Thomas Rietzschel / 22.02.2015 / 17:02 / 1 / Seite ausdrucken

Überforderte Dilettanten

Nicht nur die Schönheit, auch die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters. Das immerhin konnten wir in der letzten Woche lernen. Das große Welttheater der Politik hat uns auf die Sprünge geholfen. Während wir in unserem Krähwinkel, weit weg von der Ukraine noch glaubten, von einem Waffenstillstand könne keine Rede sein, solange die eine Seite weiter aus allen Rohren schießt, bis die andere in panischem Schrecken Reißaus nimmt, standen und stehen die Unterhändler fest zu ihrem Glauben an den eigenen Erfolg.

Was sie mit „Minsk 2“ erreicht haben wollen, lassen sie sich so schnell nicht nehmen, schon gar nicht mit dem Hinweis auf die paar Toten, die es während und nach ihren nächtlichen Verhandlungsmarathon gegeben hat. Wurden mit der Eroberung von Debalzewo durch die Separatisten - nach dem vereinbarten Waffenstillstand - nicht erst die Bedingungen geschaffen, die es Vladimir Putin erlaubten, eine Waffenruhe unter Umständen zu akzeptieren?  Kann man das nicht gradezu als ein Bemühen um die Vertragserfüllung betrachten?

Natürlich ist das alles ein perfide Verdrehung der Tatsachen, natürlich sind die Verhandlungen von Minsk ausgegangen wir das Hornberger Schießen, natürlich sind sie wie alle vorhergehenden gescheitert. Natürlich waren die Franzosen und die Deutschen, die da mitreden und den weltpolitisch einflussreichen Max markieren wollten, von Anfang an überfordert. Nur deshalb, weil sie, anders als die Amerikaner, seiner Macht nichts entgegenzusetzen haben, das er ernst nehmen müsste, wurden Hollande, Merkel und ihr Steinmeierschen schließlich von Putin akzeptiert.

Nur, wo kämen die weltpolitischen Aufschneider hin, wenn sie sich das eingestehen würden?. Die Wahrheit, an die sie sich klammern, muss eine andere sein. Nolens volens müssen sie sich ihre Erfolge zusammenreimen, um irgendwie im Geschäft zu bleiben. Unversehens verlängern sie die Krise, als deren Manager sie sich aufspielen. Von Bilanzfälschung würde man in der Wirtschaft sprechen; von vorausschauender Diplomatie spricht man in der Politik. Ein Schwindel, der umso leichter fällt, als die Journalisten, die darüber berichten, sich zusehends damit begnügen, die einschlägigen Regierungserklärungen zu paraphrasieren. So entstehen die Nachrichten, die wir für die Wahrheit nehmen sollen. Der Selbstbetrug, der dahinter steckt, macht ein ganzes Volk, die Ukrainer, zum Spielball politischer Eitelkeiten.

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Matthias Kranzkowski / 22.02.2015

Sehr geehrter Herr Rietzschel, vielen Dank für diesen Artikel. Wir müssen helfen! Die ukrainische Bevölkerung steht in einer verzweifelten Abwehrschlacht gegen gegen den russischen Angreifer. Aber das interessiert niemanden im dicken, selbstgenügsamen Deutschland. Niemand benennt den russischen “Angriffskrieg” gegen die Ukraine. Die Deutschen denken: Es liegt doch Polen dazwischen und Deutschland wird sich mit Russland einigen, über alles. Russland dringt immer weiter in die Ukraine ein, SPD-Gabriel spricht von einem Bürgerkrieg und Frau Merkel, anstatt einen schwachen Poroszenko zu unterstützen, lässt sich von Putin gern über den Tisch ziehen, um sich dann in Deutschland als engelsgleiche Friedensheldin verehren zu lassen. Denn im wiedergutgewordenen Deutschland weiss man: es gibt keinen gerechten Krieg, sonst hätte man den letzten nicht verloren. Ich bin für Waffenlieferungen an die Ukraine und Militärschläge aus der Luft (durch England oder die USA) um die schweren Waffen der Russen in der Ostukraine zu zerstören. Gegen Europa wird Krieg geführt. Und diesen Krieg muss Europa für die freie Welt gewinnen.

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