Die Entfremdung findet nicht nur statt, weil zu viele Fremde kommen. Sie resultiert in erster Linie daraus, den Bürgern obrigkeitsstaatlich zu sagen wie sie zu Denken und zu Handeln haben und das auf breiter Linie. Für die Bürger im Osten dreht sich so die Zeit zurück. Man kennt diese ideologische Bevormundung noch sehr gut und will so etwas nicht wieder haben. Die Art und Weise des Umgangs mit der Flüchtlingskrise brachte nur das Fass zum Überlaufen. Sparkurs für den Bürger, trotz steigender Einnahmen, wurde von Oben verordnet. Für Andere ergießt sich nun das Füllhorn in Strömen. Sehet, duch diese bundesrepublikanische Selbstkasteiung waschen wir uns rein von unseren geschichtlichen Sünden. Der Bürger erwartet von den Regierenden politische Gesellschaftsentwürfe und nicht nur Verwaltungsakte und moralische Predigten.
Die deutsche Gesellschaft ist sich ihrer selbst nicht mehr bewusst. Wir kennen uns in unserer eigenen Kultur nicht mehr aus. Beispiel: vor Kurzem fuhr ich mit einem Fernbus auf der A4 nach Berlin. Ich saß im Bus mit einer Schulklasse aus Heidelberg. Eine Schülerin fragte, als wir in Herleshausen kurz pausierten, wo wir denn gerade seien. Der iranisch stämmige Busfahrer sagte “Herleshause”. Der Lehrer der Schulklasse hätte nun ja angesichts des Überquerens der ehemaligen innerdeutschen Grenze ‘ne Menge erzählen können, zumal die Klasse am nächsten Tag, wie ich mitbekommen hatte, das ehemalige Stasi-Gefängis in Hohenschönhausen besuchen wollte. Aber: kein Wort dazu. Und ein paar Kilometer weiter kam die Wartburg in Sicht. Auch hierzu kein Wort vom Lehrer. Eine Klassenfahrt von Heidelberg nach Berlin ohne ein Wort zur innerdeutschen Grenze oder zur Wartburg mutet schon traurig an. Wenn Klassenlehrer das Wartburgfest vergessen haben und auch zu Luther nichts mehr sagen können, haben sie wahrscheinlich von der Hl. Elisabeth von Thüringen noch nie etwas gehört. Wir wissen doch nicht ‘mal mehr, wo hinein wir Fremde integrieren sollten. Und wenn das Wort “wir” gesagt wird, ist auf allen Seiten leider eher klar, wer damit nicht gemeint sein soll.
Das mit der Selbstentfremdung sollte man noch weiter ausleuchten, denn die Ursache wird schnell klar: Man hat den Deutschen über Jahrzehnte jegliches Heimatgefühl und Bezug zur eigenen Kultur ausgetrieben - und nun kommen plötzlich Menschen, die eine neue Heimat suchen und darauf bestehen ihre Kultur mitzubringen. Die Westdeutschen haben sich schon lange entfremdet, die Ostdeutschen hatten ihre Heimat 1989 gerade neu entdeckt. Deswegen tut es im Osten mehr weh, als im Westen. Hier geht es nicht primär um “Befürchtungen und Ängste” von Menschen, hier geht es tatsächlich um Identität.
Ach, Herr Heitmann, trotz des scheinbar verständnisvollen, geradezu psychotherapeutischen Tenors Ihres Artikels, da bringen Sie es doch wieder, das Klischee vom dumpfbackigen Provinzler, in Sachsen und anderswo, ich bin Märker, der die Veränderungen der Welt nicht versteht, sich entfremdet fühlt und deshalb am Biertisch schon mal zum Fremdenhasser wird. Nein, Herr Heitmann, der Ossi lebt nicht mehr im “Tal der Ahnungslosen”. Er hat sich nach dem Mauerfall doch ein wenig in der Welt umsehen können, und er brauchte gar nicht weit zu fahren: Zustände, wie man sie über Jahrzehnte in Neukölln oder NRW und anderswo unter dem falschen Etikett von Toleranz und Multikulti hat einreißen lassen, die in Wahrheit Monokulti sind, sukzessives Zurückweichen vor einer immer lauter und dreister auftretenden Forderung nach Sonderrechten im Namen einer totalitären Ideologie, diese Zustände will er in seiner Heimat nicht. Schritthalten mit den wirtschaftlichen und technischen und politischen Veränderungen einer sich modernisierenden Welt kann doch nicht heißen, daß man die eigene Lebensweise anpasst, um Verteter einer rückständigen Weltanschauung nur ja nicht zu beleidigen. Es heißt im Gegenteil, sich klar zu werden, was die eigene Lebensweise in einer modernen säkularen Gesellschaft ausmacht. Des weiteren möchte weder der Provinzler noch der Großstädter immer länger arbeiten, um die Wohlfahrt für fremde Leute zu finanzieren, die zu großen Teilen hierherkommen, um Alimentierung zu fordern.
Auch ich fühle mich sehr fremd in meinem eigenen Land. Und ich bin weder Ostdeutscher noch “abgehängt”; mir geht es wirtschaftlich gut. Meine Entfremdung ist absolut nicht durch Migranten veranlasst. Sie ist verursacht durch jetzige Regierung und Medienelite, die die politische und publizistische Macht in Deutschland inne haben. Die so geballte Macht vertritt absurde Sichtweisen auf eine Reihe von Problemen und Bedrohungen Deutschlands und Europas. Die Sichtweisen sind geprägt sind durch vorrationale Attitüden, Wunschdenken und irrtümliche, selbstüberhöhende Moralität, so dass sie die Probleme nicht lösen, sondern zum Teil stark verschlimmern. Noch schlimmer ist, dass viele Menschen im Land diese Attitüden zu teilen scheinen; ob aus Einsicht, aus Obrigkeitshörigkeit oder aus einfachem Konformismus, ist mir nicht klar. Kritik prallt an dieser herrschenden Macht, die sich in ihre Hochmoral und ihr Wunschdenken eingemauert hat, einfach ab. Ihre Antwort auf Kritik ist es, Andersdenkende auf bisher unvorstellbare Weise zu beleidigen und zu diffamieren. Das betrifft zum großen Teil Deutsche, aber inzwischen sind unsere europäischen Nachbarn ebenfalls Zielscheibe dieser herabwürdigenden Kritik geworden. Es ist diese Kritikunempfindlichkeit zusammen mit der Herabsetzung und Diffamierung anderer sowie die Tatsache, dass die Mehrheit in Deutschland dem einfach nur zuschaut, die in mir die Fremdheitsgefühle auslöst: ich gehöre nicht dazu, aber bei so etwas möchte ich auch nicht dazugehören.
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