Quentin Quencher / 03.10.2015 / 12:00 / 0 / Seite ausdrucken

Über lange Haare und den Umgang mit Tabus

So langsam geht es meinen Füßen wieder besser. Vor gut zwei Wochen, in Berlin, habe ich mir links wie rechts gigantische Blasen an den Fersen gelaufen. Ich hatte auf meine Frau gehört, die wollte nicht, dass ich meine bequemen Turnschuhe anziehe, und hatte mir neue andere schicke Schuhe gekauft. Natürlich, wie immer, ohne mich vorher zu fragen ob ich das möchte. Aber ich habe klein bei gegeben, denn als Gegenleistung sozusagen, hatte ich mich dagegen verweigert mir meine Haare schneiden zu lassen. Wegen der langen Haare nervt sie mich schon geraume Zeit, bislang konnte ich mich behaupten.

Langes Haar für Männer war mal ein Tabu, lang ists her, wer solches trug, war gleichzeitig ein Rebell und opponierte gegen die Gesellschaft. Dann wurde es Mode, danach irgendwas, heute weiß keiner mehr, für was Männer mit langen Haaren stehen. Am wahrscheinlichsten ist immer noch die Annahme, es handelt sich beim Träger um einen links-grünen Spießer. Manchmal hilft mir dies wenn ich, bei meinen Stimmungstests in der Umgebung, Leute anspreche, in kurze Dialoge verwickle. Die Leute erzählen mir dann etwas, von dem sie annehmen, dass ich es hören möchte. Wenn ich dann antworte, ist die Verunsicherung darüber dass meine Statements mit meinem Äußeren nicht kompatibel erscheint, geradezu greifbar. Aber es wäre gelogen, würde ich behaupten, dies wäre ein Grund für meine langen Haare. Vielleicht ist meine Frau schuld, die nimmt ja alles in die Hand, was ich anziehen soll, welche Schuhe, welche Socken, ja sogar die Wahl der Unterhosen übernimmt sie. Ich lasse sie machen, sie wird ihre Gründe haben, nur die Haare werde ich mir nicht abschneiden lassen, es ist so ein letzter Rest an Selbstbestimmtheit den ich mir bewahrt habe, und der sie daran erinnert, dass ich nicht ihre Schaufensterpuppe bin.

Neuerdings kommt sie mit einem neuen Argument daher: „Pttffpfff, ich habe deine Haare im Mund,“ ich will das hier nicht weiter kommentieren, „Weibsbilder sind subtil“ singt P. Werner, womit sie sicher Recht hat. Subtiles Verhalten will etwas, verschleiert dies aber. Warum Frauen darin Meister sind, habe ich nie wirklich erklärt bekommen, und wie das beispielsweise Alice Schwarzer erklären würde, das kann ich mir vorstellen und will es deshalb gar nicht hören. Ich nehme es hin, wie das Wetter.

Wenn meine Haare mal grau sind, dann lasse ich sie mir abschneiden, so erklärte ich immer. Die Bartstoppeln sind schon zur Hälfte grau, manche fast weiß, doch im Haupthaar sind nur vereinzelte zu finden. Ob sich das Verhalten meiner Frau mir gegenüber dann ändert wenn meine Haare grau sein werden? Ich erinnere mich daran, wie sie zu weinen begann, als ich bei einer Verhandlung vorm Amtsgericht meinen Prozessgegner, eine ältere Frau mit langem weißem Haar, anbrüllte. Mir war der Kragen geplatzt, nicht mal wegen irgendwelcher Falschdarstellungen der Frau, sondern wegen ihrer zur Schau getragenen Rechthaberei. Den Prozess habe ich übrigens gewonnen, hähä. Später, als ich mit meiner Frau allein war, fragte ich sie, warum sie denn geheult hätte. „Du hast weiße Haare angeschrien, weißen Haaren widerspricht man nicht,“ war die Erklärung darüber, warum sie sich in dieser Situation so emotional unwohl fühlte. Wahrscheinlich wäre es ihr lieber gewesen, wir hätten den Prozess verloren, als dass sie diesen, in ihren Augen, Tabubruch ertragen muss.

Das sind dann solche Momente, in denen man ins Grübeln kommt. Wo kommt diese strikte Haltung her, aus ihrer Persönlichkeit, aus ihrer Kultur (meine Frau ist Philippina)? Ich weiß es nicht. Respekt vor dem Alter ist ja eigentlich auch bei uns in der Kultur verwurzelt, sollte aber dieser Respekt in Unterwürfigkeit ausarten, dann ist bei mir eine Grenze überschritten. Wir haben nicht mehr weiter über den Vorfall diskutiert, die Erinnerung daran bereitet meiner Frau sichtliches Unbehagen, und wir werden damit leben können, dass manchmal Fragen auch in einer so engen Beziehung wie einer Ehe offen bleiben müssen. Später allerdings fragte ich mich noch, ob ich bei einer Auseinandersetzung auf den Philippinen, dort lebten wir einige Jahre, mich auch so verhalten hätte? Niemals! So eine Respektlosigkeit kann einem das Leben kosten. Freilich nicht dort wo man den Umgang mit Langnasen gewöhnt ist, in Touristengebieten oder dergleichen.

In Deutschland ist das im Prinzip nicht viel anderes, hier sind es eben die Diasporagebiete einiger Stadtteile, dort wo sich beispielsweise große muslimische Gemeinden bilden, auch da gelten manche Tabus nicht mehr, dafür sind andere entstanden. Beispielsweise auch solche über Haare. Doch in das Thema Moslems steige ich jetzt nicht ein. Auffällig ist nur, dass wir dort ein Verhalten dulden und akzeptieren, manchmal auch verstehen, was wir, als Deutsche, untereinander als Tabubruch ansehen würden. So gesehen unterscheidet sich ein Touristen-Beach-Ressort auf den Philippinen nicht unbedingt wesentlich von einem Stadtteil mit hohem Migrantenanteil.

Vielleicht sollen wir die Entwicklungs- und Veränderungsfähigkeit von Gesellschaften danach beurteilen, wie lange Tabus ihre Gültigkeit besitzen. Ich bin Kompromisse eingegangen um mir meine Selbstbestimmtheit zu bewahren, und habe mir deswegen ein paar Blasen an den Flüssen geholt. Welche Blasen wird sich die Gesellschaft holen, wenn sie die Selbstbestimmtheit aller ihrer Mitglieder verteidigen will? Will sie das überhaupt, will sie sich verteidigen, oder geben wir uns schon auf indem wir die Tabus von Anderen akzeptieren. Ich sage bewusst: Andere. Denn wer seine Tabus über unser Recht auf Selbstbestimmung setzt, ist ein Anderer. Er gehört nicht dazu, er benutzt seine Tabus als Trojanisches Pferd um unsere Werte anzugreifen, sie durch seine zu ersetzen.

Zuerst erschienen auf Quention Quenchers Blog Glitzerwasser

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