicht halb raus und halb drin bleiben will. Die britische Premierministerin will ganz raus. Auch aus dem scheinbar so unverzichtbaren Binnenmarkt. Nix Norwegen, nix Schweiz. Sie hat ihre Hand gezeigt und damit dem Poker-Spiel eine ganz andere Wendung gegeben. Wer hält nun die besseren Karten in der Hand?

Ganz einseitig ist die Partie jedenfalls nicht mehr. Beide haben einige Trümpfe in der Hand. Für die Briten wäre es sicher ein harter Schlag, wenn sie den europäischen Markt verlören. Aber umgekehrt gilt das gleiche. England ist ein großer Markt, nicht nur, aber vor allem für deutsche Autobauer.

Eine Mischung aus Waterloo und Walk of Shame

Und gerade die Autobauer, von denen die Deutschland-AG so sehr abhängt, können sich dieser Tage keinen unnötigen Ärger leisten. Hohe Zölle beim Import nach England? Den Mini gar heim nach Bayern holen? Und das in einer Zeit, in der Donald Trump den Bayerischen Motoren Werke wegen Mexiko auf die Zehen tritt? Keine reine Freude. Und die anderen deutschen Autobauer? In England wimmelt es von VW und Audi. Und in Amerika erlebt der Konzern gerade eine Mischung aus Waterloo und Walk of Shame. Wer will da noch zusätzliche Probleme? Auch Mercedes verkauft seine Waren gut und gerne in die angelsächsische Welt.

Und wo stünden die Briten, wenn Europa eine Mauer bauen würde wie Trump an der Grenze zu Mexiko? Nun, Donald Trump hat nicht nur deutsche sondern auch schottische Vorfahren. Und er hat schon zu erkennen gegeben, dass er zu Großbritannien eine „special relationship“ empfindet. Den Brexit hält er für eine großartige Sache. Theresa May wird demnächst im Weißen Haus offenere Türen und Arme finden als Angela Merkel, die ja die Wahl Donald Trumps seinerzeit nicht sehr elegant kommentiert hat. Die Briten werden in den USA einen freundlicheren Markt finden, als es Trumps Worte an den Rest der Welt vermuten lassen.

Dass nicht nur Europa sondern auch der Rest der Welt ziemlich durcheinander geraten ist, lässt sich daran ablesen, dass der chinesische Präsident  Xi Jinping gerade in Davos als Champion des Freihandels aufgetreten ist. Das ist weltpolitisches Kabarett pur: Amerika spielt Protektionismus, China singt das Lied der Freiheit. Beides darf man wohl nicht ganz ernst nehmen.

Die english sprechende Welt ist groß

Aber China ist nicht nur für die EU ein riesiger Markt und ein unverzichtbarer Ort ökonomischer Zukunftsplanung sondern auch für Großbritannien nach dem Brexit. Ganz zu schweigen von Indien und der englisch sprechenden Verwandtschaft in Australien, Kanada, Neuseeland und Teilen Afrikas. Die werden den von der EU befreiten Briten zwar keinen roten Teppich ausbreiten. Aber man versteht sich. Die english sprechende Welt ist groß und bei allen historischen und aktuellen Konflikten seelenverwandt.

Kleiner Schönheitsfehler: Die Briten haben – wie die USA auch – einen Teil ihrer Industrie verkommen lassen und damit auch ihre Exportchancen. Also gut: Das ist kein kleiner sondern ein großer Schönheitsfehler. Wer aber dieses kreative Land – und übrigens auch Amerika – unterschätzt, muss mit einem bösen Erwachen rechnen.

Es gibt da noch eine tendenziell unangenehme angelsächsische Sitte: niedrige Steuern. Während der Kontinent seine Steuern von Herzen liebt und gar nicht hoch genug jubeln kann, ist die nur halb ausgesprochene Drohung Theresa Mays, ihr Land durch Niedrigsteuern attraktiv zu machen, nicht aus der Luft gegriffen. Angelsachsen denken (nicht nur) ökonomisch nun mal anders als die meisten Kontinentaleuropäer. Das ist ja auch ein tieferer Grund für den Brexit.

Theresa May hat im Poker mit der EU sicher nicht die bessere Hand. Aber sie hat eine Hand, mit der sie spielen kann. Sollte Brüssel den harten Brexit mit einer harten Kampfansage begegnen, werden, wie Theresa May in ihrer Rede gesagt hat, bei Seiten darunter leiden.

Scheidungen sind nie erfreulich. Die ideale Scheidung ist die, bei der die Freundschaft überlebt. Ein britisch-europäischer Rosenkrieg wäre nicht nur hässlich sondern auch dämlich. 

Foto: Olivier Luma CC BY-SA 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Marcus Oehler / 18.01.2017

Es steht zu befürchten, dass sich in Brüssel nicht die ökonomische Vernunft, sondern das Beleidigtsein durchsetzen wird. Weil die bösen und vermeintlich blöden Briten sich vom halb kaputten Bürokratenspielzeug EU abwenden, wird man sich in “Europa” ein paar fiese Bestrafungsaktionen ausdenken. Dass man sich damit auch selbst schadet, nimmt man inkauf. Ausbaden müssen es die Bürger, nicht die schmollenden Gleichheitsideologen, die einerseits über Trump herziehen, aber in Bezug auf Großbritannien dessen Protektionismus propagieren.

Johannes Schaefer / 18.01.2017

Ein schöner, ausgewogener Kommentar.

Ralf Arnemann / 18.01.2017

Nur zwei Punkte in Mays Rede waren neu: Die britische Regierung hat endlich begriffen, daß sie mit ihren Brexit-Plänen in Konflikt mit ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Irland gerät und sie hat anerkannt, daß sie nicht am Parlament vorbei entscheiden kann. Ansonsten war das nur die altbekannte Ratlosigkeit: Man will austreten, hat dann natürlich keinen Zugang mehr zu den Vorteilen der EU, und spart sich im Gegenzug ein paar Beitragsgelder. Irgendein Konzept für die konkrete Durchführung des Brexits und das Leben danach hat die May-Regierung nach wie vor nicht. Offene Türen in Washington sind normal für die Briten, bringen aber wirtschaftlich nichts Neues. Und in der englisch-sprachigen Welt hat GB keinen Vorteil, weil inzwischen auch die Konkurrenz englisch spricht. Niedrige Steuern wären auch als EU-Mitglied möglich (einige EU-Länder machen das ja auch), können aber die Strukturschwächen der britischen Wirtschaft nicht ausgleichen. Und echte Reformen, mit denen man diese Strukturschwächen ausgleichen könnte, sind gerade mit den rückwärtsgewandten Brexit-Wählern nicht möglich. Im wesentlichen hat May also weiterhin nur einen Karte auf der Hand: Den schwarzen Peter. Und den wird sie behalten.

otto regensbacher / 18.01.2017

Der Folgen des Austritts von GB aus der EU sind derzeit überhaupt noch nicht in vollem Umfang absehbar.  Es steht momentan vor allem die Frage im Raum: Wer übernimmt die Nettozahlungen, die GB bisher in den großen Topf der EU überwies? Unsere allseits verehrte Migrantenkanzlerin wird die Antwort schon wissen! Weil bei den weiteren (wenigen) Nettozahlern der EU kaum noch etwas zu holen ist, wird die Merkel nach dem Motto: “Wir schaffen das!” weitere Milliarden, die bisher GB leistete, großzügig, wie sie einmal ist,  übernehmen! Das nächste Problem ist die psychologische Wirkung des Austritts von GB aus der EU! Die Zukunft wird zeigen, ob auch weiter Länder den Austritt wagen werden! Spannend werden vor allem die Wahlen in Frankreich und den Niederlanden!

JF Lupus / 18.01.2017

Die Briten werden keineswegs durch den Brexit Nachteile erleiden. Im Gegenteil. Daß Junker, Schulz & Co. solche Behauptungen aufstellen, ist eine vorsätzliche Lüge und der Versuch, die eigenen Pfründe vor der gänzlichen Auflösung der EU zu retten. Schulz hat schon weiter gedacht und seinen bestens dotierten Job in der EU aufgegeben. Was für ein P**k.

Hans Meier / 18.01.2017

Klasse ganz origineller und treffender Text, Sie machen mir echt Spaß!

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